EU-Kommission: Erstmals Regeln für Kohlenstoffentnahme
Die EU-Kommission hat am Mittwoch einen Gesetzesrahmen für den Abbau von CO2 aus der Atmosphäre vorgeschlagen. Qualitätskriterien sollen die Zertifizierung vereinheitlichen. Scharfe Kritik am Ansatz kommt von Umweltverbänden.
Gestern hat die EU-Kommission ihren Verordnungsvorschlag für die Zertifizierung von Kohlenstoffentnahmen vorgelegt. Der Vorschlag zum „Carbon Removal Certification Framework“ (CRCF) soll einen rechtlichen Rahmen für die Bindung und die Entnahme von Kohlenstoff aus der Atmosphäre schaffen. Die Regelungen zum CO2-Abbau seien notwendig, damit die EU ihr Ziel der Klimaneutralität bis 2050 einhalten kann. Über die Kohlenstoffbindung sollen Emissionen kompensiert werden, die nicht vermieden werden können. Laut Kommission muss die EU ihre Treibhausgasemissionen „auf ein Minimum“ reduzieren. Zusätzlich müssen Techniken zur CO2-Entnahme genutzt werden, um verbleibende Emissionen auszugleichen und somit bis 2050 Netto-Null-Emissionen zu erreichen.
Regeln für Kohlenstoffbindung
Mit dem Vorschlag sollen nun EU-weite Mindeststandards und Qualitätskriterien zur Zertifizierung solcher „negativer Emissionen“ vereinheitlicht werden. Ziel sei es mehr Transparenz zu schaffen, um die CO2-Entnahme besser quantifizieren und überwachen zu können. So sollen Vorschriften für die unabhängige Überprüfung und Regeln für die Anerkennung von Zertifizierungssystemen definiert werden. Dabei bleibt im Vorschlag aktuell weitgehend offen, wer solche Zertifikate zur Kompensation bereitstellen kann, für wen sie nutzbar sind und unter welchen Bedingungen sie genutzt werden können.
Technische Optionen, Carbon Farming und Speicherung in Produkten
Bei den Ansätzen zur Entnahme von Kohlenstoff unterscheidet die Kommission grundsätzlich zwischen technischen Ansätzen und landbasierten Optionen. Darüber hinaus führt sie im Vorschlag auch langlebige Produkte und Materialien zur CO2 -Speicherung auf. Bei den technischen Lösungen wird mittels industrieller Prozesse CO2 abgeschieden und in unterirdischen Lagerstätten gespeichert („Carbon Capture and Storage“, CCS). Dazu zählen etwa Verfahren die auf der Verbrennung von Biomasse basieren, wie Bioenergie mit CO2-Abscheidung und -Speicherung („BioEnergy with Carbon Capture and Storage“, BECCS) ebenso wie direkte CO2-Abscheidung aus der Luft („Direct Air Carbon Capture and Storage“, DACCS). Im Gegensatz hierzu sehen die landbasierten Lösungen, auch als Carbon Farming bezeichnet, die Speicherung von Kohlenstoff in lebender Biomasse oder toten organischen Material vor. Dabei wird in Böden, Mooren und Wäldern CO2 gebunden oder die Freisetzung vermieden. Frans Timmermans, Vizepräsident der EU-Kommission, sieht darin sowohl „ein großes Potential für die biologische Vielfalt“ als auch „neue Geschäftsmöglichkeiten“ für Land- und Forstwirtschaft.
QU.A.L.ITY = Qualität?
Zur Gewährleistung von Mindeststandards bei der Zertifizierung legt der Vorschlag vier sogenannte QU.A.L.ITY-Kriterien fest. Durch Maßgaben zur QUantifizierung soll die Messung der Kohlenstoffentnahme bestimmt werden. Durch „Additionality“ sollen die Zusätzlichkeit zu bestehenden Maßnahmen und die gesetzlichen Vorgaben abgesichert werden. Die Kohlenstoffbindung soll langfristig erfolgen („Long-term-Storage) und die Zertifikate an die dauerhafte Speicherung geknüpft sein. Die CO2-Entnahme soll außerdem zur „Sustainability“ (Nachhaltigkeit) beitragen, sodass sie in Einklang mit weiteren Nachhaltigkeitszielen wie etwa dem Biodiversitätsschutz erfolgt. Darüber hinaus lässt der Vorschlag noch viele Fragen zur Zertifizierung unbeantwortet.
Scharfe Kritik
NGOs und Umweltverbände warnten schon länger vor den möglichen Risiken des Kommissionsvorschlags. Im Zentrum der Kritik steht die Sorge, dass über die Möglichkeit zur Kompensation echte Reduktionsbemühungen unterminiert würden. Somit bestehe die Gefahr, dass der Status quo erhalten bleibt und die Verursachung weiterer Emissionen legitimiert werden können: „Die Verschmutzung durch fossile Brennstoffe in diesem kritischen Jahrzehnt mit zeitlich befristeten Kompensationen zur erlauben, verzögert nur die Dekarbonisierung", sagte etwa Ulriikka Aarnio, Expertin für Landnutzung und Kohlenstoffbindung beim Klimaaktionsbündnis CAN Europe. Darüber hinaus sei der Vorschlag unausgereift und lade zu Greenwashing ein: "Die Kommission hat gerade einen Rahmen für die Zertifizierung von Greenwashing veröffentlicht“, kommentierte Célia Nyssens, Expertin für Landwirtschaft und Ernährungssysteme des Europäischen Umweltbüros (EEB). Auch der NABU, der WWF, die Waldschutzorganisation FERN und der europäische Bio-Dachverband IFOAM kritisierten den Vorschlag der Kommission.
Real Zero Europe
Entsprechend veröffentlichten am Montag über 200 Organisationen eine Erklärung, in der sie eine Abkehr von Kompensationsmärkten forderten und die Debatten um Kohlenstoffentnahme als eine „Verschleierungstaktik für die gegenwärtige Untätigkeit“ bezeichneten. Stattdessen müssen laut der „Real Zero Europe“-Kampagne die Emissionen „an ihrer Quelle drastisch reduziert werden, hin zu echten Null-Emissionen“. Ebenfalls am Montag veröffentlichte das Institute for Agriculture and Trade Policy (IATP) einen kritischen Bericht, in dem den Interessen großer Unternehmen nachgegangen wird, die Ansätze rund um das Thema Carbon Farming, voranzutreiben.
Nächste Schritte
Der Kommissionsvorschlag zum „Carbon Removal Certification Framework“ wird nun im Rahmen eines ordentlichen Gesetzgebungsverfahren vom Europäischen Parlament und vom Rat erörtert. Eine Expert*innengruppe soll im 1. Quartal 2023 zudem verschiedene Zertifizierungsmethoden für die unterschiedlichen Maßnahmen zur CO2-Entnahme entwickeln. [bp]