Vision selbstbestimmte Mobilität
Seit sieben Jahren verfolgt Changing Cities das Ziel, Städte lebenswerter zu machen, für Menschen, für den Radverkehr, fürs Klima. Mittels politischer Partizipation für Klimaschutz und Verkehrssicherheit will der Verein den Status quo ändern und die Verkehrswende aus der Zivilgesellschaft schaffen. Dafür arbeiten die CityChanger*innen künftig auch bundesweit daran, Wohnviertel vom Durchgangsautoverkehr zu befreien und sichere Schulwege zu schaffen. Als sozial gerechtes Verkehrsmittel spielt das Fahrrad dabei eine wichtige Rolle.
2016 sammelte die Initiative Volksentscheid Fahrrad innerhalb von dreieinhalb Wochen über 100.000 Unterschriften für sicheres und komfortables Radfahren in Berlin. Wir haben damit eine Bewegung in Gang gesetzt. Heute gibt es in Berlin das erste deutsche Mobilitätsgesetz und bundesweit mehr als 50 sogenannte Radentscheide, die zusammen auf über eine Million Unterschriften für die Verkehrswende kommen. Die Initiative „Volksentscheid Fahrrad“ hat Verkehr politisiert und die Stimmen aus der Zivilgesellschaft für einen Wandel kanalisiert. Verkehrspolitik findet nicht mehr nur in der Verwaltung statt, sondern wird von der Zivilgesellschaft vorangetrieben.
Wir sind damals angetreten für ein Mitspracherecht über die Verteilung und Nutzung des öffentlichen Raums. Wir haben Getötete im Verkehr skandalisiert, insbesondere wenn es sich dabei um ungeschützte Radfahrende und Fußgänger*innen, um Kinder und Ältere handelt, und wir haben die Politik dafür angeprangert, dass sie mit schlechter Infrastruktur diese Todesfälle in Kauf nimmt. Wir haben aufs Fahrrad als Hebel für die Verkehrswende gesetzt: Durch die Schaffung sicherer und komfortabler Radwege, von Abstellanlagen und sicheren Kreuzungen wird eine Umverteilung der Verkehrsflächen erreicht. Indem sich mehr Menschen trauen, aufs Rad umzusteigen, wird die Autoabhängigkeit verringert. Das Fahrrad ist ein sozial gerechtes Verkehrsmittel. Es ist günstig im Betrieb und Erwerb, einfach zu bedienen und voraussetzungarm, da kein Führerschein erforderlich ist.
Mit dem gemeinnützigen und spendenfinanzierten Verein Changing Cities, der aus der Initiative Volksentscheid Fahrrad hervorging, setzen wir uns dafür ein, die Verkehrswende aus der Zivilgesellschaft heraus voranzubringen. Mittlerweile hat sich unser Fokus über den Radverkehr hinaus auf die Gestaltung öffentlicher Räume und die Ermöglichung von selbstbestimmter Mobilität für alle erweitert. Ein Schwerpunkt unserer Aktivitäten betrifft das Umdenken und Umsteuern weg von der Autoabhängigkeit. Es muss leicht, sicher und angenehm sein, zu Fuß unterwegs zu sein oder mit dem Rad zur Arbeit oder an den See zu fahren. Die Straßen und Plätze müssen grüner und ruhiger und für andere Nutzungen als Parken und Autofahren geöffnet werden.
Wenig Wandel auf der Straße, viel in den Köpfen
Veränderungen sind mühsam und träge, so auch bei der Wende im Verkehr. Bisher ist weder in Berlin noch in anderen Städten ein echter Wandel auf den Straßen angekommen. Die Verkehrswende wird vielerorts und auf allen politischen Ebenen ausgebremst. Das gilt auch für Berlin, trotz vieler Erfolge und des geltenden Mobilitätsgesetzes. Um jede sichere Kreuzung und jede Fahrradstraße wird gerungen, und der Ausbau des Radnetzes kommt nur schleppend voran. Stand heute (Februar 2023) wurden seit Inkrafttreten des Gesetzes 2018 von den bis 2030 erforderlichen 2.698 Kilometern (km) Radwegen gerade mal 113 km fertiggestellt. Das sind nur 4,2 Prozent.
Auf der Straße kommt zu wenig an, dafür hat sich in den Köpfen schon viel getan. Mit unserer Kampagne #Kiezblocks arbeiten wir in Berlin und künftig auch bundesweit daran, Wohnviertel vom Durchgangsautoverkehr zu befreien. Mit #100Schulzonen setzen wir uns in Zusammenarbeit mit Schulen und Eltern für sichere Schulwege ein. Dank unserer Arbeit schießen lokale Initiativen wie Pilze aus dem Boden und mobilisieren weitere Nachbar*innen, Kolleg*innen und Eltern. Dieses Engagement zeigt, dass die Zivilgesellschaft der Politik voraus ist und Rückhalt in der Bevölkerung für eine neue Verkehrspolitik vorhanden ist.
Es gibt jedoch nicht nur Befürworter*innen der Verkehrswende. Die Wiederholungswahl in Berlin Mitte Februar machte deutlich, wie sich die Verkehrspolitik instrumentalisieren lässt, um die Gesellschaft in ein „Für und Wider das Auto“ zu spalten. Verkehrspolitik war eines der Top-Themen im Wahlkampf und die CDU versprach den Wähler*innen, man würde ihnen die Autos nicht wegnehmen – als hätte das jemand in der kommenden Legislatur vor. Die Grünen befeuerten die Spaltung mit dem Sperren der Friedrichstraße für den Autoverkehr wenige Wochen vor der Wahl. So wurden einige Hundert Meter Straße zu einem Symbol des vermeintlichen Kampfs gegen das Auto hochstilisiert, obwohl die Umwidmung lange vorher geplant und angekündigt war.
Umkehr braucht Konzepte
Breite Akzeptanz für die Maßnahmen der Verkehrswende ist wichtig und Widerstände müssen ernst genommen werden. Allerdings darf dabei nicht vergessen werden, dass es nicht nur um Präferenzen für oder gegen das Autofahren geht. Die Wissenschaft ist da eindeutig: Die Anzahl der Autos und der motorisierte Verkehr müssen verringert werden. Es steht viel auf dem Spiel, Vision Zero, Klimaschutzziele, Unabhängigkeit von fossiler Energie, soziale Teilhabe und Bewegungsfreiheit für alle, die sich nicht mit einem Auto fortbewegen. Die politische Führung in Deutschland muss mit Konzepten aufwarten, wie die breite Akzeptanz für die Verkehrswende erhöht werden kann. Die unter Konservativen beliebte Losung, dass es nur mit Freiwilligkeit klappt und keine*r zum Autoverzicht gezwungen werden kann, ist ein Irrlicht. Der Staat hat viele Werkzeuge, die er ganz selbstverständlich und dauernd einsetzt, um individuelles Verhalten in bestimmte Bahnen zu lenken. So wird ein Zusammen- und Überleben überhaupt erst möglich.
Wir als zivilgesellschaftliche Bewegung tun unseren Teil und arbeiten an der Basis weiter daran, möglichst viele unterschiedliche Menschen in ihren Wohnvierteln zu erreichen, ihre Ideen und Anforderungen an die Gestaltung ihres Umfelds aufzunehmen und sie zu mobilisieren, selbst aktiv für die Verkehrswende zu werden.
Die Autorin
Kerstin Stark ist Mitgründerin und seit 2020 ehrenamtlich im Vorstand von Changing Cities. Sie gehörte zum Team, das für die Initiative Volksentscheid Fahrrad das Mobilitätsgesetz von Berlin verhandelt hat. Die promovierte Soziologin arbeitet in der Mobilitätsforschung.