Renaturierung: Hilft ein Handbuch bei den weiteren Schritten?
Bis Ende 2021 will die EU-Kommission einen Gesetzesvorschlag für verbindliche Naturwiederherstellungsziele erarbeiten; diese sind Teil der EU-Biodiversitätsstrategie für 2030, die vor rund einem Jahr veröffentlicht wurde (EU-News 20.05.2020). Die Gemeinsame Forschungsstelle der EU (JRC) hat die Ergebnisse bisheriger Forschungen für die Politik zusammengetragen. Parallel laufen Workshops und Beratungen mit Expert*innen für den kommenden Gesetzesvorschlag und die Folgeabschätzungen. Im EU-Parlament (Umweltausschuss) steht diese Woche die Abstimmung über die EU-Biodiversitätsstrategie 2030 bevor. Zum Welttag der Biodiversität fanden zahlreiche Aktionen statt (Randspalte).
Erhalten allein reicht nicht, Wiederherstellung und Verbessern sind gefragt
"EU-Ökosystembewertung: Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger" – so heißt das von der Europäischen Kommission zusammen mit der Europäischen Umweltagentur entwickelte Handbuch, das wissenschaftlich fundierte Ratschläge zur Wiederherstellung degradierter Ökosysteme, zur Verbesserung der Überwachung ihres Zustands und zur Festlegung von Methoden zur Bewertung ihres Zustands bieten soll. "Bei einer Million vom Aussterben bedrohter Arten und drei Vierteln der Erdoberfläche, die durch menschlichen Einfluss verändert wurden, reicht es nicht aus, das, was von der Natur noch übrig ist, zu erhalten", heißt es in der Beschreibung des Gemeinsamen Forschungscenters (JRC), das das Handbuch herausgegeben hat. Laut Analysen müsse der Zustand aller europäischen Ökosysteme - von Wäldern über landwirtschaftliche Flächen, städtische Gebiete, Feuchtgebiete, Flüsse, Seen und Meere - deutlich verbessert werden, um den Verlust der biologischen Vielfalt aufzuhalten und umzukehren. Dabei stünden bestäubende Insekten unter besonderem Druck: Die Ökosystembewertung zeigt, dass die Anzahl der Schmetterlingspopulationen im Grasland in Europa seit 1990 um 39 Prozent zurückgegangen ist. Wildbienen stünden wahrscheinlich vor ähnlichen Problemen, aber es gebe eine zusätzliche Herausforderung: der Mangel an europaweiten Daten über Wildbienenarten. Das JRC hatte den Welttag der Bienen am 20. Mai für die Herausgabe des Handbuchs genutzt und deshalb einen Fokus auf die Bestäuber gelegt. Dass Handlungsbedarf beim Schutz von Bestäubern besteht, stellte die EU-Kommission in ihrem Fortschrittsbericht zur EU-Initiative für Bestäuber fest (EU-News 27.05.2021).
JRC-Handbuch: "Europas Ökosysteme heute: zehn Schlüsselbotschaften"
Der Bericht enthält zehn Schlüsselbotschaften über den aktuellen Zustand der europäischen Ökosysteme und den Weg in die Zukunft:
- Wir müssen die Ökosysteme in der EU erhalten und wiederherstellen, um ihre wesentlichen Leistungen zu sichern;
- Die wirksame Umsetzung von Umweltgesetzen und -politikmaßnahmen kann dazu führen, dass die Belastungen reduziert und der Zustand der Ökosysteme verbessert wird;
- Die nachteiligen Auswirkungen des Klimawandels und invasiver gebietsfremder Arten auf die Ökosysteme nehmen zu;
- Die Verbesserung des Zustands von Ökosystemen in der weiteren Landschaft durch die Verringerung des Drucks auf die biologische Vielfalt kann dazu beitragen, den Zustand geschützter Lebensräume und Arten sowohl innerhalb als auch außerhalb von Natura 2000-Gebieten zu verbessern und ihre Vernetzung zu erhöhen;
- Der Druck auf Wälder bleibt hoch und untergräbt den guten Zustand der Wälder;
- Landwirtschaftliche Artenvielfalt und Böden - ein wichtiger Aktivposten für Landwirte - nehmen weiter ab;
- Feuchtgebiete sind weiterhin in schlechtem Zustand. Die chemische Qualität von Flüssen und Seen verbessert sich, aber der Gesamtfortschritt zum Erreichen eines guten ökologischen Zustands ist unzureichend;
- Große Datenlücken erschweren die Bewertung des Zustands von Meeresökosystemen;
- Naturbasierte Lösungen in Städten können dazu beitragen, die städtische Lebensqualität zu verbessern und gleichzeitig die negativen Auswirkungen auf andere Ökosysteme zu minimieren und die städtische Biodiversität zu verbessern;
- Die EU braucht ein leistungsfähigeres Netzwerk zur Beobachtung der biologischen Vielfalt und eine einheitlichere Berichterstattung über den Zustand der Ökosysteme.
Das Handbuch ist laut JRC eine Synthese des ersten EU-weiten Ecosystem Assessment Berichts, der im Oktober 2020 veröffentlicht wurde (EU-News 20.10.2020). Verschiedene Kommissionsdienststellen, die Europäische Umweltagentur und viele Expert*innen aus den Mitgliedstaaten sowie Unabhängige aus Wissenschaft und Forschung seien beteiligt gewesen. Eine Kernaussage von "Mapping and Assessment of Ecosystems and their Services: An EU ecosystem assessment" ist, dass die EU ein leistungsfähigeres Netzwerk zur Beobachtung der biologischen Vielfalt und eine konsistentere Berichterstattung über den Zustand der Ökosysteme benötigt. Eine EU-weite Methodik zur Kartierung, Bewertung und Erreichung eines guten Zustands von Ökosystemen, damit diese Vorteile wie Klimaregulierung, Wasserregulierung, Bodengesundheit und Bestäubung sowie Katastrophenprävention und -schutz erbringen können, wird bis Ende 2021 bereitgestellt.
Weitere Schritte bis zum Gesetz
Nach der großen Beteiligung an der Konsultation zu den EU-Wiederherstellungszielen, die unter anderem der Kampagne #RestoreNature geschuldet war (EU-News 14.04.2021), veranstaltet die EU-Kommission zurzeit verschiedene Workshops mit Interessengruppen, unter anderem zur Folgenabschätzung. Bis Mitte Juni soll der Entwurf zu Folgeabschätzung voraussichtlich beim zuständigen Gremium (Regulatory Scrutiny Board) eingereicht werden. Für die übrigen Themen wird es gegebenenfalls bis in den Herbst hinein weitere Beratungen mit Expert*innen geben, auch werden die anderen Generaldirektionen der EU-Kommission einbezogen. Voraussichtlich im November/Dezember könnten Gesetzentwurf und Folgenabschätzung fertiggestellt werden, so dass die Vorschläge dann noch vor Ende des Jahres an EU-Parlament und EU-Rat präsentiert werden dürften. Wenn der Vorgang zügig behandelt wird, könnte es noch 2022 eine Entscheidung geben.
"Deutschland hat Potenzial": NABU-Studie zeigt Räume für Renaturierung auf
Moore, Flussauen, Wälder und Grünland: Intakte Ökosysteme bieten Lebensräume für viele Arten, binden langfristig Kohlenstoff und können Dürren oder Hochwasser abmildern. Mehr als 20 Prozent Fläche verteilt in ganz Deutschland stünden für Renaturierungsmaßnahmen zur Verfügung, wobei über die Hälfte dieser Flächen Wälder seien, hat eine Studie im Auftrag des NABU ergeben. Pressemitteilung NABU und Studie der Gesellschaft für Freilandökologie und Naturschutzplanung
Entscheidung zur EU-Biodiversitätsstrategie im Umweltausschuss
Noch in dieser Woche wird der Umweltausschuss im EU-Parlament (ENVI) eine Entscheidung zur von der EU vorgelegten EU-Biodiversitätsstrategie 2030 fällen. Die Änderungsanträge sollen am Donnerstag abgestimmt werden, die Endabstimmung folgt am Freitag.
Umweltverbände fordern auch angesichts der sich nähernden UN-Konferenz über biologische Vielfalt im Oktober, dass die EU mit gutem Beispiel vorangeht, um das Artensterben zu stoppen. In der letzten Woche hatte eine Studie gezeigt, dass neun von zehn (93 Prozent) EU-Bürger*innen den Verlust der biologischen Vielfalt für ein "ernstes" oder "sehr ernstes" Problem halten (EU-News 19.05.2021). [jg]
JRC-Handbuch: World Bee Day: New handbook to support the development of European nature restoration targets
EU-Kommission - Übersichtsseite zur Bewertung und Kartierung von Ökosystemen
Welttag biologische Vielfalt
Am 22. Mai haben sich zahlreiche Verbände, Organisationen und Institutionen über das Thema Biodiversität geäußert. In diesem Jahr stehen viele Aktionen im Zeichen der 15. Vertragstaatenkonferenz des Übereinkommens über biologische Vielfalt (COP15 CBD) im Oktober im chinesischen Kunming.
Videobotschaften aus aller Welt – und der EU
EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius hat sich an der Aktion des CBD-Sekretariats beteiligt und eine Videobotschaft verfasst. Er sagte: "Der europäische Green Deal ist gut für Natur und Menschen, gut für unsere Wirtschaft... Es ist ein Deal für uns alle, eine Chance, Frieden mit der Natur zu schließen, um eine nachhaltige Zukunft für die Menschheit und den Planeten zu schaffen." Sinkevičius zeigte sich optimistisch, dass die Welt starke politische Maßnahmen ergreifen kann, um die ökologische Krise gemeinsam anzugehen. Außerdem twitterte er, dass die EU mit Blick auf die COP 15 ihre Bemühungen noch verstärken müsse. Anschauen auf YouTube und weitere Videobotschaften auf der CBD-Seite
Deutschland unterstützt Weltnaturerbe-Fonds mit rund 82 Millionen Euro
Anlässlich des Weltbiodiversitätstages hat der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller zusammen mit internationalen Gästen den Startschuss für den Legacy Landscapes Fund gegeben. Deutschland stelle zum Start eine Anschubfinanzierung von 100 Millionen US-Dollar bereit. Private Stiftungen steuerten weitere 35 Millionen Dollar bei. Damit könne der Fonds in sieben Schutzgebieten in Afrika, Asien, Lateinamerika starten. Bis 2030 werde ein Kapitalstock von einer Milliarde Dollar angestrebt, um die "ewige Grundfinanzierung" von 30 Schutzgebieten zu ermöglichen. Müller: "Der Fonds wäre dann die weltweit größte Naturschutzstiftung. Ich lade private und öffentliche Geber ein, sich zu beteiligen." Der Vorstandsvorsitzende der KfW Bankengruppe Günther Bräunig betonte, dass oftmals die fehlende Finanzierung im Schutzgebietsmangement Probleme bereite, dabei sichere die Natur unsere Lebensgrundlage und bilde die Basis für wirtschaftliches Handeln. "Wenn es gelingt, mindestens 30 Prozent der Fläche des Planeten unter Schutz zu stellen, verringert sich auch das Risiko weiterer Pandemien. Diese entstehen oftmals durch sogenannte Zoonosen, Infektionskrankheiten, die zwischen Tier und Mensch übertragen werden", ergänzte Bräunig bei der Fondseröffnung. Weiterlesen
Nationale CBD-Vorbereitungskonferenz
„Ein neues Kapitel zum Schutz der weltweiten Biodiversität: Was ist unser Beitrag?“
Am 17. Juni 2021 soll die deutsche nationale Vorbereitungskonferenz für die 15. Vertragsstaatenkonferenz des Übereinkommens über die Biologische Vielfalt (CBD) in Kunming stattfinden. Die virtuelle Konferenz wird von Bundeskanzlerin Angela Merkel eröffnet. Im Anschluss diskutieren Bundesumweltministerin Svenja Schulze und Staatssekretär Jochen Flasbarth mit Gästen aus Nichtregierungsorganisationen, Wissenschaft, Wirtschaft, Jugendbewegung, lokaler Ebene und des Parlamentes die Frage „Was nehmen wir mit nach Kunming?“. Die Veranstaltung wird live übertragen (17. Juni 2021, 13:00-15:00 Uhr): http://bmu.de/livestream