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„Eine schadstofffreie Umwelt“: EU-Kommission veröffentlicht Chemikalienstrategie
EU-News | 15.10.2020
#Kreislaufwirtschaft #Chemikalien

„Eine schadstofffreie Umwelt“: EU-Kommission veröffentlicht Chemikalienstrategie

chemikalien_scheidegger_pixabay
Foto: Matthias Rietschel

Ein Verbot gefährlicher Stoffe und eine verbesserte Umsetzung der Chemikaliengesetze: Die EU-Kommission kündigt in ihrer mit Spannung erwarteten Vision für die zukünftige europäische Chemikalienpolitik viele von Umwelt- und Gesundheitsverbänden geforderte Maßnahmen an.

Im Rahmen des „Super-Mittwochs“ (siehe Marginalspalte) erklärten EU-Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans und EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevicius in dieser Woche, wie die EU Verbraucher*innen und Umwelt in Zukunft vor schädlichen Stoffen schützen will. Die Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit ist Teil des Europäischen Green Deal und konzentriert sich im Großen und Ganzen auf das Verbot gefährlicher Chemikalien in Alltagsprodukten sowie die Entwicklung neuer, sicherer Stoffe.

Was steht drin?

Grundsätzlich wolle die EU „nicht mehr nur reagieren, sondern vermeiden“, so Timmermans. Deshalb schlägt er vor, schädliche Stoffe in allen Produkten „möglichst weitgehend“ durch unbedenkliche Stoffe zu ersetzen. Dabei soll der Fokus zunächst auf Produktgruppen liegen, mit denen gefährdete Bevölkerungsgruppen in Kontakt kommen (zum Beispiel Spielzeug oder Kinderpflegeprodukte) sowie auf besonders kreislauffähigen Produkten (zum Beispiel Textilien, Möbel oder Elektronik). Zu schädlichen Stoffen zählt die EU neben krebserregenden, fortplanzungsschädigenden und mutagenen Substanzen auch hormonell wirksame Stoffe (endokrine Disruptoren) sowie bioakkumulative und persistente Stoffe. Dies würde auch ein Verbot der krebserregenden und persistenten Per- und Polyfluoralkylverbindungen (PFAS) bedeuten. Die Forderungen nach einer Beschränkung von PFAS waren immer lauter geworden, nachdem Unternehmen einzelne verbotene PFAS-Verbindungen einfach durch ähnliche Substanzen der gleichen Stoffgruppe ersetzt hatten. Eine Ausweitung dieses gruppenbasierten Ansatzes für das Verbot von Stoffen soll auch für Chemikalien geprüft werden, die das Immunsystem, das neurologische System oder die Atemwege beeinträchtigen oder ein bestimmtes Organ gefährden. Eine Einschränkung enthält die ambitionierte Ankündigung jedoch: Verwendungen, die „nachweislich für das Allgemeinwohl unverzichtbar sind“, dürfen weiterhin erlaubt sein.

Zudem sollen zukünftig auch die Kombinationseffekte verschiedener Chemikalien berücksichtigt sowie der Informationsfluss über Inhaltsstoffe für Hersteller und Verbraucher*innen im Rahmen der Verordnung zur Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung (CLP-Regulation) verbessert werden. Den in den letzten Jahren aufgedeckten massenhaften Verstößen von Unternehmen gegen die Anforderungen der Chemikalienverordnung REACH will die EU-Kommission mit einem „Null-Toleranz“-Ansatz begegnen und verspricht, die Schwächen der aktuellen Umsetzung zu verbessern. Auch die derzeit ineffizienten Prozesse der Risikobewertung sollen schneller gestaltet werden.

Die Strategie sieht außerdem einen Exportstopp für in der EU verbotene Substanzen und einen schrittweisen Verzicht auf Tierversuche vor.

Einen besonderen Fokus legt die EU-Kommission darauf, die Entwicklung neuer Chemikalien zu fördern, die „inhärent sicher und nachhaltig“ sind. Dafür will sie Kriterien entwickeln und die Forschung und Vermarktung solcher Stoffe finanziell unterstützen.

Reaktionen

Die angekündigten Maßnahmen stoßen bei Umwelt- und Gesundheitsverbänden im Großen und Ganzen auf Zustimmung. Sie müssten nun aber rasch umgesetzt werden, um die Situation der Umwelt und der Verbraucher*innen tatsächlich zu verbessern und dürften nicht durch langwierige Folgenabschätzungen verzögert werden.

Tatiana Santos, Referentin für Chemikalienpolitik beim Europäischen Umweltbüro (EEB), begrüßt die Strategie im Angesicht der „ernsten und wachsenden Bedrohung durch einen unsichtbaren Feind.“ Die EU könne es sich nicht mehr leisten - wie in der Vergangenheit bereits geschehen - solche Absichtserklärungen ins Leere laufen zu lassen.

Kritisch sehen das EEB und andere Organisationen wie Women Engage for a Common Future (WECF) die fehlende Verankerung des Verursacherprinzips in der Strategie. Hersteller von Chemikalien erhielten demnach große Geldsummen für die Entwicklung neuer Stoffe, müssten sich aber nicht an den Folgekosten der durch ihre Stoffe verursachten Verschmutzung beteiligen. „Die Öffentlichkeit zahlt Milliarden von Euro an Gesundheitskosten, während die chemische Industrie weiterhin große Gewinne abschöpft“, so WECF.

Trotzdem sieht WECF in der Strategie „die größte chemikalienpolitische Initiative auf europäischer Ebene seit 20 Jahren“ sowie „eine einmalige Gelegenheit, den europäischen Ansatz im Chemikalienmanagement zu überdenken.“

Auch Apolline Roger, Anwältin der Umweltrechtsorganisation ClientEarth, lobt die EU-Kommission dafür, „trotz des Drucks von allen Seiten [...] eine Strategie vorzulegen, die die Produktions- und Konsumprozesse wirklich entgiften könnte.“ Nun müsse die EU-Kommission ihr Versprechen an die Bürger*innen einlösen und „unverzüglich das Tempo der Beschränkungen erhöhen – insbesondere für gefährliche Chemikalien in Verbrauchsgegenständen“.

Die Umweltgesundheitsorganisation HEAL bezeichnet die Strategie als „einen großen Schritt vorwärts bei der Verwirklichung des europäischen Ziels der Null-Verschmutzung.“ Sie merkt jedoch an, dass das Dokument weitgehend vom Ziel der Innovation dominiert werde und ein klares Bekenntnis zum Schutz der Umwelt und Bevölkerung fehle. [km]

Pressemitteilung der EU-Kommission

Chemikalienstrategie

Pressemitteilung des EEB

Pressemitteilung WECF

Pressemitteilung ClientEarth

Pressemitteilung HEAL

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