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Ungelöste Verpackungskrise: Parlament schwächt Gesetz
EU-News | 23.11.2023
#Chemikalien #Kreislaufwirtschaft

Ungelöste Verpackungskrise: Parlament schwächt Gesetz

Müllhalde
© AdobeStock/vchalup
Müllhalde

Das EU-Parlament hat sich zur europäischen Verpackungsverordnung (Proposal Packaging and Packaging Waste –PPWR) positioniert. Harsche Kritik kommt von Umweltverbänden: Das Parlament habe im Sinne der Wegwerfindustrie Hoffnungen zur Reduzierung von Verpackungsmüll zunichte gemacht und scheinbar „im falschen Jahrhundert“ sowie „desaströs“ abgestimmt.

Mit 426 Ja- gegen 125 Nein-Stimmen bei 74 Enthaltungen hat das EU-Parlament am 22. November seine Position zu neuen EU-Regeln für Verpackungen angenommen, um den ständig wachsenden Abfall zu bekämpfen und Wiederverwendung sowie Recycling zu fördern. Insgesamt sollen die neuen Regeln dazu beitragen, weniger Verpackungen zu erzeugen, bestimmte Verpackungen einzuschränken oder zu verbieten sowie die Verwendung von „ewigen Chemikalien" in Verpackungen zu verbieten. Außerdem sollen Wiederverwendung und Nachfülloptionen für Verbraucher*innen gefördert werden.

Was die EU-Abgeordneten fordern

Die Abgeordneten setzen sich für folgende Ziele zur Reduzierung von Verpackungen ein: minus 5 Prozent bis 2030, minus 10 Prozent bis 2035 und minus 15 Prozent bis 2040. Reduktionsziele für Kunststoffverpackungen sollen aus Sicht des Parlaments ergänzt werden und noch etwas strenger sein: minus 10 Prozent bis 2030, 15 Prozent bis 2035 und 20 Prozent bis 2040.

Tüten und Einwegverpackungen: Der Verkauf von sehr leichten Plastiktragetaschen (unter 15 Mikrometer) werden verboten, es sei denn, sie sind aus hygienischen Gründen erforderlich oder werden als Primärverpackung für lose Lebensmittel verwendet, um Lebensmittelverschwendung zu vermeiden. Außerdem sollen bestimmte Einwegverpackungen eingeschränkt werden, wie beispielsweise Hotel-Miniaturverpackungen für Toilettenartikel und Schrumpffolie für Koffer in Flughäfen.

Um Gesundheitsschäden vorzubeugen, fordern die Abgeordneten ein Verbot der Verwendung von so genannten "forever chemicals" (per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen oder PFAS) und Bisphenol A in Verpackungen, die mit Lebensmitteln in Berührung kommen.

Endvertreiber von Getränken und Speisen zum Mitnehmen im Gastronomiebereich, wie Hotels, Restaurants und Cafés, sollten den Kund*innen ermöglichen, eigene Behälter für Speisen und Getränke zum Mitnehmen zu verwenden. Nach den neuen Vorschriften müssen alle Verpackungen wiederverwertbar sein und bestimmte Kriterien erfüllen, wobei vorübergehende Ausnahmen zum Beispiel für Lebensmittelverpackungen aus Holz und Wachs gelten sollen. Die Mitgliedstaaten sollen bis 2029 90 Prozent der in Verpackungen enthaltenen Materialien (Kunststoff, Holz, Eisenmetalle, Aluminium, Glas, Papier und Pappe) getrennt sammeln.

Reaktionen der Umweltverbände: Abfallvermeidung größtenteils vermieden

Eigentlich sollten mit dem Vorschlag die Rekordmengen an Verpackungsabfällen in Europa schrumpfen. Allerdings habe das Parlament – „eingeschüchtert durch eine beispiellose Lobbyarbeit“ - für die Streichung fast aller Bestimmungen zur Bekämpfung unnötiger Verpackungen sowie der meisten Wiederverwendungsziele für 2040 gestimmt, kritisierte das Bündnis Rethink Plastic Alliance. Einwegverpackungen für Gemüse und Obst, Einwegteller und -becher von Restaurants sowie Einwegbeutel und -becher werden nicht verboten.

Weitreichende Ausnahmeregelungen für Wiederverwendungsziele machten diese „praktisch unwirksam“ und sendeten ein „massiv negatives Signal an den aufstrebenden Wiederverwendungssektor und die Vorreiter der Kreislaufwirtschaft“. Die Zielvorgaben für die Wiederverwendung von alkoholfreien (20 Prozent im Jahr 2030 und 35 Prozent im Jahr 2040) und alkoholischen Getränken (10 Prozent im Jahr 2030 und 25 Prozent im Jahr 2040) wurden beibehalten, jedoch wurden Wein, Spirituosen und Milch aus dem Geltungsbereich herausgenommen, und die Zielvorgaben können auch durch Wiederbefüllung erreicht werden. Der gesamte Artikel 26 über die Wiederverwendungsziele unterliege einer weitreichenden Ausnahmeregelung, die für alle Sektoren gilt: Wenn die Mitgliedstaaten eine Sammelquote von mindestens 85 Prozent für ein bestimmtes Material erreichen oder planen, diese innerhalb von zwei Jahren zu erreichen, müssen sie die Wiederverwendungsziele nicht einhalten.

Immerhin wurden Anforderungen an Chemikalien in Verpackungen durch Änderungsvorschläge des Parlaments angenommen, die den „sehr schlechten Vorschlag der Kommission“ verbesserten. Damit würde die absichtliche Verwendung von PFAS und BPA in Lebensmittelverpackungen 18 Monate nach Inkrafttreten der Verordnung verboten.

Zero Waste bescheinigt dem EU-Parlament eine Haltung, „die der Zeit hinterherhinkt“. Auch die Ausnahmeregelungen für die Wiederverwendungsziele zeugten von einer „veraltete Haltung […], die der Abfallhierarchie widerspricht“. Die Gewährung von Ausnahmen und Befreiungen bei der Abfallvermeidung und Wiederverwendung, um die Industrie zu beschwichtigen, sei „inakzeptabel“.

Auch die Deutsche Umwelthilfe (DUH) kritisierte das Abstimmungsergebnis; „Statt endlich konsequent umweltfreundliche Mehrwegsysteme zu fördern, haben die EU-Parlamentarier und -Parlamentarierinnen alle Mehrwegquoten quasi unwirksam gemacht.“ Nun reiche es, Einweg-Verpackungen zu 85 Prozent getrennt zu sammeln, um von den Mehrwegquoten ausgenommen zu werden. Das EU-Parlament trete „die Abfallhierarchie mit Füßen“. Dringend notwendige Einweg-Verbote seien komplett gestrichen, weitere Schlupflöcher für Einweg-Papierverpackungen geschaffen worden. „Dadurch fällt kein Gramm weniger Müll an“, so DUH-Geschäftsführerin Barbara Metz. Nun komme es darauf an, dass der Rat der EU im Dezember ambitionierte Mehrwegvorgaben vorschlägt.

Historie und nächste Schritte

Im November 2022 hatte die EU-Kommission ihren Überarbeitungsentwurf zur europäischen Verpackungsverordnung (Proposal Packaging and Packaging Waste –PPWR) veröffentlicht (EU-News 01.12.2022). Am 24. April endete die Konsultation der EU-Kommission, an der sich auch zahlreiche Nichtregierungsorganisationen beteiligten (EU-News 26.04.2023). Nach vielen Änderungsanträgen auch vom Industrieausschuss (EU-News 11.10.2023) hatte der Umweltausschuss (ENVI) am 24. Oktober 2023 seine Position abgestimmt. Voraussichtlich im Dezember dürften die Mitgliedstaaten ihren Standpunkt abstimmen, so dass eine mögliche Einigung noch vor den Europawahlen im Frühjahr 2024 erfolgen könnte.

International wurde parallel zum dritten Mal über ein UN-Abkommen gegen Plastikmüll verhandelt. Die Diskussionen um den "Plastic Treaty" endeten am 19. November. [jg]

EU-Parlament: Kampf gegen Verpackungsmüll: Neue Regeln für den Umweltschutz sowie Briefing und Infografik

Rethink Plastic Alliance: Parliament trashes EU hopes to reduce packaging waste, siding with throwaway industry

Zero Waste: A position for the wrong century: European Parliament’s vote on the PPWR

DUH: Keine Lösung der Müllkrise

2021: 188,7 Kilogramm Müll pro Kopf – 32 Kilo mehr als noch 2011

Von Paketen für Online-Einkäufe bis hin zu Coffee-to-go-Bechern - Verpackungen sind fast überall. Im Jahr 2021 fielen in der EU 188,7 Kilogramm Verpackungsabfälle pro Einwohner*in an. Das sind 10,8 Kilogramm mehr pro Person als im Jahr 2020, der stärkste Anstieg seit zehn Jahren, und fast 32 Kilogramm mehr als im Jahr 2011.

Insgesamt fielen in der EU 84 Millionen Tonnen Verpackungsabfälle an, von denen 40,3 Prozent auf Papier und Pappe entfielen. Kunststoff machte 19,0 Prozent, Glas 18,5 Prozent Holz 17,1 Prozent und Metall 4,9 Prozent aus.

Im Jahr 2021 erzeugte jede in der EU lebende Person durchschnittlich 35,9 Kilogramm Verpackungsabfälle aus Kunststoff. Davon wurden 14,2 Kilogramm recycelt. Im Vergleich zu 2020 nahmen sowohl das Aufkommen als auch das Recycling von Kunststoffverpackungsabfällen zu: das Aufkommen stieg um 1,4 Kilogramm pro Kopf (+4,0 Prozent und das Recycling um +1,2 Kilogramm pro Kopf (+9,5 Prozent).

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