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Umstrittene Lockerung des EU-Gentechnikrechts
EU-News | 06.07.2023
#Landwirtschaft und Gentechnik

Umstrittene Lockerung des EU-Gentechnikrechts

Protest Neue Gentechnik
© Paul Lovis Wagner - Greenpeace
Protest vor dem Bundeslandwirtschaftsministerium

Die EU-Kommission hat einen Verordnungsvorschlag zur Deregulierung neuer gentechnischer Verfahren vorgelegt. Darin nimmt sie Abstand von zentralen Prinzipien des europäischen Gentechnikrechts. Umweltorganisationen reagieren alarmiert.

Im Rahmen des Pakets von mehreren Gesetzesinitiativen unter dem Titel „Nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen“ hat die EU-Kommission am 5.Juli ihren umstrittenen Vorschlag zur Überarbeitung des EU-Gentechnikrechts vorgelegt. Der Vorschlag sieht erhebliche Lockerungen im Umgang mit neuen gentechnischen Verfahren beziehungsweise neuen genomischen Techniken (NGT) vor. Der nun vorgestellte Verordnungsentwurf deckt sich in weiten Teilen mit dem vorab bekanntgewordenen Gesetzestext, der bereits für deutliche Kritik seitens Umwelt-, Verbraucher,- und Landwirtschaftsorganisationen gesorgt hatte.

Freie Fahrt für Neue Gentechnik?

Nach den Vorschlägen sollen bestimmte Verfahren der Neuen Gentechnik von den bisherigen Regelungen des europäischen Gentechnikrechts ausgenommen werden. Laut Kommission sollen die Techniken zu „gezielteren, präziseren und schnelleren Veränderungen“ als bei üblichen Züchtungsmethoden führen. Die Annahme ist: Durch NGT seien schnellere Entwicklungen von Pflanzensorten möglich, die besser an veränderte Klimabedingungen angepasst seien, weniger Düngemittel und Pestizide benötigten sowie höhere Erträge versprächen. Der Verordnungsvorschlag betreffe Pflanzen, die durch Mutagenese und Cisgenese erzeugt wurden, sowie aus diesen Pflanzen produzierte Lebens- und Futtermittel.

Einteilung in zwei Kategorien vorgesehen

Im Kern des Vorschlags steht eine neue Einteilung in zwei Kategorien von NGT-Pflanzen: Für die erste Kategorie ist eine Gleichstellung mit den Produkten klassischer Züchtung vorgesehen. Gentechnisch veränderte Pflanzen, die ein bestimmtes Prüfverfahren erfüllen, würden wie konventionelle Pflanzen behandelt und wären damit von den Anforderungen der bestehenden Gentechnikvorschriften ausgenommen. Für Pflanzen der zweiten Kategorie würden weiterhin die bestehenden Anforderungen des EU-Gentechnikrechts gelten: Risikobewertung, Zulassungsverfahren, Kennzeichnungspflicht; jedoch teils abgeändert und angepasst an die jeweiligen „Risikoprofile“.

NGOs: Vorsorgeprinzip, Wahlfreiheit und Koexistenz gefährdet

Von vielen Verbänden und Organisationen wird die geplante Deregulierung scharf kritisiert und die mögliche Aufweichung im Umgang mit Neuer Gentechnik deutlich zurückgewiesen. Im Zentrum der Kritik steht die Missachtung des europäischen Vorsorgeprinzips, die Einschränkung der Wahlfreiheit für Verbraucher*innen und Landwirt*innen, der Verzicht auf Kennzeichnung und Risikoprüfung sowie die Gefährdung der Koexistenz mit einer gentechnikfreien Landwirtschaft. Auch ökologisch wirtschaftende Betriebe und der Ausbau des Biolandbaus würden durch den Vorschlag massiv gefährdet. Zudem falle die Option weg, dass sich Mitgliedstaaten gegen die Ausbringung von NGT entscheiden können (Opt-Out), da es sich bei dem Gesetzesvorschlag um eine Verordnung handele, die direkt in allen Mitgliedstaaten gelte. Keine Antwort gebe die Kommission zudem auf die zentrale Frage der Patentierung.

Ein Kanon kritischer Stimmen - Protest vor dem Agrarministerium

Entsprechend besorgt reagierten Ökolandbauverbände auf den Kommissionsvorschlag. Naturland-Präsident Hubert Heigl sieht den Schutz von Verbraucher*innen und Landwirt*innen zugunsten der Interessen der Saatgut-Industrie geopfert. Zudem werde der umfangreichen Patentierung von Pflanzeneigenschaften durch die Agrarindustrie damit „Tür und Tor geöffnet“. Auch Tina Andres, Vorstandsvorsitzende des Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) sieht in der Neuen Gentechnik „vor allem das Werkzeug zur Patentierung von Pflanzen und damit zur Schaffung neuer Abhängigkeiten der gesamten Lebensmittelwirtschaft von den Gentechnik-Konzernen.“ Für Jan Plagge, Präsident von Bioland und der Internationalen Vereinigung ökologischer Landbaubewegungen (IFOAM) ist das Regelwerk „eine Zäsur und der gefährliche Abschied vom lange gelebten Vorsorgeprinzip“. Die EU habe sich damit von den wichtigsten Instrumenden des Gentechnikrechts verabschiedet: „Risikoprüfung, Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung“, so Plagge weiter.

Christoph Then vom Institut für unabhängige Folgenabschätzung in der Biotechnologie (Testbiotech) sieht den Vorschlag zur Deregulierung im Widerspruch zur Wissenschaft. Er kritisiert die Kriterien anhand deren die Unterscheidung der Kategorien durchgeführt werden sollen als willkürlich: „Grundsätzlich erscheinen die vorgeschlagenen Kriterien zufällig, unklar und im Detail schwer interpretierbar.“

Und auch Umweltorganisationen kritisierten einhellig den Vorstoß der Kommission. Mit Blick auf mögliche Effekte bei der Ausbringung gentechnisch veränderter Organismen in die freie Natur kommentierte DNR-Geschäftsführer Florian Schöne: „Wir haben bislang völlig unzureichende Erkenntnisse, welche Auswirkungen die Anwendung neuer gentechnischer Verfahren auf unsere Ökosysteme hat. Auch Versprechungen seitens der Industrie, mit diesen Verfahren könne man dem Klimawandel entgegenwirken, sind bei weitem nicht belegt.“

Um auf die möglichen Gefahren des Kommissionsvorschlags hinzuweisen, protestierten Umwelt,- Verbraucher*innen,- und Landwirtschaftsverbände einen Tag nach der Veröffentlichung gemeinsam mit einer Aktion vor dem Bundeslandwirtschaftsministerium. Das Bündnis, das von Greenpeace, über die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) bis zur Interessengemeinschaft für gentechnikfreie Saatgutarbeit (IG Saatgut) reicht, forderte den deutschen Landwirtschaftsminister Cem Özdemir dazu auf, die gentechnikfreie Landwirtschaft zu retten und zwar „vom Saatgut bis zum Essen“. Özdemir müsse sich klar gegen die Pläne der EU-Kommission stellen. Stattdessen solle die EU-Kommission das bewährte Gentechnikrecht beibehalten, anstatt „Risiken für Umwelt und Biodiversität in Kauf zu nehmen und den Wunsch der Verbraucher*innen nach Wahlfreiheit zu ignorieren“, so Daniela Wannemacher vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND).  

Rat und Parlament am Zug

Nach der Vorstellung des Gesetzesvorschlags durch die EU-Kommission durchläuft die Verordnung nun das ordentliche Gesetzgebungsverfahren und muss im nächsten Schritt von den Mitgliedstaaten im Rat und vom Europäischen Parlament diskutiert und abgestimmt werden. [bp]

Mitteilung der EU-Kommission zu neuen gentechnischen Verfahren

Verordnungsvorschlag

Die Deregulierung im Detail - Übersicht des BUND

Pressemitteilung Naturland

Pressemitteilung Bioland/IFOAM

Pressemitteilung BÖLW

Pressemitteilung Testbiotech

Pressemitteilung DNR

Gemeinsame Pressemitteilung zur Protestaktion vor dem Bundeslandwirtschaftministerium

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