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Rasche Zeitenwende auch für Erneuerbare
News | 16.03.2022
#Klima und Energie

Rasche Zeitenwende auch für Erneuerbare

Windräder
© AdobeStock/OSORIOartist
Windräder schaffen Unabhängigkeit von fossilen Energien

„Mehr Fortschritt wagen“ steht im Titel des Koalitionsvertrags der amtierenden Regierungsparteien. Für den ökologischen Fortschritt ist der rasche Umstieg auf erneuerbare Energiequellen das Patentrezept. Und dieser Tage wird noch deutlicher: Die erneuerbaren Energien sind Friedensenergien, sagt Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin).

Was für 100 Tage neue Bundesregierung! Nicht nur, weil ohnehin ein Riesenpaket an Aufgaben auf dem Tisch liegt, von denen einige angepackt werden sollten, insbesondere in puncto Klimaschutz. Aus der Coronazeit kommend, ist die Aufgabe ohnehin schon schwierig genug. Jetzt kommt ein Krieg hinzu, ein fossiler Energiekrieg, der für Klimaschutz und Energiewende alles verändern kann. Zum Guten - oder zum Schlechten.

Doch der Reihe nach. Die ersten Tage im Amt zeichnen sich durch einen durchaus ehrgeizigen Start für den Klimaschutz aus. Denn für die im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP festgelegte Klimapolitik wurde ein ausgesprochen ambitioniertes Klimaschutzprogramm formuliert, im Vergleich zu den Vorgängerregierungen kann man von einer Zäsur sprechen. Gut und richtig ist der angeschobene schnellere Ausbau der erneuerbaren Energien. Zur Erreichung des 1,5 Grad-Ziels reicht dies aber alles nicht. Dazu ist der Anteil von Kohle und auch von Erdgas noch immer viel zu hoch. Die energetische Gebäudesanierung kommt zu schleppend voran, auch die Verkehrswende hängt meilenweit hinterher. Zur Einhaltung eines Paris-konformen CO2-Budgets müsste das Ausbautempo der erneuerbaren Energien noch weiter erhöht werden, damit die erneuerbaren Energien im Jahr 2030 ein Niveau von rund 95 Prozent erreichen. In allen Bundesländern müssten jeweils zwei Prozent der Fläche für Windenergie ausgewiesen werden und pauschale Abstandsregeln abgeschafft werden. In diesem Zuge müssen auch Genehmigungsverfahren beschleunigt und finanzielle Beteiligungen erweitert werden. Für all das werden in dem „Osterpaket“ [energiepolitisches Gesetzespaket, das die Bundesregierung für Ostern angekündigt hat; die Red.] wichtige und richtige Schritte in die richtige Richtung gemacht.

Nur die schnelle Energiewende sichert Frieden und schützt Umwelt und Klima

Doch nun haben wir einen Krieg inmitten in Europa. Und alles ist anders. Es stellen sich Fragen nach der kurzfristigen Versorgungssicherheit. Was passiert, wenn Putin uns den Energiehahn abdreht? Oder sollten wir es tun? Es mehren sich sofort Stimmen, die das Heil in der Atomkraft sehen, andere in der Kohlekraft. Wieder einmal – und das hat uns schon die letzten zehn Jahre aufgehalten – wird die eigentliche Antwort auf diese Frage ignoriert, verdrängt und verpasst. Es ist die schnelle Energiewende mit Energiesparen und einer Vollversorgung aus erneuerbaren Energien, die uns alles bietet: Versorgungssicherheit und Resilienz, da wir nicht mehr abhängig und erpressbar von fossilen Importen sind; Bezahlbarkeit, da ein auf erneuerbare Energien basierendes Energiesystem viel preiswerter ist als ein konventionelles, da nicht nur die Erzeugungskosten niedrig sind, keine variablen Kosten in Form von teuren Importen fossilen Energien und zudem keine Umwelt- und Klimaschäden entstehen. Und sie sichert Frieden, Freiheit und Demokratie. Erneuerbare Energien sind Friedensenergien. Es ist schön, es zum tausendsten Mal zu wiederholen und nicht mehr alle die Augen rollen zu sehen, nein, es nicken sogar sehr viele. Das ist neu.

Prof. Dr. Claudia Kemfert
Wir könnten sofort ein Energiesparprogramm starten, die Heizungen zwei Grad runterdrehen, ein Tempolimit und autofreie Sonntage einführen, den Einbau von Wärmepumpen im Gebäude und Industriebereich beschleunigen oder Inlandsflüge verbieten.
Claudia Kemfert, DIW
Leiterin Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt

Deswegen sollten wir dieses Momentum nutzen. Es ist Deutschlands und Europas Fukushima-Moment. Wir könnten sofort ein Energiesparprogramm starten, die Heizungen zwei Grad runterdrehen, ein Tempolimit und autofreie Sonntage einführen, den Einbau von Wärmepumpen im Gebäude und Industriebereich beschleunigen oder Inlandsflüge verbieten. Einkommensschwachen Haushalten sollte geholfen werden über gezielte Heizkostenzuschüsse.

Was wir nicht brauchen, ist eine Erhöhung der Pendlerpauschale oder der Bau eines LNG-Terminals. Letzteres war vor 15 Jahren richtig, heute nicht mehr. Der Bau dauert bis zu vier Jahre, in dieser Zeit muss der Bedarf von Erdgas massiv reduziert werden. Was wir dann brauchen, sind Wasserstoff-Terminals, die grünen Wasserstoff für die Industrie nach Deutschland bringen können. Dazu muss auch die Infrastruktur ausgebaut werden. Wenig zielführend ist auch eine Erhöhung der Pendlerpauschale, die insbesondere einkommensstarken Vielpendlern hilft, die zudem noch am häufigsten mit dem Auto fahren. Besser wäre ein einkommensunabhängiges Mobilitätsgeld, welches vor allem emissionsfreie Mobilität fördern sollte. Ohnehin ist es höchste Zeit, die Ladeinfrastruktur schneller auszubauen, eine E-Fahrzeugquote einzuführen, sichere Fahrrad- und Fußwege auszubauen. Eine Abwrackprämie für fossile Autos und Heizungen ist sinnvoll, wenn damit emissionsfreie Gebäude und Mobilität erreicht werden. Statt „Spritpreisbremsen“ brauchen wir „Energieverschwendungsbremsen“ oder besser Energiesparbooster.

Kurzum: Trotz der schweren Krise, die wir derzeit erleben, gibt es Hoffnungsschimmer. Für eine beherzte Energiewende mit einer Vollversorgung aus erneuerbaren Energien und Energiesparen. 100 Tage ist die jetzige Regierung im Amt. Sie hat die Chance, Geschichte zu schreiben. Um alles zum Guten zu wenden. Für echten Wandel und Frieden. Wir alle sollten hoffen, dass es ihr gelingt.

Die Autorin

Prof. Dr. Claudia Kemfert leitet die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin und ist Professorin für Energieökonomie und Energiepolitik an der Leuphana Universität. Die Wirtschaftswissenschaftlerin und Expertin für Energiefragen ist unter anderem auch Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU).

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