„Ein Klimabonus ist das sozial gerechteste Instrument, um Menschen bei steigenden CO2-Preisen zu entlasten“
Um die ökologische Wende zu forcieren, muss die Bundesregierung mehr Klimaschutz wagen. Die ersten 100 Tage dafür sind vorbei. Was bisher geschehen ist, damit der Schalter umgelegt wird, und was weiterhin dringend notwendig ist, dazu haben wir Christoph Bals von Germanwatch befragt.
Welche klimapolitische Maßnahme würden Sie als Kanzler sofort umsetzen?
Ein Sofortprogramm, um die Gebäude, die zwischen dem Zweiten Weltkrieg und der 1977 in Kraft getretenen Wärmeschutzverordnung gebaut worden sind, zu sanieren – parallel zu dem geplanten Sofortprogramm für erneuerbare Energien. Bundesklimaschutzminister Robert Habeck will bis 2030 den CO2-Ausstoß im Vergleich zu 1990 um 65 Prozent senken und den Anteil von Strom aus erneuerbaren Quellen von derzeit 45 Prozent auf 80 Prozent erhöhen. Ist für diese Ziele schon etwas passiert? Ja. Der erste Teil des Sofortprogramms, insbesondere für erneuerbare Energien, ist in konkreter Vorbereitung – und im Haushalt wurde zusätzliches Geld für notwendige Klimainvestitionen eingestellt. Auch im internationalen Bereich sehen wir einige Bemühungen, Klimapartnerschaften, etwa mit Indonesien und Äthiopien auf den Weg zu bringen. Aber die Regierung musste einräumen, dass sie aufgrund der fehlenden Maßnahmen der letzten Jahre insbesondere im Verkehrs- und Gebäudebereich 2022 und 2023 die Klimaziele verpassen wird. Und im Verkehrsbereich sehen wir nicht etwa einen Trend zu kleineren, sondern zu größeren Autos.
Mitte Februar erschien eine Machbarkeitsstudie zur Klimaprämie, die unter anderem Germanwatch und der DNR mit beauftragt haben. Aus diesem Anlass fordern die Verbände unter anderem, Klimaschutz und Gerechtigkeit gemeinsam voranzubringen. Im Koalitionsvertrag hat die Regierung eine Pro-Kopf-Rückerstattung angekündigt. Ist damit der sozialen Gerechtigkeit nicht Genüge getan?
Die Ampelkoalition hat die Pro-Kopf-Rückerstattung zwar angekündigt, aber ohne einen konkreten Zeitraum oder andere Details zu nennen. Bis heute ist in dieser Hinsicht nichts passiert: Die Regierung hat offenbar noch nicht einmal damit begonnen, Vorbereitungen zu treffen, geschweige denn die Rückerstattung tatsächlich auf den Weg zu bringen. Dies sollte nun – angesichts der hohen Energiepreise – dringlich angepackt werden. Ein solcher Klimabonus ist in der Tat das sozial gerechteste Instrument, um Menschen bei steigenden CO2-Preisen zu entlasten. Es kommt aber darauf an, dass die Einnahmen wirklich zu einem großen Teil für diese Klimaprämie genutzt werden - und nicht etwa für die Pendlerpauschale oder andere sozial ungerechte Maßnahmen. Die von Ihnen erwähnte Studie zeigt, dass es sich sehr schnell und unbürokratisch umsetzen lässt. Nichts steht einer schnellen Umsetzung dieses deutlichen Beitrags zu mehr sozialer Gerechtigkeit im Weg. Ein Klimabonus in dieser Form kann jedoch nur die steigenden CO2-Preise kompensieren, nicht den generellen Preisanstieg bei Öl und Gas. Hier sind gegebenenfalls weitere Instrumente nötig, um soziale Gerechtigkeit zu gewährleisten. Eine grundlegende ökologische Steuerreform beispielsweise ist längst überfällig. Für sozial gerechten Klimaschutz ist auch der Abbau klimaschädlicher Subventionen nötig. Von den meisten dieser Subventionen profitieren überwiegend wohlhabende Menschen oder Unternehmen, während die Allgemeinheit sie über ihre Steuern finanziert. So leiden Klima und soziale Gerechtigkeit gleichermaßen. Hier muss die Ampel dringend nochmal ran.
Auf welchem Weg sollen die Menschen die Klimaprämie erhalten?
Die Klimaprämie wird in bestehende Auszahlungswege integriert, also in die Lohnsteuererstattung oder die Auszahlung der Grundsicherung, der Rente oder des Kindergeldes. Beim Bundeszentralamt für Steuern soll dafür ein digitales Klimaprämienregister eingerichtet werden. Über die Steuer-ID können fast alle Personen in das Register eingetragen werden, für die wenigen Übrigen gibt es Sonderlösungen, die sich ebenfalls einfach umsetzen lassen.
Stichwort Akzeptanz für notwendige Klimaschutzmaßnahmen: Welche Impulse müssen hierfür aus den zuständigen Ministerien und dem Kanzleramt kommen?
Ein Beispiel: Die gerade notwendige Beschleunigung des Ausbaus erneuerbarer Energien muss auch mit einer Verbesserung der Beteiligung, Teilhabe und sozialen Gerechtigkeit im Energiesystem einhergehen. Es geht darum, die Büger*innen an den richtigen Stellen zu beteiligen: Bei der integrierten Infrastrukturplanung oder der Flächenplanung etwa. Es gilt, die informelle Beteiligung zu stärken. Instrumente wie Energy Sharing können die finanzielle Teilhabe auch für Menschen mit geringem Einkommen ermöglichen. Die Kosten der Netzinfrastruktur sollten fairer verteilt werden, da hier im Moment Haushalte in Regionen mit hohem Erneuerbaren-Ausbau aktuell am meisten zahlen. Da stimmt auch die Anreizwirkung nicht.
Vor den Bundestagswahlen haben deutsche Umweltverbände gefordert, dass die neue Bundesregierung die Verhandlungen zum EU-Klimapaket „Fit for 55“ vorrangig vorantreiben muss. Hat die Koalition dafür ihre Hausaufgaben gemacht?
Wir befinden uns in der Dekade der Umsetzung. Auf EU-Ebene ist das „Fit for 55“-Paket der Umsetzungsarm für das Erreichen der EU-Klimaziele 2030 und ein Meilenstein für weniger Energie- und Rohstoffabhängigkeit. Zudem ist das der nationale Beitrag zur globalen 1,5-Grad-Strategie, die die EU bei der nächsten Weltklimakonferenz (COP 27) in Ägypten vorlegen soll. Die Bundesregierung sagt soweit den Kommissionsvorschlägen Unterstützung zu, und dies ist besonders deutlich und ermutigend bei Dossiers wie dem Emissionshandel für den Stromsektor und die Industrie sowie den CO2-Grenzwerten. Es sind aber noch viele Fragen innerhalb der Koalition offen: Wie weiter mit dem von der letzten Koalition stark geforderten europäischen Emissionshandel ETS2 für Gebäude und Verkehr auf EU-Ebene? Unterstützt Deutschland einen Sozial-Klima-Fonds? Wird ein Grenzsteuerausgleich (CBAM) unterstützt und gelingt eine Verzahnung mit einem Klimaklub, der Ambition steigert und gerecht ist? Noch ist die Bundesregierung zurückhaltend bei wichtigen Dossiers wie der Klimaschutzverordnung (ESR) für die Bereiche Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft und Abfallwirtschaft: So sollte sich Deutschland klar für eine Stärkung der Regeln für die nationale Umsetzung (ESR-Governance) einsetzen. Es ist auch wichtig, dass sie sich dafür einsetzt, wichtige Weichen für die Zeit nach 2030 schon jetzt zu stellen, denn da ist im Kommissionsvorschlag noch Luft nach oben. Zentral ist, dass für möglichst viele Dossiers die grundlegende Ausrichtung im Rat noch vor dem Sommer vorgenommen wird, so dass die Implementierung schnell losgehen kann. Hierfür ist die französische Regierung, die zurzeit die Präsidentschaft im Rat innehat, auf eine deutlichere Unterstützung ihres deutschen Partners angewiesen.
Für die Umsetzung des europäischen Green Deals sind hohe Investitionen notwendig, laut dem Europäischen Rechnungshof EU-weit jährlich 520 Milliarden Euro. Was erwarten Sie von der Bundesregierung, damit diese Investitionen auch vorgenommen werden?
Es ist notwendig, eine europäische „grüne goldene Regel“ zu etablieren, die die Mitgliedstaaten zur Finanzierung großer Transformationsprojekte verpflichtet. In seiner bisherigen Form wird der Stabilitäts- und Wachstumspakt nicht zu mehr, sondern langfristig zu weniger Stabilität führen. Er sollte durch einen Stabilitäts- und Nachhaltigkeitspakt abgelöst werden. Stabilität setzt die Eindämmung der Klimakrise voraus und für die dafür nötigen Investitionen muss genug Flexibilität geschaffen werden. Die französische Regierung als aktuelle EU-Ratspräsidentschaft und die Bundesregierung sind dafür besonders gefordert.
Sind 1,5 Grad überhaupt noch zu schaffen?
Vermutlich gerade noch. Zentral ist, dass die großen Emittenten der G20, nachdem sie jetzt ihre Langfristziele verankert haben, das Tempo der Umsetzung dieser Ziele verdreifachen. Ich hoffe, dass der Krieg gegen die Ukraine in großen Teilen der Welt einen zusätzlichen Anstoß gibt, so schnell wie möglich aus Kohle, Öl und Gas auszusteigen.
Was ist Ihr persönlicher Mutmacher für die Umwelt- und Klimapolitik in den kommenden vier Jahren?
Die Klima- und die Biodiversitätskrise spitzen sich enorm zu. Die Hoffnung liegt nicht mehr einfach auf der Straße, sondern muss aktiv organisiert werden. Die Menschen, die das in der Politik, in der Wirtschaft und vor allem in der Zivilgesellschaft in die Hand nehmen, das sind meine Mutmacher*innen.
Das Interview führte Marion Busch
Der Interviewpartner
Christoph Bals ist politischer Geschäftsführer von Germanwatch. Zudem ist er unter anderem Mitglied des Sprecherrats der Klima-Allianz Deutschland und der politischen Koordinationsgruppe des internationalen Climate Action Network. Bals studierte Theologie, Volkswirtschaft und Philosophie.