Oder: Deutsch-polnisches Umweltbündnis kritisiert fehlenden Baustopp
Fortgesetzter Ausbau des Grenzflusses ist umweltpolitisch und rechtsstaatlich unverantwortlich
Berlin/Wrocław – Heute vor einem Jahr, am 7. März 2023, hat das Oberste Verwaltungsgericht in Polen die Genehmigung des Oder-Ausbaus vorläufig aufgehoben und damit den Beschluss des woiwodschaftlichen Verwaltungsgerichts in Warschau aufgrund der Klage deutscher und polnischer Umweltorganisationen bestätigt. Der damalige Gerichtsbeschluss sieht vor, dass der Bescheid des polnischen Generaldirektors für Umweltschutz aufgrund der Nichtbeachtung der Umweltkatastrophe in der Oder im Sommer 2022 nicht vollstreckt werden darf. Entsprechend hätte auch bis zur Änderung des Bescheids oder der Beendigung des Hauptsacheverfahrens nicht weiter ausgebaut werden dürfen. In den letzten zwölf Monaten hat sich das zuständige Infrastrukturministerium in Polen jedoch geweigert, den Beschluss umzusetzen. Stattdessen wurde mittlerweile die erste Etappe des Ausbaus an der deutsch-polnischen Grenzoder so gut wie abgeschlossen.
Hierzu kommentiert Florian Schöne, Geschäftsführer des Umweltdachverbands Deutscher Naturschutzring (DNR) als Vertreter des „Aktionsbündnisses lebendige Oder“:
„Der Gerichtsbeschluss vom letzten Jahr war ein klares Signal für die natürliche Vielfalt der Flusslandschaft Oder und für die Menschen, die schon heute mit den Auswirkungen der Klimakrise wie Dürre und Niedrigwasser konfrontiert sind. Es ist umweltpolitisch und rechtsstaatlich unverantwortlich, dass die Bauarbeiten auf polnischer Seite immer noch nicht gestoppt sind. Gerade nach der Umweltkatastrophe an der Oder im August 2022 muss den ökologischen Prozessen und der Widerstandsfähigkeit des Flusses künftig unbedingt Priorität eingeräumt werden. Wir erwarten, dass die Bundesregierung auf die Verantwortlichen in Polen zugeht, um dem anhaltenden Rechtsverstoß ein Ende zu setzen und gemeinsam nach naturverträglichen Lösungen für die Oder zu suchen.“
Radosław Gawlik, Vorsitzender der Ökologischen Vereinigung EKO-UNIA, sagt:
„Wir von der internationalen Koalition „Zeit für die Oder“ und der polnischen Koalition „Rettet die Flüsse“ sind sehr enttäuscht über die Position der neuen polnischen Regierung zur Umsetzung des Gerichtsurteils vom letzten Jahr. Die PiS-Regierung hatte uns an Gesetzesbruch gewöhnt, aber die neue Regierungskoalition hat versprochen, die Rechtsstaatlichkeit wiederherzustellen. Wie sich herausstellt, scheint sich das nicht auf unsere Flüsse zu beziehen. Trotz unserer Beschwerden bei der Staatsanwaltschaft sowie zahlreichen Briefen und Gesprächen mit den Verantwortlichen in der Politik wird das Gesetz weiterhin gebrochen und die Oder reguliert. Der Infrastrukturminister verkündete den Abschluss der Arbeiten an der Oder zum 1. März 2024. Dies ist nichts als Augenwischerei, denn offensichtlich behält das Ministerium die von der PiS betriebene Personal- und Flussbetonierungs-Politik bei. Trotz Aufforderung wurde die Wasserwirtschaft im Infrastrukturministerium belassen, anstatt sie, wie ehemals, wieder dem Umweltministerium zu unterstellen. Der Kampf um die Oder geht weiter.“
Hintergrund
Der Beschluss beim Obersten Verwaltungsgericht der Republik Polen wurde von den polnischen Umweltverbänden EKO-UNIA und Stepnicka Organizacja Turystyczna Nie Tylko Dla Orłów sowie den deutschen Umweltverbänden DNR, NABU und BUND Brandenburg erstritten. Letztere sind Mitglieder des „Aktionsbündnis lebendige Oder“ mehrerer deutscher Umwelt- und Naturschutzverbände. Alle fünf genannten Organisationen sind ebenso in einem internationalen Bündnis namens „Zeit für die Oder“, welches aus 28 polnischen, tschechischen und deutschen Umwelt- und Naturschutzverbänden besteht. Die Entscheidung des Obersten Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig. Die Entscheidung (Aktenzeichen III OZ 78/23) ist auch im Portal des Obersten Verwaltungsgerichts der Republik Polen (https://orzeczenia.nsa.gov.pl/doc/CDE5CB8780) abrufbar.
Auf Antrag des Investors Staatlicher Wasserwirtschaftsbetrieb Polnische Gewässer (Wody Polskie) vom 26. August 2022 wurde ein Verfahren gegen die Entscheidung des Generaldirektors für Umweltschutz vom 16. August 2022 eingeleitet. Deshalb wurde das gerichtliche Hauptsacheverfahren am 27. Dezember 2022 vom Woiwodschaftlichen Verwaltungsgericht in Warschau (IV SA/Wa 2239/22) ausgesetzt. Da über den Antrag des Investors Wody Polskie auf Änderung des Umwelt-Bescheids der polnische Generaldirektor für Umweltschutz seit fast einem Jahr nicht entschieden wurde, reichten die polnischen Umweltverbänden EKO-UNIA und Stepnicka Organizacja Turystyczna Nie Tylko Dla Orłów am 4. März 2024 eine Untätigkeitsklage ein.