Menü
Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzorganisationen
Startseite
Aktuelles & Termine
Aktuelles & EU-News
Strengere EU-Luftqualitätsnormen: Grenzwerte bleiben hinter WHO-Empfehlungen zurück
EU-News | 29.02.2024
#Emissionen

Strengere EU-Luftqualitätsnormen: Grenzwerte bleiben hinter WHO-Empfehlungen zurück

Schlechte Luft
Luftverschmutzung im Straßenverkehr

Der Rat und das Europäische Parlament haben eine Einigung über den Vorschlag zur Festlegung strengerer EU-Luftqualitätsnormen erzielt. Bis 2030 sollen Luftschadstoffe um bis zur Hälfte gesenkt werden. Ziel dieser Normen ist es, das Null-Schadstoff-Ziel zu unterstützen und letztendlich eine schadstofffreie Umwelt in der EU bis 2050 zu erreichen. Umwelt- und Gesundheitsverbände kritisieren unzureichende Grenzwerte und weitreichende Ausnahmeregelungen.

Jedes Jahr führt Luftverschmutzung in Europa zu 300.000 vorzeitigen Todesfällen sowie zu Krankheitskosten und Umweltschäden in Billionenhöhe. Die Aktualisierung der verstaubten Luftqualitätsnormen war daher dringend nötig. Konkret betrifft die Überarbeitung eine Vielzahl von Luftschadstoffen, darunter Feinstaub und Partikel (PM 2,5 und PM 10) und Stickstoffdioxid (NO2), aber auch Schwefeldioxid (SO2), Benzo(a)pyren, Arsen, Blei und Nickel sind betroffen. Stickstoffdioxid und Feinstaub gelten als die schädlichsten Luftschadstoffe und entstehen als Nebenprodukte bei der Verbrennung von Treibstoffen in Verbrennungsmotoren, Feinstaubemissionen durch Abrieb von Reifen und Bremsen.

Grenzwerte oberhalb von WHO-Empfehlungen

Für jeden dieser Schadstoffe wurden neue Normen festgelegt, die enger an die globalen Luftqualitätsleitlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) angeglichen sind. Bis 2030 sollen für Feinstaub und Stickstoffdioxid der Jahresgrenzwert um mehr als die Hälfte gesenkt werden: für PM 2,5 von 25 Mikrogramm auf 10 Mikrogramm und für Stickstoffdioxid von 40 Mikrogramm auf 20 Mikrogramm. Europäische Gesundheits- und Umweltverbände hatten darauf gedrängt, Luftverschmutzung mit wissenschaftlich fundierten Grenzwerten zu beenden (EU-News 15.02.2024). Dem ist man in Brüssel nicht nachgekommen: Die angepassten Grenzwerte liegen immer noch doppelt so hoch wie von der WHO empfohlen. Bereits 2021 hatte die WHO neue Leitlinien veröffentlicht und ihre Empfehlung auf 5 Mikrogramm für PM 2,5 und 10 Mikrogramm für Stickoxid abgesenkt. 

Anne Stauffer, stellvertretende Direktorin der Health and Environment Alliance (HEAL), begrüßte dennoch das Ergebnis der Trilog-Verhandlungen als Schritt in die richtige Richtung. "Auch wenn der Kompromiss leider die wissenschaftlichen Empfehlungen nicht eins zu eins umsetzt, hat das Paket ein enormes Potenzial, das Leiden der Menschen zu lindern."

Gute Luftqualität bis 2030 - oder 2035 oder 2040

Damit die europäischen Bürger*innen bald bessere Luft atmen können, sollen die Mitgliedstaaten Luftqualitätspläne entwickeln. Auch kurzfristige Maßnahmen sollen umgesetzt werden, um Grenzwertüberschreitungen zu adressieren und die unmittelbare Gefahr für die menschliche Gesundheit zu mindern. Bis sich die Luftqualität in der EU aber wirklich verbessert, könnte es noch dauern:  Die Mitgliedstaaten haben bis 2029 die Möglichkeit, unter Auflagen eine Verlängerung der Frist bis 2035 bzw. 2040 für das Erreichen der Luftqualitätsgrenzwerte zu beantragen, wenn besondere klimatische oder topografische Bedingungen dies erschweren oder wenn erforderliche Reduzierungen nur mit erheblichen Auswirkungen auf bestehende Haushaltsheizanlagen erreicht werden können. Zu den Auflagen gehören explizit keine Fahrverbote, das hatte Deutschland durchgesetzt.

Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, äußerte scharfe Kritik an der laxen Einigung: „Die Gesundheit der EU-Bürgerinnen und -Bürger ist bei den Verhandlungen dem Diktat der Industrieinteressen zum Opfer gefallen“. Den Mitgliedstaaten gehe es „mehr um die Vermeidung von konkreten Maßnahmen als um die Vermeidung unnötiger Todesfälle durch Luftverschmutzung.“ Die ernüchternde Feststellung: „Die EU vergibt die Chance auf wirklich saubere Luft für die nächsten Jahrzehnte.“

Nach Einschätzung der EU-Umweltagentur EEA ist Luftverschmutzung das größte von Umweltbedingungen ausgehende Gesundheitsrisiko. Jüngsten Daten zufolge waren im Jahr 2021 97 % der städtischen Bevölkerung der EU Konzentrationen von Feinstaub ausgesetzt, die über den neuesten Leitlinien der WHO liegen. Vulnerable Gruppen wie Kranke, Kinder, ältere Menschen und sozioökonomisch benachteiligte Personen sind besonders betroffen. Die Vereinbarung sieht daher auch vor, dass die Luftqualität in europäischen Städten durch eine Erhöhung der Anzahl von Messstationen überwacht wird. „Und wenn die lokalen Behörden nicht liefern, können die Opfer der Luftverschmutzung rechtliche Schritte einleiten und Schadensersatz fordern“, erklärte Tiemo Wölken, Umweltexperte der SPD im EU-Parlament. Denn auch das ist neu: Bürger*innen sollen einklagbaren Anspruch auf Entschädigung bekommen, wenn sie wegen nicht eingehaltener Grenzwerte krank werden.

Die vorläufige Einigung muss von den Mitgliedstaaten im Rat und dem Umweltausschuss des Parlaments gebilligt werden, bevor sie im Amtsblatt der EU veröffentlicht und wirksam wird. Alle fünf Jahre soll die Europäische Kommission die Luftqualitätsnormen überprüfen, um sie an die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse und WHO-Leitlinien anzupassen. Möglicherweise wird dann den Empfehlungen der Wissenschaft gefolgt. [ks]

Rat der EU: Pressemitteilung vom 20.02.2024

HEAL: Pressemitteilung vom 21.02.2024

DUH: Pressemitteilung vom 21.02.2024

S&D: Pressemitteilung vom 20.02.2024

EAA: Luftverschmutzung nach wie vor zu hoch

Umweltbundesamt: Stellungnahme: WHO-Luftqualitätsleitlinien 2021

Das könnte Sie interessieren

Grafische Darstellung weltweiter Luftverschmutzung (Fabriken und männlicher Naturwissenschaftler mit Atemmaske und Schreibblock)
EU-News | 11.12.2024

#Emissionen

Luftverschmutzung bleibt Todesfaktor

Fast 240.000 Tote jährlich durch Feinstaub und andere Luftschadstoffe: Die negativen Gesundheits- und Umweltauswirkungen der Luftverschmutzung bleiben europaweit hoch, hat die Europäische Umweltagentur (EEA) analysiert....