Das Menschenrecht auf eine gesunde Umwelt
2022 hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen (UN) eine Resolution verabschiedet, in der sie das Menschenrecht auf eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt anerkennt. Ein Jahr zuvor hatte bereits der UN-Menschenrechtsrat das Recht in einer Resolution anerkannt. Doch beide Gremien können keine völkerrechtlich bindenden Entscheidungen treffen, sodass bisher keine konkreten Pflichten für Staaten entstehen.
Die Resolution wurde dennoch vielfach als wichtiger Schritt gefeiert, um die Themenbereiche Menschenrechte und Umwelt besser miteinander zu verknüpfen. Nun gilt es Wege zu finden, die Verbindlichkeit zu erhöhen und das neue Menschenrecht mit konkreten Inhalten zu füllen. Bestehende internationale Menschenrechtsinstitutionen und -tribunale haben Umweltaspekte bisher zum Beispiel als Bestandteil der Rechte auf Leben, Gesundheit und Privatsphäre behandelt. Es gibt mittlerweile einen ganzen Katalog von unumstrittenen Staatenpflichten in diesem Bereich, die rechtlich verbindlich sind und eingefordert werden können. Manche Stimmen argumentieren, dass es eher einer besseren Durchsetzung dieser bestehenden Menschenrechte bedarf, als mit dem Recht auf eine gesunde Umwelt ein neues Recht zu schaffen.
Aber das Recht auf eine gesunde Umwelt hat eine wichtige Signalwirkung und macht deutlich, dass die Themenbereiche Umwelt und Menschenrechte sich gegenseitig bedingen. Zudem kann es als eine Art „Auffangrecht“ fungieren, indem es Regelungslücken an der Schnittstelle von Umwelt- und Menschenrechtsthemen schließt, die von bestehenden Menschenrechten nicht abgedeckt sind. Vermutlich werden derartige Lücken im Zuge der Klima-, Verschmutzungs- und Biodiversitätskrise zunehmend offenbar.
Das Recht weiterentwickeln und konkretisieren
Durch die Verankerung in einem internationalen oder regionalen Vertrag könnte das Recht auf eine gesunde Umwelt für die Staaten rechtlich verbindlich werden. Doch auch ohne Festschreibung in einem Vertragswerk kann durch die zunehmende Weiterentwicklung und Konkretisierung des Rechts zuerst politische und langfristig auch rechtliche Verbindlichkeit entstehen. Ein solcher Prozess ist bereits angestoßen.
2018 veröffentlichte John Knox, damaliger Sonderberichterstatter für Menschenrechte und Umwelt, Rahmenprinzipien mit menschenrechtlichen Verpflichtungen zur Realisierung einer sauberen, gesunden und nachhaltigen Umwelt. Die Rahmenprinzipien geben eine grobe Orientierung, welche menschenrechtlichen Verpflichtungen zur Umsetzung einer gesunden Umwelt bereits existieren und was ein Recht auf eine gesunde Umwelt genau beinhalten könnte. Neben Diskriminierungsfreiheit, Zugang zu Information und der Bereitstellung eines wirksamen Rechtsbehelfs beinhalten die Rahmenprinzipien zum Beispiel Umweltstandards, die auch gegenüber privaten Akteuren durchzusetzen sind.
Seit seiner Anerkennung durch Menschenrechtsrat und Generalversammlung wurde das Recht inhaltlich fortentwickelt. 2023 verabschiedete der Menschenrechtsrat eine Resolution zum Recht auf eine gesunde Umwelt und forderte darin unter anderem, umfassende Gesetze für den Klima- und Umweltschutz zu beschließen, verstärkt Umweltthemen in der Schulbildung aufzugreifen und konkrete Maßnahmen zum Schutz der Biodiversität zu ergreifen.
Auch der Ausschuss für die Rechte des Kindes, der mit der Überwachung der Umsetzung der Kinderrechtskonvention betraut ist, griff das Recht auf eine gesunde Umwelt 2023 in einer sogenannten Allgemeinen Bemerkung auf. Er stellt darin fest, dass das Recht ein wichtiger Bestandteil bestehender Kinderrechte ist und benennt Maßnahmen, die sofort umgesetzt werden müssen, um das Kinderrecht auf eine gesunde Umwelt zu wahren. Dazu gehören eine Verbesserung der Luftqualität, die Umstellung auf erneuerbare Energien und die Transformation der industriellen Landwirtschaft, um Unter- und Mangelernährung entgegenzuwirken.
Primär sollte das Recht auf eine gesunde Umwelt in allen relevanten internationalen Gremien durch weitere Resolutionen vorangebracht werden. Einzelne Staaten könnten außerdem im Rahmen internationaler Kontrollmechanismen darauf Bezug nehmen. Ein Instrument dafür stellt der Universal Periodic Review (UPR) dar. Der UPR ist ein Überprüfungsmechanismus des Menschenrechtsrates, in dem die Menschenrechtslage in jedem der 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen alle viereinhalb Jahre unter die Lupe genommen wird. Er besteht aus drei Berichten: einem Bericht des jeweils zu überprüfenden Staates, einem Bericht des Menschenrechtsrates zu allen relevanten Informationen aus dem UN-Menschenrechtssystem und einem Bericht, in dem Beiträge der Zivilgesellschaft zusammengefasst werden. Auf dieser Grundlage gibt der Menschenrechtsrat Empfehlungen ab, zu denen der zu überprüfende Staat Stellung nehmen muss. Damit fördert der UPR die Selbstverpflichtung der Staaten.
Das europäische Menschenrechtssystem zieht nach
Neben dem internationalen Menschenrechtssystem gibt es regionale Menschenrechtssysteme, die separat voneinander und separat vom internationalen System funktionieren. Sie haben andere vertragliche Grundlagen und andere Durchsetzungsmechanismen. Im interamerikanischen System ist das Recht schon etabliert und konnte in einigen Fällen bereits erfolgreich vor dem interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte eingeklagt werden. Im afrikanischen Menschenrechtssystem taucht es als Recht auf eine zufriedenstellende Umwelt in der Afrikanischen Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker (Art. 24) auf, ist jedoch als kollektiver Anspruch nur schwer einzufordern. Auch in der Arabischen Menschenrechtscharta ist das Recht auf eine gesunde Umwelt verankert (Art. 38). Das europäische ist das einzige der vier regionalen Menschenrechtssysteme, in dem das Recht noch nicht vorkommt.
Die Grundlage des europäischen Menschenrechtssystems bildet die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK). Der für die Einhaltung der EMRK zuständige Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat Umweltbelange bisher vor allem als Bestandteile der Rechte auf Leben (Art. 2) und Privatsphäre (Art. 8) behandelt. Doch auch im europäischen System wurde ein Prozess angestoßen, das Recht auf eine gesunde Umwelt in den Menschenrechtskatalog mitaufzunehmen. 2021 verabschiedete die parlamentarische Versammlung des Europarates eine Resolution, in der die Verankerung des Rechts auf eine gesunde Umwelt in einem Zusatzprotokoll zur EMRK vorgeschlagen wird. Ein Jahr später empfahl auch das Ministerkomitee des Europarates, die Anerkennung des Rechts auf eine gesunde Umwelt in Erwägung zu ziehen.
Das Recht auf eine gesunde Umwelt wird im internationalen, europäischen und nationalen Menschenrechtsdiskurs zunehmend politisch und potenziell auch rechtlich relevant werden. Die Bundesregierung kann diesen Prozess vorantreiben, indem sie in den entsprechenden Gremien auf internationaler und europäischer Ebene proaktiv agiert. Sie kann die Fortentwicklung durch weitere Resolutionen unterstützen und die Implementierung des Rechts auf nationaler Ebene fördern. So kann langfristig das Recht auf eine gesunde Umwelt zu einer politisch und rechtlich verbindlichen Norm werden, die das Handeln von Staaten bestimmt und auf deren Grundlage konkrete Maßnahmen zum Schutz der Umwelt eingefordert werden können.
Die Autorin
Luzie Struchholz hat einen Master of Laws im Völkerrecht mit einem thematischen Schwerpunkt auf internationalem Menschenrechtsschutz. Derzeit ist sie Fellow bei der ifok GmbH und arbeitet zu Prozessen der Bürger*innenbeteiligung.
Eine längere Fassung des Artikels ist im Rundbrief 1/2024 des Forums Umwelt und Entwicklung erschienen.