Weltmeere gemeinsam schützen
97 Prozent der globalen Wasservorkommen liegen in den Weltmeeren. Ozeane bergen eine reiche biologische Vielfalt, die aber unter anderem durch Überfischung und zahlreiche Verschmutzungsquellen gefährdet ist. So schaden Schweröl von der Schifffahrt, Ackergifte, die über Flüsse ins Meer fließen und Plastikmüll dem Ökosystem Meer. Auch für den Klimaschutz hat das Meer eine wichtige Funktion. Wie Deutschland diese Funktion – national und international – erhalten will, darüber sprechen wir mit Sebastian Unger, dem Meeresbeauftragten der Bundesregierung.
„Meerespolitik neu denken“ stand im Titel Ihres Vortrags beim Meeresumwelt-Symposium im Mai in Hamburg. Was ist das Neue, das Sie meinen?
Meeresschutz muss als zentrale Herausforderung unserer Gesellschaft verstanden werden. Meerespolitik ist kein Thema, das nur die Küsten oder die Bewohner in den Bundesländern an Nord- und Ostsee angeht, sondern uns in Deutschland und als Menschheit insgesamt. Die Meere sind eine Art Indikator dafür, wie nachhaltig wir leben, wie wir mit unseren natürlichen Ressourcen umgehen. Vieles, was uns in den Meeren Probleme bereitet, wird an Land verursacht. Wir brauchen daher dringend eine integrierte Perspektive, um die Probleme in den Meeren in den Griff zu kriegen. Das wollen wir zukünftig noch stärker mit der Meeresstrategie der Bundesregierung in den Mittelpunkt stellen. Die Meere spielen so auch eine entscheidende Rolle im Kampf gegen die Klimakrise. Das Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz enthält daher eine wichtige Komponente für die Meere und Küsten – hier werden wir Klimaschutz und Meeresnaturschutz in Zukunft gemeinsam voranbringen.
Neben der integrierten Perspektive braucht es die internationale. Das UN-Abkommen zum Schutz der Hochsee ist unter Dach und Fach. Aber auch an den heimischen Küsten gibt es viel zu tun. Wie sieht es aus mit den Managementplänen für die Schutzgebiete in der Ostsee?
Tatsächlich haben wir mit dem UN-Abkommen einen Riesenerfolg erzielt. Dieser Schritt ist von historischer Bedeutung. Wir sind erstmals in der Lage, auf der Hochsee Meeresschutzgebiete einzurichten, mit dem Ziel mindestens 30 Prozent der Weltmeere unter Schutz zu stellen. Wie gesagt muss man die Meere als einen zusammenhängenden Raum betrachten, der nicht an vom Menschen gezogenen Grenzen haltmacht. Natürlich müssen wir daher auch vor der eigenen Haustür in der Nord- und Ostsee effektiven Schutz umsetzen und zum Beispiel ausreichende Ruhe- und Rückzugsräume für bedrohte Arten, wie den Schweinswal, einrichten.
Deutschland hat das 30-Prozent-Ziel auf dem Meer schon erreicht und sogar getoppt. Ist doch gut, oder?
Das Positive ist in der Tat, dass wir schon weit über 40 Prozent an Meeresschutzgebieten ausgewiesen haben. Nur können wir nicht zufrieden sein mit der Art und Weise, wie diese Gebiete genutzt werden. Wir haben Managementpläne, die darin festgelegten Schutzmaßnahmen werden auch umgesetzt, aber wir müssen besser werden bei der Vermeidung von bestimmten Nutzungen, die das, was wir eigentlich in diesen Gebieten schützen wollen, stören. Wir wollen beispielsweise mindestens zehn Prozent von der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) in unseren Meeresgebieten streng schützen, das heißt, dass wir die freihalten wollen von schädlicher Nutzung. Das ist ein ganz wichtiger Schritt. Wir haben beispielsweise schon erste Einschränkungen in der Fischerei für die Nordsee vereinbaren können. Das sind komplexe und leider langwierige Prozesse, weil wir uns bei der Fischerei mit unseren europäischen Nachbarländern abstimmen müssen.
Haben die Bundesländer, die Meeresanrainer sind, da auch ein Wörtchen mitzureden?
Genau, das macht die ganze Sache noch komplizierter. In den Küstengewässern, raus bis zu zwölf Seemeilen, sind tatsächlich die jeweiligen Bundesländer für den Meeresschutz zuständig. Wir als Bund haben die Zuständigkeit für die Schutzgebiete in der Ausschließlichen Wirtschaftszone. Das ist der Bereich, der sich an die zwölf Seemeilen anschließt. Auch hier können wir nicht allein tätig werden, bei jeder Aktivität müssen wir über unterschiedliche Kanäle agieren. Über die Fischerei sprach ich schon. Bei der Schifffahrt ist es zum Beispiel eine UN-Behörde, die Internationale Seeschifffahrts-Organisation, die IMO.
Wie schaut es aus mit dem „guten ökologischen“ Zustand, den die Meere der EU-Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie zufolge bis 2020 erreicht haben sollten?
Beim Meeresschutz haben wir ein ganzes Set von Maßnahmen zur Regulierung. Die Bewahrung der Meeresschutzgebiete ist ein zentraler Bestandteil. Von großer Bedeutung ist aber auch, dass wir die Verschmutzung der Meere in den Griff kriegen. Die Meere sind ja durch die dreifachen planetaren Krisen in keinem ökologisch guten Zustand: einerseits durch die Auswirkungen der Klimakrise, die wir immer deutlicher sehen, durch den Verlust der Biodiversität und die Verschmutzung. Auch gegen die Verschmutzung müssen wir noch deutlich Fortschritte machen. Da geht es um Einträge von Schadstoffen, von Nährstoffen, aber auch Plastikmüll. Das ist alles sehr besorgniserregend. Wir müssen bei der Umsetzung der EU-Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie unsere Maßnahmen engagiert weiter vorantreiben. Es wurden erste Fortschritte erzielt, beispielsweise bei den Einträgen von Nährstoffen, aber es sind weitere Anstrengungen dringend notwendig. Zudem haben wir über unsere Regionalkonventionen, etwa OSPAR (Übereinkommen zum Schutz der Meeresumwelt des Nordost-Atlantiks, Oslo-Paris Konvention; die Red.) und für die Ostsee die Helsinki-Konvention, wo wir mit unseren Nachbarstaaten zusammenarbeiten, gemeinsame Ziele und Maßnahmen verabredet. Denn wir können die Meere nur gemeinsam mit unseren Nachbarn effektiv schützen.
Die Ozeane haben ja auch keine natürlichen Grenzen …
Wir sprechen sogar gern von dem einen Ozean. Das ist im Grunde genommen auch das Bild, was sehr sinnvoll ist und zeigt, dass die Grenzen von uns Menschen gezogen wurden, aber Ökosysteme, Arten und leider auch die Meeresverschmutzung grenzüberschreitend sind.
Wie lassen sich Status und Qualität in den Meeresschutzgebieten überhaupt messen?
Zunächst betrachten wir die Meere insgesamt. Wir schauen uns nicht nur den Zustand der Meeresschutzgebiete an, sondern machen ein aufwendiges Monitoring, also eine dauerhafte Umweltbeobachtung. Da sammeln wir aussagekräftige Daten und Information zu Indikatoren, die beispielsweise in der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie vorgegeben sind, aber auch durch unsere regionalen Abkommen. Es werden regelmäßig Zustandserfassungen gemacht, gerade jetzt haben wir zum Beispiel auch für OSPAR einen umfassenden Zustandsbericht für den Nordostatlantik erstellt, der im September herauskommen wird. Über solche Zustandsbewertungen können wir dann ableiten, welche Maßnahmen zu ergreifen sind, um den Schutz zu verbessern. Für die Meeresschutzgebiete konkret machen wir unterschiedliche Erfassungen, die sich dann an den Schutzgütern orientieren. Zum Beispiel Zählungen von bestimmten geschützten Seevogelarten, oder das Monitoring zum Teil auch von Unterwasser-Lebensräumen. Wir sind jetzt noch einen Schritt weitergegangen: In unseren Meeresschutzgebieten haben wir schwimmende Messstationen, sogenannte Datentonnen, ausgebracht, mit denen wir unter anderem Informationen über Schweinswale erfassen können oder auch abiotische, hydrologische Daten, zum Beispiel Wassertemperatur oder Strömungsdaten.
Beim Runden Tisch Meeresmüll im Frühsommer forderte Bundesumweltministerin Steffi Lemke, Plastik von vornherein zu vermeiden, um die enorme Verschmutzung der Meere damit zu stoppen. Welche Maßnahmen sind nötig, um den Plastikabfall, der bereits in den Ozeanen weltweit herumschwimmt, zu beseitigen?
Unsere absolute Priorität ist das Vermeiden an Land. Das gilt auch für Nährstoffe aus der Landwirtschaft. Es gab eine Verschärfung des Düngerechts. Beim Plastikmüll geht es um Fragen, wie wir unsere Abfall- und Kreislaufwirtschaftsgesetzgebung stärken können. Das geschieht national, aber auch im europäischen Kontext über verschiedene EU-Richtlinien. Das Ziel muss immer die Reduzierung an der Quelle sein. Und die Schaffung von Zirkularität. Das ist die Riesen-Herausforderung, vor der wir stehen. Wir werden uns nicht aus dieser Plastikkrise heraus recyceln können. Zum Herausfischen von Plastikmüll: Das schätzen wir eher kritisch ein, und es gibt durchaus auch Stimmen aus der Wissenschaft, die sogar davor warnen. Wenn Plastik lange in der Meeresumwelt schwimmt, wird es oft von Arten besiedelt und durch das Herausfischen kann es zu einer negativen Beeinflussung bestimmter Arten kommen. Das bedeutet, dass mit dem Plastik dann auch direkt Biomasse abgegriffen wird. Das Problem ist auch die schiere Menge. Und vieles von dem Makroplastik wird zu Mikroplastik und das ist aus der Umwelt nicht wieder herauszukriegen.
Kommen wir zum Konfliktfeld Energiewende – Naturschutz: Wie lässt sich der Ausbau der Offshore-Windkraft mit dem Meeresschutz vereinbaren?
Auch aus Meeresschutzsicht sind wir darauf angewiesen, dass die Energiewende erfolgreich vorangebracht wird. Natürlich gibt es dabei Zielkonflikte, nämlich dann, wenn bedrohte Lebensräume und Arten durch den Ausbau betroffen sind. Diese adressieren wir unter anderem durch wirksames Management in der deutschen AWZ, zum Beispiel indem wir geschützte Lebensräume wie Riffe, die jetzt in keinem guten Erhaltungszustand sind, aufwerten und so auch eine bessere Vereinbarkeit fördern. So kümmern wir uns auch um die Wiederansiedlung von ausgestorbenen Arten, wie die europäische Auster, um die Meeresumwelt in ihrer Gesamtheit zu stärken. Wichtig ist natürlich eine gute Planung und auch immer wieder im Einzelfall zu schauen, wie der Ausbau der Offshore-Windenergie naturverträglich erreicht werden kann.
Welches Meer von unserer Haustür bevorzugen Sie persönlich? Die Nordsee oder die Ostsee?
Ich habe wirklich eine große Leidenschaft für beide Meere mit zwei besondere Lieblingsinseln, die ich immer wieder besuche – die eine ist eine raue Nordseehallig, auf der ich meinen Zivildienst im Wattenmeer verbracht habe und die andere, auf der ich viel Zeit im Studium verbringen durfte, liegt mit ihren weißen Sandstränden, Steilküste und Dünen in der Ostsee.
Das Interview führte Marion Busch.
Der Interviewpartner
Sebastian Unger ist seit dem 1. September 2022 Unterabteilungsleiter Meeresschutz im BMUV. Er ist ein international anerkannter Experte für Meeres-Governance, Meeresschutz und nachhaltige Meeresnutzung.