Ohne Budget und Bodenschutz keine Biodiversität
Es läuft zurzeit die Grüne Woche in Brüssel, am 22. Mai war der Internationale Tag für die biologische Vielfalt - doch mit Lippenbekenntnissen und Mottotagen allein ist der Natur nicht geholfen.
Mehr als 200 Organisationen unter der Federführung von BirdLife Europe und WWF haben deshalb die EU-Institutionen aufgefordert, die Finanzierung von Umwelt-, Natur- und Klimaschutzprojekten über das LIFE-Programm im nächsten EU-Haushalt auf mindestens 1 Prozent aufzustocken. Der aktuelle Vorschlag im Rahmen des Mehrjährigen Finanzrahmens beläuft sich auf 0,42 Prozent, bleibt also deutlich unter der Verbändeforderung von 1 Prozent, die dem zuständigen Umweltkommissar Karmenu Vella während der Grünen Woche übergeben wurde.
Die Organisationen wiesen darauf hin, dass das LIFE-Budget im aktuellen MFR nur bei 0,3 Prozent liege. Es habe dennoch schon sehr viele positive Effekte auf den Naturschutz und darüber hinaus. So habe LIFE zwischen 2009 und 2015 rund 74.500 Arbeitplätze und ein Wirtschaftswachstum von 9,3 Milliarden Euro geschaffen. Der Mehrwert der Naturschutzprojekte beziffere sich auf 43 Milliarden Euro - wobei der Wert der Natur für Europas Bürgerinnen und Bürger insgesamt unbezahlbar sei.
Eine neue europäische Initiative (Life Food & Biodiversity) soll dabei helfen, die Artenvielfalt in der Landwirtschaft zu erhöhen und die Lebensmittelbranche mittels neuer Standards und Labels an ihre Verantwortung beim Schutz der biologischen Vielfalt und des Bodens zu erinnern.
"Lebensmittelsysteme sind für 60 Prozent des weltweiten terrestrischen Biodiversitätsverlusts verantwortlich", mahnten der Global Nature Fund (GNF) und die Bodensee-Stiftung, die die Initiative der EU-Kommission mittragen. 45 Prozent der Böden in Europa hätten an organischer Substanz verloren. In Deutschland seien inzwischen 41 Prozent der etwa 560 Wildbienenarten als bestandsgefährdet eingestuft und die Anzahl der Ackerwildkräuterarten im Feld sei um 71 Prozent zurückgegangen. GNF und Bodensee-Stiftung wollen gemeinsam mit Partnern in Frankreich, Spanien und Portugal den Schutz der biologischen Vielfalt in der Lebensmittelbranche vorantreiben. Dazu gehöre auch, sich in die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik einzumischen und Basiskriterien zu definieren, die landwirtschaftliche Erzeuger einhalten müssen.
Um den Bodenschutz sorgen sich auch EU-Abgeordnete. Anlässlich der Vorstellung der Ergebnisse des globalen Symposiums für Bodenverschmutzung letzte Woche im Europäischen Parlament warnte Martin Häusling (Grüne, Deutschland) vor einer "tickenden Zeitbombe" durch die Untätigkeit beim Bodenschutz. "Wir brauchen einen einheitlichen Bodenschutz in Europa", forderte er.
Eine EU-weite Bodenschutzrichtlinie scheitert seit Jahren am Widerstand der Agrarlobby und an zögernden Mitgliedstaaten, darunter auch Deutschland. Umweltverbände fordern seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, eine EU-Bodenschutzrichtlinie (siehe DNR-Steckbrief zum Bodenschutz). Bodenschutz ist Bestandteil des 7. Umweltaktionsprogramms und zahlreicher UN-Abkommen. Der Umweltzustandsbericht der Europäischen Umweltagentur (SOER) belegte bereits 2015, dass die jeweiligen nationalen Gesetzgebungen zum Bodenschutz die Bodendegradation in der EU insgesamt nicht ausreichend verhindern können.
Auch für die biologische Vielfalt unter Wasser gilt "Alarmstufe Rot", schätzen GNF und das Netzwerk Lebendige Seen: Sieben von zehn Seen seien in unzureichendem ökologischen Zustand. Zwei Drittel aller Lebensräume in Gewässern, Mooren und Feuchtgebieten sind laut Roter Liste gefährdet oder vom Aussterben bedroht. Hunderte von Süßwassertierarten fänden sich auf den Roten Listen, davon 76 Köcherfliegen-, 22 Fisch- und 7 Amphibienarten. „Es gibt kaum Anzeichen, dass es hier bergauf geht", fasst Thomas Schaefer, Leiter Naturschutz beim GNF, die Einschätzung zusammen. Viele Fachleute sähen für über die Hälfte der bedrohten Unterwasserlebensräume keine günstige Prognose. [jg]