Energiecharta-Vertrag: neue Schiedsgerichtsklagen gegen Deutschland
Deutschland wird zum Jahresende aus dem Energiecharta-Vertrag (ECT) aussteigen. Nun häufen sich innerhalb kurzer Zeit Klagen von Energieunternehmen: Mitte Oktober hat eine schweizerische Energiegesellschaft im Rahmen des ECT-Vertrags eine Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland vorgelegt. Kurz darauf wurde eine Klage des britischen Raffineriebetreibers Klesch zusammen mit seiner deutschen Tochtergesellschaft Heide Raffinerie bekannt.
Die Klesch Group, zu der auch die Heide Raffinerie in Norddeutschland und die Kolundborg Raffinerie in Dänemark gehören, hat sich bisher nicht zu den Gründen für die Klage geäußert, aber wie der Tagesspiegel Background berichtet, könnte sie mit der befristeten Besteuerung von Zufallsgewinnen in Verbindung stehen. Auf diese hatten sich die EU-Länder im September 2022 für Erdgas- und Raffineriekonzerne geeinigt. Dies ist bereits die zweite Klage gegen Deutschland innerhalb weniger Tage, nachdem auch die schweizerische Azienda Elettrica Ticinese (AET) Klage gegen die Bundesrepublik eingereicht hat. AET, die auch am Kohlekraftwerk Lünen beteiligt ist, fordert eine "angemessene" finanzielle Entschädigung für die vorzeitige Stilllegung des Kraftwerks aufgrund des deutschen Kohleausstiegsgesetzes.
Unternehmensgewinne auf Kosten staatlicher Autonomie
Der Energiecharta-Vertrag regelt als internationales Abkommen den Investitionsschutz und die Energieinvestitionen zwischen den Vertragsparteien, also Staaten und Investor*innen. Klagen im Rahmen des ECT ermöglichen es ausländischen Investor*innen, Streitigkeiten mit Staaten vor Schiedsgerichten beizulegen, wenn sie der Meinung sind, dass ihre Investitionen durch staatliche Maßnahmen geschädigt wurden.
Aufgrund hoher Anwaltshonorare und potenzieller Schadensersatz- oder Vergleichszahlungen in Milliardenhöhe sind solche Klagen nicht nur rechtlich, sondern auch finanziell äußerst lukrativ für die Kläger*innen. Die Hamburger Kanzlei Luther, die nun auch AET vertritt, hat bereits in der Vergangenheit ECT-Klagen gegen Deutschland geführt. So zum Beispiel im Rechtsstreit mit Vattenfall, der zu einer Entschädigungszahlung von mehr als 1,4 Milliarden Euro führte, als Teil eines Vergleichs aufgrund entgangener Gewinne infolge des beschleunigten Atomausstiegs.
Für Staaten erweisen sich die sogenannten Investoren-Staat-Schiedsverfahren (ISDS) aber nicht nur als kostspielig, sie untergraben auch ihre Fähigkeit, Umweltschutzbestimmungen durchzusetzen. Ein eindrückliches Beispiel für die Konsequenzen solcher Klagen ist ein Fall aus dem Jahr 2006. Die Kanzlei Luther erzielte im Rahmen eines solchen ISDS erfolgreich einen Gerichtsentscheid, der zur Abschwächung der Wasserschutzrichtlinie in Hamburg zugunsten eines Kohlekraftwerks führte. Es überrascht daher nicht, dass bereits mehrere EU-Länder, darunter Italien, Polen, Spanien, die Niederlande, Frankreich und Slowenien, ihren Ausstieg aus dem ECT erklärten. Auch Deutschland hat seinen Ausstieg angekündigt, jedoch bleibt der Investitionsschutz des ECT noch für weitere 20 Jahre in Kraft (die sogenannte Sunset-Klausel), bereits getätigte Investitionen damit über private Schiedsgerichte einklagbar.
Umweltinstitut München fordert: Investorenklagen abwehren
Das Umweltinstitut München hat bereits im Jahr 2022 ein Rechtsgutachten veröffentlicht, das darauf hinweist, dass Klagen von ausländischen Investor*innen gegen EU-Staaten illegal seien. Laut diesem Gutachten würden Schiedssprüche, die in solchen Klagen ergehen, grundsätzlich in der EU nicht vollstreckbar sein. Das Institut ruft die deutsche Bundesregierung auf, sich juristisch gegen die Klagen von AET und der Klesch Group zu wehren und sollte es zu einer Verurteilung kommen, nicht zu zahlen. Die Organisation fordert zudem eine koordinierte Kündigung des ECT durch europäische Mitgliedsstaaten, um diesen veralteten und klimaschädlichen Vertrag zu verlassen. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob sich eine Mehrheit für diesen Schritt im Europäischen Rat finden wird. [ks]
Tagesspiegel Background: Mehrere Energiecharta-Klagen gegen Deutschland
DNR: Kollektiver Austritt der EU aus Energiecharta-Vertrag?
Rechtsgutachten Umweltinstitut München: Ist der Vollzug von Investor-Klagen in der EU möglich?
Pressemitteilung Umweltinstitut München: Neue Energiecharta-Klagen gegen Deutschland