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Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzorganisationen
News | 09.12.2020
#Klima und Energie #EU-Umweltpolitik

Vision Klimaneutralität

Klima_Schlot_c._Pixabay
c. pixabay

Wenn die Erde bis 2050 treibhausgasneutral werden soll, muss sich die Weltgemeinschaft noch mächtig anstrengen. Das Leitinstrument, um dieses Ziel zu erreichen, ist ein CO2-Preis nicht nur für Energie, sondern auch für Wärme und Verkehr, findet Brigitte Knopf.

In 30 Jahren soll auf unserem Planeten Klimaneutralität, besser gesagt: Treibhausgasneutralität, herrschen – jedenfalls streben dies Deutschland, die Europäische Union, oder auch China an. Und endlich sind die USA wieder mit im Boot. Was sehen Sie in der Glaskugel, wenn Sie ins Jahr 2050 blicken?

Wissenschaft und Glaskugel, das verträgt sich nicht. Als Wissenschaftlerin denke ich eher in Szenarien. Und für das Jahr 2050 sehe ich da zwei ganz unterschiedliche denkbare Entwicklungen. Das positive Szenario wäre, dass wir 2050 rückwirkend sagen können: 2020 war das Jahr, in dem wir es geschafft haben, die Emissionskurve runterzubiegen, in dem wir in ambitionierten Klimaschutz eingestiegen sind und uns in Richtung eines Zustands bewegen, in dem wir vielleicht noch minimal emittieren, das aber ausgleichen können. Wir haben dann zur Jahrhundertmitte ein Gesellschafts- und Wirtschaftssystem geschaffen, das auf netto null Emissionen beruht. Und wir haben damit zugleich einen Boom in der Wirtschaft ausgelöst, der nachhaltig ist, haben ein anderes Wirtschaften aufgebaut und höhere Lebensqualität in Städten geschaffen. Das ist das Positiv-Szenario. Aber ich sehe auch, dass wir auf einer Kippe stehen. Es ist auch möglich, dass man 2050 sagen wird: 2020 war das Jahr der großen Ankündigungen, und dann ist wieder viel zu wenig passiert. Wir sind in den Klimaschutz eingestiegen, haben uns bemüht, aber letztlich hat es eben nicht gereicht, um treibhausgasneutral zu werden. Und wir werden dann 2050, und auch schon deutlich früher, stark mit den Folgen des Klimawandels kämpfen müssen. In Deutschland können das Hitzewellen sein, in anderen Ländern Überschwemmungen oder Dürren, die sich auf die Ernährungssicherheit auswirken. Ich sehe da also zwei ganz unterschiedliche Welten für das Jahr 2050, und es ist noch nicht entschieden, wohin es geht. Auch wenn ich sagen muss, dass es 2020 viele positive Entwicklungen gegeben hat.

International ist China stark vorgeprescht mit der Ankündigung, bis 2060 Klimaneutralität zu erreichen. Wie bewerten Sie diese Bemühungen und was bedeutet das für die internationale Klimadiplomatie?

China nehme ich als ambivalent wahr. Ich war positiv überrascht, dass sie im September gesagt haben, sie wollen bis 2060 CO2-neutral werden. Das war ein bemerkenswertes Statement, zumal da noch nicht klar war, wie die Wahl in den USA ausgehen würde. Hätte Donald Trump die Wahl um die US-Präsidentschaft gewonnen, wären die USA endgültig aus dem Pariser-Klimaabkommen ausgestiegen, und trotzdem kündigte China das an. Und mehr noch: Sie sagen überdies, dass sie vor 2030 die Emissionskurve senken wollen. Politiker tun sich relativ leicht, etwas für 2050 oder 2060 zu versprechen, also für die ferne Zukunft, wahrscheinlich sogar außerhalb ihrer eigenen Lebenszeit. Ich bin aus zwei Gründen ein wenig skeptisch. Erstens sind es bisher nur Worte – die Chinesen haben auch immer gesagt, sie wollen einen nationalen Emissionshandel einführen, doch das verzögert sich permanent. Zweitens wird in China diskutiert, im Rahmen der Corona-Wiederaufbaupakete weiter in Kohle zu investieren – das passt überhaupt nicht zusammen, weil die Kohle unser größtes Problem ist. Man sollte also nicht zu gutgläubig sein. Andererseits aber wird Klimaschutz ohne China und ohne die USA nicht gelingen.

Wie sehen Sie die Dynamik zwischen EU und China? Inwieweit schauen die beiden aufeinander?

Ich nehme wahr, dass die Chinesen ihren sehr eigenen Weg verfolgen. Aber es gibt eben auch starke Bemühungen, die Klimadiplomatie voranzubringen, sowohl zwischen Deutschland und China als auch zwischen der EU und China. Es gibt sicherlich die Chance, dass bei der Klimafrage eine Annäherung entsteht.

Was erhoffen Sie sich von dem neuen US-Präsidenten?

Joe Biden nimmt das Klimathema auf jeden Fall ernst. Er hat schon im Wahlkampf einen großen Klimaplan vorgestellt. Wenn man den genauer anschaut, sieht man freilich: Nicht alle dort aufgelisteten Ausgaben sind „grüne“ Investitionen. Aber das Wichtigste ist jetzt erst einmal, dass die USA international ein Signal setzen, dass sie dem Pariser Abkommen wieder beitreten. Auch wenn Biden als US-Präsident womöglich mit einer Mehrheit der Republikaner im Senat leben muss und zudem natürlich auch stark auf Arbeitsplätze und die Stimmung im eigenen Land schauen muss: Bei der internationalen Klimadiplomatie erhoffe ich mir schon einiges, das wird sich in der G7, bei der G20 und auch bei den Klimagipfeln bemerkbar machen. Und national könnten die Hilfs- und Konjunkturprogramme im Zuge der Corona-Pandemie ein Vehikel sein, die Investitionen in eine klimafreundliche Richtung zu lenken.

Zurück zur EU: In ein paar Tagen jährt sich das Pariser Abkommen zum fünften Mal. Neben den Emissionsminderungen wurde festgelegt, dass Industrieländer bis 2020 jährlich mindestens 100 Milliarden US-Dollar in die Maßnahmen investieren, die zur Einhaltung der Ziele erforderlich sind. Dies soll vor allem Entwicklungsländern im Kampf gegen den Klimawandel helfen. Hat die EU ihre Hausaufgaben gemacht?

Die EU macht die Klimadiplomatie, aber die Zuständigkeit für die Beiträge im Rahmen der Klimafinanzierung liegt auf nationaler Ebene. Deutschland plant für 2020 mit etwa 4 Milliarden Euro, aber insgesamt werden die 100 Milliarden wahrscheinlich verfehlt. Ich glaube allerdings, wir müssen bei der Klimafinanzierung umdenken und sie auch an Bedingungen in den Empfängerländern knüpfen. Bisher werden vor allem bedingungslose Transfers vergeben. Aus meiner Sicht kommt es darauf an, die Vergabe an Klimaschutzbemühungen in den Empfängerländern zu koppeln.

Zum Beispiel?

Das heißt zum Beispiel, dass sich Klimaschutzinvestitionen rechnen müssen. Und für die Geberländer oder Kreditvergabe muss da ein impliziter CO2-Preis mitgedacht werden. Interessant ist, was die Europäische Investitionsbank (EIB) jetzt macht: Die nimmt für die Kreditvergabe einen impliziten CO2-Preis an. Heute würde sich eigentlich ein Kohlekraftwerk noch lohnen, weil der CO2-Preis zu niedrig ist. Die EIB kalkuliert mit 250 Euro für 2030, also ein richtig hoher Preis. Damit würden sich Investitionen in Erneuerbare mehr lohnen. Zum anderen müssten die Empfängerländer nachweisen, dass sie tatsächlich selbst in Klimaschutz investieren. Aber auf der internationalen Bühne ist das ein heikles Thema, weil bei diesen konditionalen Transfers schnell der Vorwurf von Neokolonialismus im Raum steht. Aber wir brauchen eine Debatte darüber, wie diese Gelder vor Ort ausgegeben werden.

Sie haben selbst mit dem Berliner Klimaforschungsinstitut MCC am Arbeitspapier „Optionen für eine CO2-Preisreform“ mitgearbeitet. Worum ging es da genau?

Bei dem Gutachten ging es um die Fragen: Wie können wir in den Sektoren Wärme und Verkehr eine CO2-Bepreisung einführen und warum brauchen wir überhaupt einen CO2-Preis? Deutschland ist ja bereits in einen europäischen Emissionshandel eingebunden, mit dem sind der Stromsektor und Teile der Industrie abgedeckt. Aber im Verkehrs- und Wärmesektor gab es eben bislang keinen Preis. Deutschland hat sich gegenüber seinen europäischen Partnerstaaten verpflichtet, die Emissionen in diesen Sektoren bis 2030 deutlich zu reduzieren. Unserer Ansicht nach braucht es hierfür, neben einigen anderen Instrumenten, vor allem einen CO2-Preis, der ausreichend Lenkungswirkung entfalten kann, damit Innovationen weg von fossilen hin zu erneuerbaren Energien umgeleitet werden. Das könnte zum Beispiel über eine CO2-Steuer erreicht werden oder über einen nationalen Emissionshandel für Wärme und Verkehr – beide Varianten haben wir exploriert. Im September 2019 hat die Bundesregierung beschlossen, einen Emissionshandel für Wärme und Verkehr einzuführen. Das ist ein gangbarer Weg, aber aus unserer Sicht ist der Preispfad zu niedrig.

 

"Der CO2-Preis müsste das zentrale Leitinstrument, sozusagen das Gerüst werden, unter dem dann weitere Instrumente und Maßnahmen aufgehängt werden. [...] Auf europäischer Ebene ist es essenziell, den Rahmen für die CO2-Bepreisung zu schaffen – über die Ausweitung des jetzigen Emissionshandels oder den Aufbau eines zweiten Systems für Verkehr und Wärme. Der CO2-Preis würde nämlich fundamental am Verursacherprinzip ansetzen. Bisher darf jeder einfach CO2 in die Atmosphäre emittieren, und die Kosten für die Klimaschäden trägt dann die Allgemeinheit. Das bedeutet ein fundamentales Gerechtigkeitsproblem, und ein CO2-Preis würde genau da ansetzen: Wer die Schäden verursacht, der zahlt auch dafür."
Brigitte Knopf, Generalsekretärin des Forschungsinstituts MCC

In wenigen Tagen steht auf dem EU-Gipfel eine mögliche Einigung der Staats- und Regierungschefs auf ein neues Klimaziel für 2030 an. Die Kommission hat ein Netto-Ziel von 55 Prozent vorgeschlagen, das EU-Parlament fordert eine 60-prozentige Minderung und Umweltverbände mindestens minus 65 Prozent. Worauf muss sich die EU kurz vor dem Jahrestag von Paris einigen?
Ich glaube nicht, dass es auf mehr als 55 Prozent Treibhausgasminderung gegenüber dem Referenzjahr 1990 hinauslaufen wird. Und ich denke auch, wenn die osteuropäischen Staaten dem zustimmen, ist das ein sehr guter Schritt nach vorne. Mit dem 55-Prozent-Ziel wären wir durchaus auf einem kompatiblen Pfad hin zur angestrebten Treibhausgasneutralität 2050. Ich hoffe sehr, dass der EU-Rat das beschließt. Nur: Damit darf die Aufgabe natürlich nicht aufhören! Seit dem Abkommen von Paris hat sich niemand wirklich um die Umsetzung gekümmert und deshalb finde ich jenseits der Prozentzahl viel wichtiger, zu schauen, welche die Schritte für die Umsetzung sind. Für mich ist daher das nächste halbe Jahr entscheidend. In der ersten Hälfte 2021 wird die EU-Kommission sehr viele Vorschläge für Direktiven vorlegen, wie man das Ziel operationalisieren kann, um es zu erreichen. Ein wichtiger Baustein aus meiner Sicht ist, die CO2-Bepreisung europäisch auszubauen und voranzutreiben. Die Umsetzung ist mindestens so wichtig wie Zielverschärfung selbst.

Welche Maßnahmen müssen denn in der EU und in Deutschland neben der CO2-Bepreisung eingeführt werden, um die Erderhitzung noch zu stoppen?
Auf europäischer Ebene ist es essenziell, den Rahmen für die CO2-Bepreisung zu schaffen – über die Ausweitung des jetzigen Emissionshandels oder den Aufbau eines zweiten Systems für Verkehr und Wärme. Der CO2-Preis würde nämlich fundamental am Verursacherprinzip ansetzen. Bisher darf jeder einfach CO2 in die Atmosphäre emittieren, und die Kosten für die Klimaschäden trägt dann die Allgemeinheit. Das bedeutet ein fundamentales Gerechtigkeitsproblem, und so ein CO2-Preis würde genau da ansetzen: Wer die Schäden verursacht, der zahlt auch dafür. Zweitens lenkt so ein Preis auch die Investitionen in die richtige Richtung. Denn der CO2-Preis würde anzeigen, wo sind denn lohnende Investitionen in die Zukunft, zum Beispiel in die Elektromobilität, in grünen Wasserstoff, in Erneuerbare. Und der dritte Punkt: Durch einen CO2-Preis entstehen Einnahmen und mit diesen Einnahmen könnten umgekehrt wieder soziale Härtefälle abgefedert oder der Bevölkerung pro Kopf zurückgegeben werden. Das ist auch wichtig, denn wir werden teilweise steigende Preise haben, beim Strom beispielsweise. Und das Geld kann in Infrastruktur investiert werden. In Deutschland müssen wir in der nächsten Legislatur eine Energiesteuerreform anpacken, die langfristig ausgerichtet ist. Und auch im Verkehrssektor, in dem die Emissionen noch nicht runter gehen, muss noch ein richtiger Wumms kommen – das kann von Citymautsystemen bis Parkraumbewirtschaftung, Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, Ausbau von Radweginfrastruktur gehen.

"Warum hat sich was getan? 2018 ist der Klimawandel auch in den Industrieländern angekommen, zum Beispiel in Deutschland der Hitzesommer. Und zweitens die Fridays for Future-Bewegung, die das ganz stark ins Bewusstsein gebracht haben. Vorher war es ein globales Gerechtigkeitsproblem. Aber Klimaschäden in Afrika sind weit weg, und im Zweifel denken die meisten, dass wir uns irgendwie freikaufen können. Aber plötzlich hat Fridays for Future das aufs Tableau gebracht, dass es ein Gerechtigkeitsproblem nicht nur zwischen den Ländern, sondern auch zwischen Generationen ist."
Brigitte Knopf, Generalsekretärin des Forschungsinstituts MCC

Zum Schluss noch eine Frage zu den Klimazielen: Bei den 55 Prozent minus sind doch gewisse natürliche Senken mit einberechnet. Ist das ein Stück weit geschummelt oder ist es fair, diese sozusagen mit gegenzurechnen und einzubeziehen? 
Wenn wir Treibhausgasneutralität als Ziel haben, dann ist es natürlich sinnvoll, sich Nettoziele anzugucken. Prinzipiell ist diese Umstellung auf Nettoziele richtig. Problematisch ist meines Erachtens, dass die Kommunikation der EU-Kommission dazu nicht besonders transparent war. Und dass das erst durch Wissenschaftler und NGOs aufgedeckt wurde. Jetzt werden die Zahlen nicht so richtig vergleichbar. Also 40 Prozent alt kann man nicht ganz mit diesen 55 Prozent neu vergleichen. 
Ich möchte zum Schluss noch gern was zum Paris-Abkommen sagen. Es gab viel Kritik am Abkommen: etwa es sei zu unverbindlich. Jetzt sieht man, es funktioniert. Die Staaten legen bei den Zielen wirklich nach. Dass die EU jetzt ihr 2030 Ziel verschärft, dass China ein Ziel für CO2-Neutralität für 2060 vorlegt, zeigt: Das Paris-Abkommen ist ein Leitfaden, an dem sich alle orientieren. Ich finde auch faszinierend zu sehen, wie sich die Preise der Erneuerbaren entwickelt haben. Die Preise in der Solarenergie sind seit Paris um mehr als 50 Prozent gesunken. Das ist eine Wahnsinnsdynamik. Warum hat sich was getan? 2018 ist der Klimawandel auch in den Industrieländern angekommen, zum Beispiel in Deutschland der Hitzesommer. Und zweitens die Fridays for Future-Bewegung, die das ganz stark ins Bewusstsein gebracht haben. Vorher war es ein globales Gerechtigkeitsproblem. Aber Klimaschäden in Afrika sind weit weg, und im Zweifel denken die meisten, dass wir uns irgendwie freikaufen können. Aber plötzlich hat Fridays for Future das aufs Tableau gebracht, dass es ein Gerechtigkeitsproblem nicht nur zwischen den Ländern, sondern auch zwischen Generationen ist. Es ist zwar ein labiler Pfad, aber selbst in der Coronakrise ist der Klimaschutz weitergedacht worden. Die Konjunkturprogramme, die wegen der Corona-Krise aufgelegt werden, werden ans Klimathema gekoppelt. Insofern bin ich vorsichtig optimistisch und sage, Paris plus fünf kann sich sehen lassen. 

[Interview: Marion Busch und Thorsten Greb]

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Die Interviewpartnerin

Dr. Brigitte Knopf ist seit 2015 Generalsekretärin des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) und Mitglied des Expertenrats für Klimafragen der Bundesregierung.

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