Luftqualität später und nicht für Arme? Ratsposition steht
„Ein schwerer Schlag“ – die harsche Kritik von Umweltverbänden lässt kein gutes Haar an der Position zur Luftqualität im Rat. Die Minister*innen wollen vor allem viel Flexibilität bei der Einhaltung oder Nichteinhaltung von Grenzwerten behalten. Bis zu zehn Jahre Fristverschiebung und in bestimmten Gebieten bitte nicht zu strenge Beurteilungen...
Der Rat hat am 9. November seine Verhandlungsposition für den Trilog über den Vorschlag zur Festlegung von EU-Luftqualitätsnormen angenommen. Die neuen Normen sollen bis 2030 erreicht sein, die EU näher an ihre Vision einer schadstofffreien Umwelt bis 2050 heranführen und die EU-Grenzwerte besser an die Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) annähern.
Die überarbeitete Richtlinie deckt eine Vielzahl von luftverschmutzenden Substanzen ab, darunter Feinstaub und Partikel (PM2,5 und PM10), Stickstoffdioxid (NO2), Schwefeldioxid (SO2), Benzol, Arsen, Blei und Nickel, um nur einige zu nennen. So sollen die Jahresgrenzwerte für die Schadstoffe mit den nachweislich größten Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit, PM2,5 und NO2, von 25 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft (µg/m³) auf 10 µg/m³ beziehungsweise von 40 µg/m³ auf 20 µg/m³ gesenkt werden. Die WHO-Richtwerte liegen bei 5 µg/m³ für PM2,5 und 10 µg/m³ für NO2, die EU würde – wenn es nach dem Rat geht – die empfohlenen Werte also schlicht verdoppeln.
Zudem sieht der Text des Rates bei der Einhaltung der Luftqualitätsgrenzwerte „eine gewisse Flexibilität“ vor, besonders in Gebieten, „in denen die Einhaltung der Richtlinie innerhalb der Frist aufgrund standortspezifischer Ausbreitungsmerkmale, ungünstiger klimatischer Bedingungen oder grenzüberschreitender Beiträge unerreichbar wäre“ und wo es viele einkommensschwache Haushalte gibt. Auch wenn der betreffende Mitgliedstaat ein niedrigeres Pro-Kopf-BIP als der EU-Durchschnitt aufweist und wenn die Ergebnisse von Modellanwendungen zeigen, dass die Grenzwerte innerhalb der Frist nicht erreicht werden können, könnten die Mitgliedstaaten eine Verschiebung der Frist um maximal 10 Jahre bis spätestens zum 1. Januar 2040 beantragen.
Die neuen Regeln enthalten auch verpflichtende Luftqualitätspläne für Gebiete, in denen die Schadstoffwerte die in der Richtlinie festgelegten Grenz- und Zielwerte überschreiten, und zwar spätestens drei Jahre nach Feststellung dieser Werte. Die Mitgliedstaaten müssen Alarm- oder Informationsschwellen für bestimmte Luftschadstoffe festlegen, um die Bevölkerung und besonders gefährdete Gruppen vor der Exposition gegenüber erhöhten Konzentrationen solcher Schadstoffe zu schützen. Besteht die Gefahr, dass diese Schwellenwerte überschritten werden, sollten die Mitgliedstaaten kurzfristige Aktionspläne erstellen, in denen Sofortmaßnahmen zur Verringerung der unmittelbaren Gefahr für die menschliche Gesundheit festgelegt werden.
Der Rat möchte die Beurteilung der Luftqualität flexibler gestalten und beispielsweise bei Überschreitung, der in der Richtlinie festgelegten Grenzwerte, nicht zwingend auf Modellrechnungen als Ergänzung zu ortsfesten Messungen zurückgreifen. Die vorgeschlagene neue Richtlinie würde die Mitgliedstaaten auch dazu verpflichten, auf ihrem Hoheitsgebiet mindestens eine übergeordnete Überwachungsstelle einzurichten, die sich nach der Bevölkerungszahl und der Größe richtet. Diese übergeordneten Überwachungsstellen würden mehrere Probenahmestellen kombinieren.
Verbände: Fassade ohne Gesundheitsschutz, besonders für ärmere Schichten
Ein breites Bündnis von Umweltorganisationen kritisierte, dass die erzielte Position des EU-Rates zur Luftqualität wissenschaftliche Erkenntnisse missachte und eine Gesetzgebung schwäche, die potenziell Leben retten kann. Den Bemühungen um strengere Luftqualitätsstandards in der EU sei „ein schwerer Schlag“ versetzt worden. Der Standpunkt des Rates sehe umfangreiche Ausnahmeregelungen und Möglichkeiten für die Mitgliedstaaten vor, die Frist für die Einhaltung der Luftqualitätsnormen von 2030 auf 2040 und darüber hinaus zu verschieben. Dies und andere besorgniserregende Elemente untergrüben den rechtlichen Rahmen vollständig und ließen allenfalls eine „Fassade für eine Richtlinie“ übrig.
Auch Umweltgerechtigkeit scheint den Mitgliedstaaten nicht weiter wichtig zu sein. Dr. Ebba Malmqvist, Sekretariat für Luftverschmutzung und Klima (AirClim), kommentierte: „Wir sind traurig zu hören, dass Menschen mit geringem Einkommen, die ohnehin schon Probleme haben, möglicherweise bis 2040 und darüber hinaus warten müssen, um sauberere Luft zu atmen, wie im Vorschlag des Rates vorgeschlagen. Arm zu sein sollte nicht bedeuten, dass die eigene Gesundheit weniger wichtig ist.“
Die spanische Ratspräsidentschaft wolle bis zum Ende des Jahres eine finale Entscheidung herbeiführen. Nun obliege es der EU-Kommission und dem Europäischen Parlament, für sauberere Luft und gesundheitserhaltene Luftqualitätsnormen zu sorgen, so die Verbände.
Luftverschmutzung ist für rund 300.000 vorzeitige Todesfälle pro Jahr in Europa verantwortlich und damit die größte umweltbedingte Bedrohung für unsere Gesundheit. Luftverschmutzung trägt zu einer Vielzahl von Gesundheitsproblemen bei, darunter Herzinfarkte, Schlaganfälle, Atemwegsprobleme, Diabetes, Demenz, verzögerte kognitive Entwicklung bei Kindern und Lungenkrebs. [jg]
EEB: Member States set to undermine proposed air quality legislation, warns civil society