Mehr Geld aus dem Emissionshandel für die Netto-Null-Industrie
Nach der öffentlichen Anhörung zum Net Zero Industry Act (NZIA) im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie (ITRE) am 23. Mai im EU-Parlament wurden Änderungswünsche am Gesetzesvorhaben konkretisiert.
Im Vorfeld der Anhörung war Kritik an den eingeladenen Personen laut geworden: Sechs Ausschussmitglieder wandten sich in einem Brief an den Ausschussvorsitzenden Cristian-Silviu Buşoi. Man lade „den Fuchs in den Hühnerstall“ ein, twitterte Damien Carême, Abgeordneter der Grünen und Schattenberichterstatter für das Netto-Null-Industrie-Gesetzesvorhaben. Anstatt bei der Anhörung Zivilgesellschaft und Wissenschaft zu Wort kommen zu lassen, hätten Lobbyist*innen der Fossilindustrie sogar bei der Gestaltung der Energiewende im Industriesektor einen überproportional großen Einfluss. Insbesondere die Einladung von Gabrielle Gauthey, Sprecherin für TotalEnergies, und Marco Mensink, Verbandsvertreter der chemischen Industrie, stieß auf Unverständnis.
Forderung nach weitergehender Unterstützung für CCS
Im Fokus der Debatte im Ausschuss stand, neben der Atomkraft und der Finanzierung des Gesetzesvorhaben, vor allem die Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (CCS). Während Umweltverbände die CO₂-Speicherung nicht als Beitrag zum Klimaschutz, sondern als eine Verlängerung des fossilen Zeitalters betrachten, verspricht sich die EU-Kommission von CCS einen wesentlichen Beitrag zur Dekarbonisierung der Industrie. CCS wird im NZIA als sogenannte „strategische Netto-Null-Technologie“ behandelt und ist damit besonders förderungswürdig.
Wie rasch und wie viel CCS zu einer klimaneutralen Wirtschaft beitragen kann, blieb allerdings auch nach der Anhörung unklar. Die Vertreterin der Fossilindustrie, Gabrielle Gauthey, erklärte zwar, dass TotalEnergie bereit sei, eine verpflichtende CO₂-Speicherkapazität mitzutragen. Sie pochte jedoch darauf, dass die EU weitere Anreize und entsprechende Infrastruktur für den Transport von CO₂ vom Abscheidungs- zum Speicherort schaffen müsse. Auch hinsichtlich der Höhe der Speicherkapazität von jährlich 50 Millionen Tonnen Kohlendioxid bis zum Jahr 2030 gebe es noch Gesprächsbedarf.
Julie Oddou, als Vertreterin der französischen Behörde für alternative Energien und Atomenergie (CEA) eingeladen, warb bei der Anhörung erneut darum, die konventionelle Atomkraft als „strategische Netto-Null-Technologie“ im NZIA zu verankern. Gleichzeitig betonte sie, dass nicht nur CCS, sondern auch die Kohlenstoffabscheidung und -nutzung (CCU) durch das Gesetzesvorhaben unterstützt werden solle.
Der Elefant im Raum: Finanzierungsfragen
Einigkeit herrschte bei der Anhörung darüber, dass die finanzielle Unterstützung für Unternehmen im NZIA nicht ausreiche. Im Blick hatte man dabei die Summe von über 360 Milliarden US-Dollar, die durch den Inflation Reduction Act (IRA) in den USA für die Bekämpfung der Klimakrise und für Clean-Tech-Unternehmen zur Verfügung stehen. Die Gefahr, dass europäische Unternehmen im Bereich Solar- und Windkraft, Batterie- und Energiespeichertechnik, Elektrolyseure und Brennstoffzellen ihr Geschäft ins Ausland verlagerten, sei durch den NZIA nicht gebannt.
Diese Einschätzung teilt Christian Ehler, EU-Abgeordneter der CDU und Berichterstatter zum NZIA. Die Finanzierung sei „the elephant in the room“, twitterte er am 26. Mai. Der Finanzierungsvorschlag der EU-Kommission greife zu kurz. In seinem Berichtsentwurf vom 25. Mai fordert er weitreichende Änderungen am geplanten Gesetzesvorhaben. So sollten die Mitgliedstaaten 25 Prozent ihrer Einnahmen aus dem EU-Emissionshandel für die Ziele des NZIA ausgeben. Von dem Mindestziel, wonach bis 2030 mindestens 40 Prozent des jährlichen Bedarfs an klimaneutralen Technologien in Europa produziert werden soll, will er sich verabschieden.
Neudefinition der „Netto-Null-Technologien“
An CCS als ausschlaggebender Technologie will Ehler hingegen festhalten – und an den rechtsverbindlichen Zielen für die Industrie. Damit einhergehen müssten aber zusätzliche Unterstützung, beispielsweise durch Beihilfe zu Betriebskosten und einer Förderung der gesamten Lieferkette und Infrastruktur der „Netto-Null-Technologien“. Nur so könne ein funktionierender Markt etabliert und die Wettbewerbsfähigkeit gesteigert werden. Die Dekarbonisierung der Industrie müsse zum Geschäftsmodell werden.
Welche Technologien die Förderung betreffen soll, will Ehler neu festlegen. Die Definition der „Netto-Null-Technologien“ müsse um jene aus der EU-Taxonomie ergänzt werden – allerdings unter Ausschluss der „Brückentechnologien“ Atomkraft und Erdgas.
Außerdem sieht der Entwurf vor, den NZIA um das Konzept der „Net-Zero Industry Valleys“ zu erweitern. Damit sollen durch gezielte Förderungen regionale Industriecluster für einzelnen Netto-Null-Technologien entstehen.
Der Berichtsentwurf geht nun zur Diskussion und Abstimmung ins EU-Parlament. Voraussichtlich im Oktober wird sich dann das Trilogverfahren anschließen. [ym]
Factsheet EU-Kommission zum NZIA
Ends Europe: Fossilindustrie soll von Anhörung ausgeschlossen werden