Agrarrat: Dialog, Wald und der Wolf
Die erste Sitzung des Agrarrats in 2024 startet mit wichtigen Themen: Die belgische Ratspräsidentschaft stellt ihr Arbeitsprogramm vor. Strategischer Dialog zur Zukunft der Landwirtschaft beginnt. Breite Einigkeit zum Waldmonitoring-Gesetz. Der Angriff auf den Schutzstatus des Wolfs setzt sich fort.
Am 23. Januar tagte, erstmalig im neuen Jahr, der Agrar- und Fischereirat in Brüssel. Die neue belgische Ratspräsidentschaft nutzte diese Gelegenheit, um ihr Arbeitsprogramm für die erste Jahreshälfte im Bereich Landwirtschaft und Fischerei vorzustellen. Geleitet werden die Sitzungen bis Mitte 2024 vom belgischen Agrarminister David Clarinval. Er betonte die kommenden Monate „optimal“ nutzen zu wollen und verwies auf die im Arbeitsprogramm der Ratspräsidentschaft fokussierten Vorhaben:
- Weiterentwicklung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) - hier soll auch ein „Reflexionsprozess“ über einen Rahmen für die Zeit nach 2027 gestartet werden - sowie der Gemeinsamen Fischereipolitik (GFP)
- das Gesetzesvorhaben zur Deregulierung der Neuen Gentechnik (NGT)
- die EU-Verordnung zur nachhaltigen Verwendung von Pestiziden (SUR)
- die EU-Verordnungen zu Saatgut für Pflanzen (Plant Reproductive Material, PRM) und für Wälder (Forest Reproductive Material, FRM)
- die Verbesserung von Tiergesundheit und Tierwohl
- die Fertigstellung der Frühstücksrichtlinien
- das Gesetz zum Waldmonitoring (Forest Monitoring Law, FML)
Alte Probleme - neuer Dialog
Die EU-Kommission, vertreten durch den Green Deal-Kommissar Maroš Šefčovič und den Agrarkommissar Janusz Wojciechowski, informierte die Landwirtschaftsministerinnen und –minister auf der Sitzung zudem über die Pläne zur Organisation des "Strategischen Dialogs über die Zukunft der Landwirtschaft in der Europäischen Union". Diesen Strategiedialog hatte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf ihrer Grundsatzrede zur Lage der Europäischen Union bereits im September vergangenen Jahres angekündigt. Nun ist es soweit: Schon am 24. Januar soll die erste Sitzung der Austauschrunde beginnen und am 25. Januar fortgesetzt werden. Die eingeladenen Organisationen aus den Bereichen Landwirtschaft, Lebensmittel- und Agrarindustrie, Umwelt sowie Verbraucher*innen sollen sich in Arbeitsgruppen mit vier Themenfeldern befassen: Lebensstandards im ländlichen Raum, Respektierung der planetaren Grenzen und der Ökosysteme, Innovationen und funktionierende Wertschöpfung. Der Dialog soll im Laufe des Sommers 2024 abgeschlossen werden. Angeleitet wird die Runde von einem alten Bekannten: Peter Strohschneider. Dieser hatte bereits den Vorsitz in der deutschen Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) inne. Während einige Agrarminister*innen monierten, zu wenig Mitsprache beim Strategiedialog zu bekommen, begrüßte die Deutsche Umwelthilfe (DUH) das Vorhaben grundsätzlich, da die EU-Agrarpolitik somit „endlich aus den Hinterzimmern der Agrarlobby“ herausgeholt und in einen offenen Dialog überführt werde. Der Bundesgeschäftsführer der DUH, Sascha Müller-Kraenner, betonte jedoch auch, dass das Ziel des Dialogs sein müsse, gesellschaftliche Akzeptanz für Ernährungssicherung und Klimaschutz zusammenzubringen und es ein Ende haben müsse, „Milliarden an Agrarsubventionen zu verschleudern, von denen indirekt nur die Fleischindustrie und direkt vor allem Großgrundbewirtschafter profitieren“.
Waldüberwachung statt Waldschutz
Auf der Sitzung in Brüssel diskutierten die Agrarministerinnen und –minister auch den Vorschlag der Kommission für ein Gesetz zum Waldmonitoring (Forest Monitoring Law, FML). Das Vorhaben soll die Erhebung harmonisierter Daten über den Zustand und die Bewirtschaftung der Wälder in der EU ermöglichen. Dabei bestand unter den Ressortleitungen weitgehende Einigkeit über die Grundausrichtung des Vorhabens, und sie betonten die Wichtigkeit des Subsidiaritätsprinzips in der EU. Auch solle das EU-weite Monitoring auf den bereits etablierten Systemen, wie den nationalen Waldinventuren, aufbauen. Der Vorschlag dürfe nicht zu Doppelarbeit führen und müsse kosteneffizient sein. Von Umweltorganisationen wurde der Vorschlag bereits mit der Veröffentlichung durch die Kommission im November als zu schwach kritisiert. So sollen zwar strategische Pläne zur Verbesserung des Zustands der Wälder durch die Mitgliedstaaten erstellt werden – allerdings nur freiwillig. Es fehle an verbindlichen Verpflichtungen, um aus den erhobenen Daten auch Maßnahmen abzuleiten, etwa zum Schutz der verbliebenen alten Wälder Europas, kritisierte die Waldschutzorganisation FERN im November. Dass der Agrarrat nun so wenig kontrovers über den Gesetzesentwurf diskutiert, ist daher sicher auch als Zeichen der unambitionierten Ausgestaltung des FML zu deuten.
Rotkäppchen-Syndrom auf EU-Ebene
Stärker auseinander gehen die Meinungen zum zukünftigen Umgang mit dem Wolf. Auf der Sitzung brachte Finnland einen weiteren Vorstoß zur Absenkung des Schutzstatus von großen Beutegreifern vor. Unterstützt wurde die finnische Mitteilung von einigen weiteren Staaten; genauer von Österreich, Tschechien, Griechenland, Italien, Lettland, Rumänien, der Slowakei und Schweden. Darin begrüßen diese Mitgliedstaaten „nachdrücklich“ den Vorschlag der EU-Kommission, den Status des Wolfs von „streng geschützt“ auf „geschützt“ zu ändern. Entsprechend müsse auch die FFH-Richtlinie angepasst werden. Außerdem sollten laut der finnischen Note auch die Populationen von Braunbär und Luchs in einigen borealen Regionen keinen strengen Schutzmaßnahmen mehr unterliegen. Umwelt- und Tierschutzorganisationen kritisieren den Vorstoß der Kommission zur Aufweichung des Schutzstatus sehr scharf. So hatten im Dezember fast 300 Organisationen einen offenen Brief des WWF an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen unterstützt, in dem die Änderung des Schutzstatus als „nicht gerechtfertigt“ - und auch nicht wissenschaftlich gestützt - zurückgewiesen wird. EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius verdeutlichte auf der Sitzung, dass im Falle einer Anpassung des Schutzstatus zunächst der internationale Schutzstatus - im Rahmen der Berner Konvention - abgesenkt werden müsse. Es sei ratsamer, die bereits existierenden Möglichkeiten für Schutzmaßnahmen vor Wolfsangriffen auf Weidetiere tatsächlich zu nutzen. Und auch die deutsche Staatssekretärin Silvia Bender, die Cem Özdemir in der Sitzung vertrat, betonte, dass die finnische Mitteilung nicht mitgetragen werden könne und dass die Standards beim Artenschutz „nicht verwässert werden dürfen“.
Weitere Themen des Agrarrats waren u.a.: die Zukunft von Laborfleisch, die GAP und die Verpflichtung Biodiversitätsflächen bereitzustellen (GLÖZ 8) sowie aktuelle Fragen des Agrarhandels. [bp]