Meeresschutz in Bedrängnis?
Meeresaktionsplan, nachhaltige Fischerei und das neue UN-Abkommen für Meeresschutz auf Hoher See waren Thema einer Aussprache im EU-Parlament. Seas At Risk und Oceana interviewten in Brüssel Menschen, wie sie zur Renaturierung von Ozeanen stehen. Deutsches Bündnis legt Kernforderungen vor.
Nach der Ablehnung der Naturschutzvorhaben der EU-Kommission (siehe EU-News 10.05.2023) hat sich die Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) auch gegen den im Februar vorgelegte Aktionsplan zum Schutz der Meeresökosysteme (EU-News 23.02.2023) gestellt.
In einer Aussprache während der Plenartagung zum Thema (11. Mai) sagte EVP-Sprecher Gabriel Mato (Spanien) zum EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius: „Ihr Aktionsplan zum Schutz der Meeresökosysteme ist in Wirklichkeit ein Plan zur Zerstörung der nachhaltigen Fischerei.“ Die vorgeschlagene Einschränkung der Grundschleppnetzfischerei finde ohne wissenschaftliche Grundlagen und ohne Folgenabschätzung statt, das Renaturierungsgesetz sei „ein Sargnagel“ für den ohnehin angeschlagenen Fischereisektor. Es gebe zwar gefährdete Ökosysteme, allerdings seien die Fischereibetriebe ebenfalls gefährdet. Isabel Carvalhais, (Portugal, S&D) forderte zwar ebenfalls Solidarität mit den Fischereigemeinden, mahnte aber: „Jeder, der glaubt, dass wir die Meeresökosysteme nicht schützen müssen, macht sich etwas vor. Wir müssen für eine verantwortungsvolle und nachhaltige Fischerei kämpfen.“ Anja Hazekamp (Niederlande, GUE/Linke) sagte mit einer Anleihe an Jules Verne, dass man heute nicht auf Kapitän Nemo und eine üppige Meeresfauna träfe. „Wir würden Plastik, Ewigkeitschemikalien, Schwermetalle, sterbende Korallenriffe und immer kleiner werdende Fischschwärme vorfinden.“ Und genau wie in Vernes Meisterwerk 20.000 Meilen unter dem Meer sei die Bedrohung menschengemacht. Die EU müsse neben ihren Schutzaufgaben zu Hause auch das kürzlich beschlossen UN-Hochsee-Übereinkommen (EU-News 09.03.2023) dringend mit Leben füllen.
Sinkevičius verteidigte die Pläne der EU-Kommission, da sie nicht nur internationale Verpflichtungen seien, sondern auch der Resilienz Europas dienten. Zudem sehe der Meeresaktionsplan kein generelles Verbot der Grundschleppnetzfischerei in EU-Gewässern vor. Er forderte die Mitgliedstaaten auf, „in einen Dialog einzutreten, um die Meeresumwelt zu schützen und gleichzeitig den Wohlstand und die Zukunft unserer Fischerei und Fischereigemeinden zu sichern“. Er zeigte sich „zuversichtlich“, dass ein Konsens über die Ziele dieses Aktionsplans für die Meeresumwelt und über die Vorgehensweise gefunden wird. Das BBNJ-Abkommen zum Schutz der marinen biologischen Vielfalt in Gebieten außerhalb nationaler Hoheitsgewalt soll von der EU voraussichtlich im Juni formal angenommen werden. Derzeit zählt es 52 Mitglieder, zur Ratifizierung müssen es 60 unterstützende Staaten sein.
Derweil interviewten die Nichtregierungsorganisationen Seas At Risk und Oceana in Brüssel verschiedene Personen zum besorgniserregenden Zustand der EU-Gewässer und fragten, was die Politik dagegen tun sollte. Es sei Zeit, auf die Stimmen der EU-Bürger*innen zu hören: #RestoreOcean!
Kernforderungen der Verbände: Weichen stellen für Mensch und Meer
Parallel zur Plenarwoche in Straßburg hat ein Bündnis von Umwelt- und Entwicklungsorganisationen in Deutschland Kernforderungen für eine zukunftsfähige Meerespolitik vorgelegt. 17 Verbände, darunter BUND, DUH, Deepwave, NABU, Pro Wildlife, Sharkproject, WWF, und die Environmental Justice Foundation sowie der Deutsche Naturschutzring unterstützen das Papier. Sie fordern Bundesregierung, Ministerien und Behörden auf, ihre politischen Entscheidungen konsequent darauf auszurichten, die Meeresökosysteme zu schützen und ihre Funktionen zu erhalten. Nur so könne Deutschland seinen Beitrag zum Schutz des globalen Klimas, der marinen Biodiversität und für die Stabilität der Lebensgrundlagen der Menschheit leisten. Deutschland müsse sich für eine zügige Verabschiedung einer ambitionierten EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur einsetzen, die mindestens 20 Prozent der europäischen Meere bis zum Jahr 2030 wieder in einen naturnahen und ungestörten Zustand versetzt. Dafür sei die eigenständige Erholung der Meere an erste Stelle zu setzen, ergänzt durch aktive Maßnahmen zur Wiederherstellung. Maßgeblich für den Erfolg der Verordnung in den Meeren sei das Zusammenspiel mit der Fischereipolitik, die die Erreichung der Ziele für die Wiederherstellung der Meeresumwelt nicht gefährden dürfe. [jg]
EU-Parlament: Schutz und Wiederherstellung von Meeresökosystemen für eine nachhaltige und widerstandsfähige Fischerei, Hochsee-Übereinkommen: Protokoll der Aussprache
DNR et al.: Kernforderungen für eine zukunftsfähige Meerespolitik. Weichen stellen für Mensch und Meer
Meerespolitik kurz & knapp
- NABU: Die Nordsee soll mit einer Kapazität von 300 Gigawatt Offshore-Wind bis 2050 das „grüne Kraftwerk Europas“ werden. Aber: Der Plan gefährdet die Gesundheit unseres Ökosystems Nordsee langfristig (Pressemitteilung).
- Pro Wildlife und Whale & Dolphin Conservation (WDC) protestieren mit Blick auf einen Bericht der isländischen Veterinärbehörde: Vernichtende Befunde zu Islands Walfang - Finnwaljagd widerspricht isländischem Tierschutzgesetz.
- Eine WWF-Studie zeigt, dass durch illegale und unregulierte Fischerei (IUU) im südwestlichen Indischen Ozean beim Garnelen- und Thunfischfang den dortigen afrikanischen Küstengemeinden jährlich 142,8 Millionen US-Dollar verloren gehen.
- Oceana fordert von der EU volle Transparenz über die Nachhaltigkeit von verarbeiteten und importierten Meeresfrüchten (Pressemitteilung)