„Die Natur und die Umwelt können ganz wunderbar ohne uns, aber wir können nicht ohne sie“
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bezeichnet den „Klimawandel als die größte Gesundheitsbedrohung für die Menschheit“. Welche politischen Maßnahmen für ein funktionierendes globales und nationales Gesundheitswesen notwendig sind, darüber sprachen wir mit Maike Voss, Geschäftsführende Direktorin des CPHP.
Interview
Für eine gesunde Umwelt und eine gute öffentliche Gesundheit muss die Menschheit die Klimakrise bewältigen. Ein Ansatz ist die Planetare Gesundheit. Was steckt dahinter?
Planetare Gesundheit beschreibt die Zusammenhänge zwischen der Gesundheit unseres Planeten, der Erde, auf der wir leben, der Gesundheit der Tiere und der Gesundheit von uns Menschen. Alles hängt zusammen und voneinander ab, darum wir betrachten es gemeinsam, vor allem mit Blick auf Wechselwirkungen. Das Konzept kommt aus dem Bereich der Umwelt- und Klimawissenschaften und bezieht sich auf die planetaren Grenzen, also die ökologischen Belastungsgrenzen der Erde, deren Überschreitung die Stabilität der Ökosysteme der Erde und damit die Menschheit gefährdet. Die Natur und die Umwelt können ganz wunderbar ohne uns, aber wir können nicht ohne sie. Mit anderen Worten: Nur wenn es uns gelingt, die planetaren Grenzen einzuhalten, können wir Menschen gesund leben. Planetare Gesundheit nimmt genau das in den Blick und schaut sich neben dem Klimawandel auch noch andere Krisen an. Zum Beispiel den Mikroplastikeintrag in den menschlichen Körper oder die Natur, oder den Verlust von Artenvielfalt. Die Art und Weise, wie wir auf unserer Erde leben und handeln, wirkt sich auf unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden aus.
Im Centre for Planetary Health Policy haben Sie Handlungsoptionen entwickelt, um Gesundheit innerhalb planetarer Grenzen zu ermöglichen. Welche sind die grundlegendsten?
Das wichtigste ist das Grundverständnis, dass wir Menschen untrennbar von der Natur sind. Dort müssen wir ansetzen und das sollte unsere politischen Entscheidungen anleiten. Und es braucht eine kritische Reflexion des Gesundheitssektors. Er dient dazu, Menschen gesund zu halten beziehungsweise sie in ihrer Genesung zu unterstützen, aber er ist gleichzeitig auch verantwortlich für fünf bis sechs Prozent der CO2-Emissionen. Vor allem Arzneimittel und Medizinprodukte haben aufgrund ihrer Produktionsweise oder durch ihre Lieferketten einen hohen Eintrag in die Umwelt. Hier braucht es neben der Selbstkritik auch Kontakte und Expertise aus dem Umweltbereich. Eine weitere Handlungsempfehlung ist, das enorm hohe Vertrauen der Bevölkerung in Medizin und Gesundheitsberufe für die Kommunikation zu nutzen und zu mobilisieren. Und das ist ein Goldschatz für die Umwelt- und Klimakommunikation und damit für den Umweltschutz. Hier gilt es zu schauen, wie sich der Gesundheitssektor mit Mehrwert für die Umweltagenda einbringen kann.
Zum Beispiel?
Wir haben im vergangenen Jahr mit Unterstützung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt die allererste Konferenz für planetare Gesundheit auf die Beine gestellt. Dort haben wir Akteure aus Gesundheit, Umwelt und Politik zusammengebracht und beispielsweise über die Zusammenhänge zwischen Natur und Gesundheit gesprochen, über Stadtentwicklung und Gesundheit im Klimawandel.
Ziel Nummer 3 der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung will „ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters gewährleisten und ihr Wohlergehen fördern“. Wie kann das mit einer globalen Gesundheitspolitik erreicht werden?
Das kann erreicht werden, indem die globale Gesundheitspolitik auch Querverbindungen mit anderen Politikfeldern betrachtet. Genauso sind die Ziele für nachhaltige Entwicklung, die SDGs, auch angelegt. Wir müssen also ressortübergreifend denken und Politik machen. Zum Beispiel: Welche Rolle hat Gesundheit bei der UN-Klimakonferenz in Dubai 2023 gespielt? Noch findet das Thema menschliche Gesundheit dort vorgelagert statt, in einem sogenannten Health Day. Gesundheit ist also noch gar nicht Bestandteil der Klimaverhandlungen. Aus unserer Perspektive wäre es toll, wenn wir bei der Konferenz mehr über Gesundheitsindikatoren sprechen würden. Und wir müssen über gesundheitsbezogene Co-Benefits sprechen, also den Zusatznutzen, die gesundheitlichen Mehrgewinne von Klimaschutzmaßnahmen. Wir müssen politische Projekte so planen, dass wir Gesundheit und Umwelt gleichermaßen im Blick haben.
Denn das, was gut für die Umwelt, für das Klima ist, ist meistens auch gut für uns. Wenn wir uns beispielsweise überwiegend pflanzenbasiert ernähren, schont das den Boden und die Umwelt und ist gleichzeitig gesundheitsfördernd. Im Bereich Mobilität nützt muskelbasierte Fortbewegung sowohl uns als auch unserer Umwelt. Ein weiteres Beispiel sind erneuerbare Energien. Sie sind der Schlüssel für bessere Luftqualität, und erforderlich, um die Auswirkungen des Klimawandels auf uns zu verringern. Wenn wir daran denken, wie wir wohnen und welche Baustoffe wir verwenden, treffen Umwelt und Gesundheit ebenfalls zusammen. Wir verbringen so viel Zeit in Gebäuden und sind dort Schadstoffen ausgesetzt, dass diese Politikfelder noch stärker gemeinsam gedacht werden sollten.
Was muss in Deutschland passieren, damit das Gesundheitssystem hierzulande zukunftstauglich wird?
Am wichtigsten ist, das Gesundheitswesen noch mehr als präventives System auszubauen. Ziel muss sein, die Nachfrage nach Gesundheitsdienstleistungen zu reduzieren. Das heißt, wir müssen mit Gesundheitsförderung und Prävention dafür sorgen, dass Menschen gar nicht erst krank werden, zum Beispiel durch weniger Luft- und Umweltverschmutzung. Und wir müssen das Klima schützen. Der menschliche Körper kann sich nur zu einem geringen Teil an die Folgen des Klimawandels anpassen. Weniger erkrankte Menschen entlasten das Gesundheitssystem, das sowieso unter Druck steht durch überarbeitetes Personal und den Fachkräftemangel. Zudem brauchen wir die Umweltakteure, um gemeinsam über Risikofaktoren zu sprechen, die Umwelt und Menschen gleichermaßen krank machen.
Welcher Weg ist einzuschlagen, damit ökologische Nachhaltigkeit und gesundheitliche Chancengleichheit zusammenkommen?
Der größte Public Health-Kongress in Deutschland im März hat sich genau mit dieser Schnittstelle beschäftigt. Die Community für gesundheitliche Chancengerechtigkeit hat hier die Hand ausgestreckt zum Umweltbundesamt und zu Umweltorganisationen. Das ist ein starkes Zeichen, zusammenzuarbeiten und die Ressortgrenzen zu überschreiten. Man muss sich Zeit nehmen, eine gemeinsame Sprache zu finden beziehungsweise die Sprache und Sichtweisen der anderen zu lernen. Interdisziplinäre Zusammenarbeit dauert immer länger, als im eigenen Ressort zu agieren. Und man braucht viel Zutrauen, dass man gemeinsam mehr für die Zukunft erreicht.
Gesundheitliche Chancengerechtigkeit bedeutet nicht nur eine faire Verteilung zwischen arm und reich, sondern auch zwischen Männern und Frauen. Brauchen wir eine feministische Gesundheitspolitik?
Ja, ganz klar. Wir wissen aus der Forschung zu gesundheitlicher Chancengerechtigkeit, dass arm gleich krank bedeutet. Nirgendwo ist der Zusammenhang so klar wie dort. Menschen, die in Armut leben, sind tendenziell kränker, vor allem, weil gesund werden ressourcenintensiv ist. Und gesund bleiben eben auch. Und es gibt Genderunterschiede. Wenn ich auf Klimawandel und Gesundheit schaue, sind Frauen von den Folgen des Klimawandels, etwa extremer Hitze, besonders betroffen. Es gibt zum Beispiel mehr Schwangerschaftsabgänge und mehr Frühgeburten während Hitzewellen. Das ist alarmierend. Frauen arbeiten häufiger in Berufen, zum Beispiel in der Pflege, die besonders belastend sind während Hitzewellen und anderer Naturkatastrophen. Hier gilt es, wirkungsvolle Lösungen auf den Weg zu bringen.
Was ist Ihr Rezept, um gesund zu bleiben?
Ich habe einen Hund, mit dem ich gern und viel in der Natur unterwegs bin. Und Zeit mit Familie und Freunden verbringen, um den Akku aufzuladen und die soziale und mentale Gesundheit zu stärken. Guter Schlaf, gutes Essen, hier und da mal ein Stück Schokolade.
Interview: Marion Busch
Die Interviewpartnerin
Maike Voss ist Gesundheitswissenschaftlerin und geschäftsführende Direktorin des Centre for Planetary Health Policy (CPHP), ein von der deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG) gegründeter Think Tank.