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Auf Messers Schneide – die europäische Klimapolitik zwischen Aufbruch und Verharren
News | 09.12.2020
#Klima und Energie #EU-Umweltpolitik

Auf Messers Schneide – die europäische Klimapolitik zwischen Aufbruch und Verharren

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C. Stefan Hölting

Während ich diese Zeilen schreibe, hätte eigentlich der UN-Klimagipfel in Glasgow in die letzten Verhandlungsrunden gehen sollen. Es sollte eine wichtige Klimakonferenz werden – erstmals nach Verabschiedung des Pariser Klimaabkommens sollten alle Vertragsstaaten ihre Beiträge zum Erreichen der Klimaziele erhöhen. Das ist auch bitter nötig, denn nahm man die bisherigen Anstrengungen zusammen, erhöhte sich 2019 die Erderwärmung auf drei bis vier Grad – weit entfernt von den Zielen des Abkommens.

Es kam anders. Die Covid19-Pandemie brachte im Frühling dieses Jahres das Leben und die Politik durcheinander. Die Klimakonferenz in Glasgow wurde auf 2021 verschoben. Mit hinein in diese Entscheidung spielte die Sorge, dass während einer Pandemie und der daraus resultierenden Wirtschaftskrise kein guter Moment sein könnte, die Weltgemeinschaft endlich zu einem ernsthaften Anpacken der Klimakrise zu bewegen. Dass durch die Pandemie auch die weltweite Fridays For Future-Bewegung in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt wurde, ließ Böses ahnen für die nahe Zukunft der europäischen Klimapolitik. Auch der vorübergehend deutliche Rückgang an Klimagasen aufgrund der in vielen Ländern verordneten Ausgangsbeschränkungen und des zeitweisen Herunterfahrens der Industrie konnte wie erwartet nur ein sehr kurzfristiges Phänomen bleiben.

"Der Druck des Europäischen Parlaments, der sich direkt aus den von den Klimaprotesten nachhaltig geprägten Europawahlen 2019 speist, wirkt. Mit der Parlamentsposition eines Minderungsziels von mindestens 60 Prozent kommt die realpolitische Diskussion erstmals in die Nähe eines Ziels, das auf dem 1,5-Grad-Pfad liegen könnte."
Antje Mensen, Referentin des DNR für EU-Klima- und Energiepolitik

Leicht hätte das Jahr zu einem „Lost Weekend“ des Klimaschutzes werden können

Schnell und vorhersehbar wurden im Frühling Stimmen laut, die einen Stopp des Europäischen Green Deals von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen forderten. Doch dann geschah etwas Überraschendes: Die Stimmen verhallten weitgehend ungehört. Ihnen wurde von vielen Seiten die Erkenntnis entgegengesetzt, dass der Europäische Green Deal gute Ansätze für eine klimafreundliche Erholung bietet, um die Konjunktur der europäischen Wirtschaft nicht wahllos wieder anzukurbeln, sondern mit den üppigen staatlichen Geldern direkt mit einem starken und gezielten Modernisierungsschub versehen aus der Krise zu führen.

Im September schlug die Kommission mit einem Klimaziel von mindestens 55 Prozent für 2030 dann tatsächlich den höchsten Wert ihrer im Green Deal vorgesehenen Zielspanne von 50 bis 55 Prozent vor. Dass dies möglich werden konnte, demonstriert die Stärke und Resilienz, die das Thema Klimaschutz mittlerweile in der Gesellschaft hat. Der Druck des Europäischen Parlaments, der sich direkt aus den von den Klimaprotesten nachhaltig geprägten Europawahlen 2019 speist, wirkt. Mit der Parlamentsposition eines Minderungsziels von mindestens 60 Prozent kommt die realpolitische Diskussion erstmals in die Nähe eines Ziels, das auf dem 1,5-Grad-Pfad liegen könnte. Die Diskussion unter den EU-Mitgliedstaaten gilt als schwierig, aber nicht unlösbar. In Anbetracht der Herausforderungen, die das neue Ziel gerade auch in den mittel- und osteuropäischen Ländern mit sich bringen wird, ist das eine gute Nachricht.

Der internationale Druck ist groß

Am 12. Dezember jährt sich der Vertragsabschluss über das Pariser Klimaabkommen zum fünften Mal. Anlässlich dieses Jubiläums lädt die britische Regierung als Gastgeberin der Klimakonferenz gemeinsam mit dem UN-Generalsekretär António Guterres zu einem UN-Ambitionsgipfel ein. Direkt davor wollen sich die EU-Staats- und Regierungschefs auf ihr neues Klimaziel einigen. Ganz schön auf Kante genäht. Aber es muss klappen, denn was wäre ein UN-Ambitionsgipfel, bei dem die EU mit leeren Händen dasteht? Das wäre eine internationale Blamage für die EU unter deutscher Ratspräsidentschaft und äußerst schädlich für die fragile internationale Dynamik, die mit aktuellen Entscheidungen von China, Japan und Südkorea sowie dem Wahlsieg von Joe Biden endlich Fahrt aufnimmt.

Die europäische Klimapolitik hat also in diesem Jahr zwar nicht einen 1,5-Grad-Pfad eingeschlagen, aber dennoch gibt es Anlass zu Optimismus, dass die positive Dynamik uns zum Jahresende und bei den dann anstehenden Verhandlungen zwischen EU-Rat und -Parlament einen wichtigen Schritt näher an das Pariser Abkommen bringt. Parallel zu diesen optimistisch stimmenden Tendenzen gibt es allerdings das Problem, dass im Laufe des Jahres eine Reihe sehr klimaschädlicher Beschlüsse gefasst wurden: Prominentestes Beispiel ist wohl die umwelt- und klimaschädliche Reform der Gemeinsame Agrarpolitik (siehe Artikel von André Prescher). Aber auch die windelweichen Beschlüsse der EU-Staats- und Regierungschefs zur Knüpfung von Corona-Wiederaufbaugeldern an das Vorantreiben des Klimaschutzes und die Förderfähigkeit von Gasinfrastruktur über diese Gelder sowie die neue Berechnungsform des EU-Klimaziels, die uns etwa drei Prozentpunkte an Ambition kosten könnte, zeigen: In entscheidenden Details setzten sich in diesem Jahr erneut häufig die Zauderer durch und sorgten für eine Verwässerung der Gesetzgebung.

2021 entscheiden Details unsere Zukunft

Nach den wichtigen Verhandlungen zwischen Rat und Parlament über das neue Klimaziel als Taktgeber der Transformation, die in den ersten Monaten des kommenden Jahres abgeschlossen werden müssen, wird sich alles um das Wie drehen. Im Juni 2021 wird die EU-Kommission einen ganzen Schwung an Reformen der klima- und energiepolitischen Gesetzgebung vorlegen. Wird der Überschuss an CO2-Zertifikaten wirksam reduziert und ab wann soll die schnellere Verknappung der Zertifikate greifen? Kommt das Ende der kostenlosen Zuteilung für die energieintensive Industrie? Werden die nationalen Klimaziele an das neue EU-Ziel angepasst? Wird die europäische Energiewende schneller und verbindlicher vorangetrieben?

Diese und viele weitere Detailfragen entscheiden darüber, ob in den nächsten Jahren die Transformation die notwendige Fahrt aufnimmt. Details, bei denen inmitten des Wahlkampfes in Deutschland schwere Debatten auf die Umweltverbände zukommen. Details, bei denen wir gewinnen müssen.

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Die Autorin

Antje Mensen ist Referentin für EU-Klima- und Energiepolitik beim Deutschen Naturschutzring. Sie arbeitet seit zehn Jahren für den Umweltdachverband.

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