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„Böden sind die artenvielfältigsten Lebensräume der Welt”
EU-News | 14.02.2024
#Biodiversität und Naturschutz #Bodenschutz

„Böden sind die artenvielfältigsten Lebensräume der Welt”

Junge grüne Triebe sprießen aus dem Boden.
© AdobeStock/deafebrisa
Junge grüne Triebe sprießen aus dem Boden.

Interview mit Caroline Heinzel, EEB

Der größte Mangel im europäischen Bodenschutz sind fehlende verbindliche Elemente. Dabei drängt die Zeit. „Wir können konkretes Handeln nicht nach hinten verschieben”, sagt Caroline Heinzel vom Europäischen Umweltbüro (EEB). Die europäischen Böden brauchen konkrete rechtliche Instrumente sowie einen klaren und durchdachten Fahrplan.

Die EU-Kommission hat im Juli 2023 einen Legislativvorschlag für ein sogenanntes Bodenüberwachungsgesetz veröffentlicht. Wie geht es Europas Böden und warum ist der Bodenschutz so wichtig?

Schätzungen zufolge sind etwa 60 bis 70 Prozent der europäischen Böden in einem schlechten Zustand. Das ist sehr alarmierend, da das Ökosystem Boden stark mit allen anderen Aspekten des Lebens auf der Erde verbunden ist und wir als Gesellschaft von den Funktionen der Böden abhängig sind.

Ein naheliegendes Beispiel ist die Produktion von Essen. Etwa 95 Prozent unser Nahrungsmittel haben eine direkte Verbindung zu Böden. Damit stellen ungesunde Böden und politische Tatenlosigkeit eine direkte Gefahr für resiliente Lebensmittelsysteme und künftige Ernährungssicherheit dar. Die Rolle des Lebens im Boden ist hier besonders bedeutend. Obwohl Bodenbiodiversität noch ungenügend erforscht ist, ist sie zentral für Prozesse wie den Nährstoffkreislauf und damit auch für Ernten – sie leidet aber stark unter dem aktuellen Modell intensiver Landwirtschaft.

Bodenökosysteme müssen aber auch bei dem Kampf gegen die Klimakrise und der Anpassung an Klimafolgen mitgedacht werden. Die Entwässerung von Mooren ist für etwa 7 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen in der EU verantwortlich – das entspricht dem Doppelten der direkten EU-Emissionen aus dem Luftverkehr! Auch generell geben konventionell bewirtschaftete Landwirtschaftsflächen viel Kohlenstoff frei – das kann sich durch nachhaltiges Bodenmanagement ändern. Gleichzeitig sind gesunde Böden auch resilienter gegenüber Extremwetter: sie nehmen bei Starkregen besser Wasser auf und halten Dürren besser stand.

Portrait von Caroline Heinzel (EEB)
Obwohl Bodenbiodiversität noch ungenügend erforscht ist, ist sie zentral für Prozesse wie den Nährstoffkreislauf und damit auch für Ernten – sie leidet aber stark unter dem aktuellen Modell intensiver Landwirtschaft.
Caroline Heinzel, Europäisches Umweltbüro (EEB)

Ursprünglich sollte es im Gesetzesvorschlag um Bodengesundheit gehen – aber das scheint auf EU-Ebene schwierig durchsetzbar zu sein. Wie schätzen Sie den von der EU-Kommission vorgelegten Vorschlag ein?

Der Gesetzesvorschlag der Kommission ist in einem speziellen Kontext veröffentlicht worden. Ein erster Prozess im Jahr 2006 scheiterte bereits und die aktuelle politische Lage in Brüssel ist nicht einfach. Aus diesem Grund finden wir es sehr positiv, dass der Gesetzesvorschlag recht pünktlich erschien und die Verhandlungen zu dem Gesetz aktuell konstruktiv verlaufen.

Während der Gesetzesvorschlag an sich eine wichtige Chance für Europas Böden darstellt, sehen wir aber deutlichen Raum für Verbesserungen. Dass das Gesetz die Datenlage zu Böden verbessern soll, ist wichtig. Ebenso wichtig ist es aber, dass das Gesetz auch den Zustand der Böden verbessert – Daten allein können das nicht leisten. Monitoring ist ein wichtiger Schritt, es ist aber eben nur der erste Schritt. Darauf müssen klare legale Verpflichtungen folgen, um das Ziel gesunder Böden im Jahr 2050 zu erreichen. Und mittlerweile ist 2050 eben auch nur noch 26 Jahre entfernt. Wir können konkretes Handeln nicht nach hinten verschieben, sonst ist es irgendwann in dem verbleibenden Zeitrahmen nicht mehr machbar.

Was sind die schlimmsten Mängel und was sind die Hauptforderungen der Umweltverbände, um das Gesetz zu verbessern?

Einer unserer wichtigsten Kritikpunkte betrifft den Mangel an verbindlichen Elementen. Wir fordern, dass das Gesetz einen starken verbindlichen Charakter enthält und klare Instrumente für die Umsetzung in den EU-Ländern bietet. Das betrifft beispielsweise eine Zielvorgabe für gesunde Böden im Jahr 2050, aber auch verbindliche Zwischenziele für 2035 und 2040. Auch sollte das Gesetz von EU-Ländern erfordern, dass sie Bodengesundheitspläne aufsetzen, in denen sie klar ausführen, mit welchen Mitteln sie diese Ziele erreichen wollen. Solche Instrumente – Zielvorgaben und Pläne – helfen erfahrungsgemäß nicht nur beim Messen von Fortschritt und dem eventuellen Nachjustieren. Sie machen auch wirkliche und effektive Beteiligung der Öffentlichkeit in allen Stadien des Prozesses möglich. Auch erlauben sie es, dass, sollten Ziele oder Regeln nicht eingehalten werden, dies vor Gericht beanstandet werden kann. Auch wenn der Gesetzesvorschlag bereits Elemente zur öffentlichen Beteiligung und Zugang zur Justiz enthält, verleihen die oben genannten Instrumente ihnen überhaupt erst die erforderliche Substanz, um tatsächliche Auswirkungen zu haben.

Eine weitere wichtige Lücke in dem Gesetzesvorschlag betrifft das Leben im Boden. Böden sind die artenvielfältigsten Lebensräume der Welt – vielfältiger als beispielsweise Regenwälder - natürlich deren Böden ausgenommen. Der Gesetzesvorschlag setzt zwar voraus, dass Bodenbiodiversität gemessen werden muss, doch die Ergebnisse müssen nicht in die Bewertung der Bodengesundheit miteinbezogen werden. Zusätzlich soll ein Indikator genutzt werden, der die Komplexität des Bodenlebens nicht ausreichend darstellen kann. Damit wird der Gesetzesvorschlag der Bedeutung der Bodenbiodiversität nicht annährend gerecht. Wenn wir nur ein unvollständiges Bild unserer Böden aufnehmen, dann werden auch unsere Lösungen unvollständig sein.

Schon den Kommissionsvorschlag haben viele Umweltverbände als unzureichend kritisiert. Inzwischen sind die anderen EU-Institutionen mit der Bearbeitung des Vorschlags beschäftigt. Gibt es Verbesserungen durch Änderungsanträge im EU-Parlament?

Im Umweltausschuss hat der zuständige Parlamentarier für das Gesetz, Martin Hojsík, vorgeschlagen, eine Zielvorgabe für 2050 einzuführen und das System zur Bewertung der Bodengesundheit von einem binären (gesund/ungesund) zu einem nuancierenden 5-Kategoriensystem zu ändern. Herr Hojsík möchte bei seinem Versuch, das Gesetz stärker zu machen, so viele Akteure und Positionen wir möglich an Bord nehmen. Während wir viele seiner Ideen willkommen heißen, bedeutet so ein Ansatz natürlich auch, dass weiterhin Raum für Verbesserung bleibt.

Diese Woche hat auch der Landwirtschaftsausschuss zum Gesetz abgestimmt. Seine Kompetenzen beschränken sich jedoch auf die Artikel zum nachhaltigen Bodenmanagement und dem Flächenverbrauch. Auch wenn es zu erwarten war, sind die Ergebnisse der Abstimmung bestürzend. Beispielsweise sprach er sich dafür aus, die Prinzipien für nachhaltiges Bodenmanagement zu streichen. Anstelle konkreter Verpflichtungen bleibt hier nur eine Ermutigung an die Länder, Beratung und Schulung von Landwirt*innen zu fördern. Auch der bereits sehr schwache Artikel zur Reduzierung von Flächeninanspruchnahme wurde noch weiter abgeschwächt. Das ist unverständlich, da der Landwirtschaftsausschuss damit die Lebensmittelsicherheit und die Existenz kleiner und mittlerer Landwirtschaftsbetriebe gefährdet.

Der Landwirtschaftsausschuss ist hier aber nicht ausschlaggebend. Seine Position zu den relevanten Artikeln muss im Umweltausschuss einbezogen werden – den Grundstein für die Position des Parlaments legt dann aber der Umweltausschuss selbst.

Wie sieht der Zeithorizont aus, die Europawahlen und das Ende der amtierenden EU-Kommission rücken ja immer näher – was sind die nächsten Schritte und könnte das Gesetz noch in diesem Jahr final beschlossen werden?

Dass das Gesetz noch dieses Jahr oder Anfang nächsten Jahres final beschlossen wird, ist eine reale Möglichkeit. Das ist nur machbar, weil die Kommission den Vorschlag wie geplant vor dem Sommer veröffentlicht hat, die Diskussionen im Parlament zügig voran gehen, und alle Akteure zum jetzigen Zeitpunkt konstruktiv zusammenarbeiten. Wir erwarten eine offizielle Position des Parlaments im April - gerade noch rechtzeitig vor den EU-Wahlen im Juni. Dadurch könnte das neue Parlament im Herbst mit der bereits beschlossenen Position in die Verhandlung zwischen den Institutionen starten.

Unsere aktuellen Bemühungen für eine nachhaltige Zukunft sind unvollständig, wenn wir sie nicht mit dem Ökosystem Boden zusammendenken. Aber allein die Existenz eines Gesetzes mit dem Wort „Boden“ im Titel wird unsere Probleme nicht lösen.
Caroline Heinzel, EEB

Was wünschen Sie sich von der europäischen Bodenpolitik?

Es ist von großer Bedeutung, dass die EU nun auf bestem Wege ist, ein europäisches Gesetz zum Schutz der Böden zu verabschieden. Unsere aktuellen Bemühungen für eine nachhaltige Zukunft sind unvollständig, wenn wir sie nicht mit dem Ökosystem Boden zusammendenken. Aber allein die Existenz eines Gesetzes mit dem Wort „Boden“ im Titel wird unsere Probleme nicht lösen. Wir brauchen konkrete rechtliche Instrumente sowie einen klaren und durchdachten Fahrplan, öffentliche Beteiligung zum richtigen Zeitpunkt und vollständig gedachte Lösungen. Denn die Gestaltung des Gesetzes markiert nur einen ersten Meilenstein. Wir müssen jetzt sicherstellen, dass seine Umsetzung in den EU-Ländern zu einer tatsächlichen Verbesserung der Bodengesundheit führt.

[Interview: Juliane Grüning]

Caroline Heinzel arbeitet für den europäischen Umweltdachverband European Environmental Bureau. Sie verfolgt die Entwicklungen zur europäischen Bodenpolitik und dem Soil Monitoring Law und stellt sicher, dass die Stimmen europäischer Umweltverbände in dem Prozess in Brüssel Gehör finden. Sie hat einen Hintergrund in deutsch-französischen Politikwissenschaften und Europapolitik.

Boden Burnout

Eine spannende und im wörtlichen Sinne „tiefgründige” Multimedia-Reportage zum Bodenschutz in vier Kapiteln von Marius Münstermann, Christian Werner und Erik Tuckow hat das Greenpeace Magazin veröffentlicht. Die Kapitel heißen „Bodenlos”, „Ausgelaugt”, „Grüne Revolution 2.0” und „Wiederbelebt”.

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Eine Hand mit Erde schwebt über grüner Wiese.
 

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