EU-Kommission färbt Gas- und Atomkraft als „grüne“ Brückentechnologie
Am 2. Februar hat die EU-Kommission beschlossen, fossiles Gas und Atomkraft in die EU-Taxonomie aufzunehmen. Gas- und Atomkraft werden damit unter bestimmten Voraussetzungen und für eine festgesetzte Übergangszeit als nachhaltige Technologien eingestuft. Die Entscheidung der Kommission sorgt EU-weit für Aufregung. Österreichs Umweltministerin Leonore Gewessler kündigte eine Klage beim Europäischen Gerichtshof an.
Am 31. Dezember gab die EU-Kommission bekannt, Gas und Atomkraft in der Taxonomie als klimafreundlich einzustufen. Die EU-Mitgliedstaaten hatten bis zum 21. Januar die Gelegenheit erhalten, Stellung zu dem delegierten Rechtsakt, in dem Details der Taxonomie-Verordnung geregelt werden, zu beziehen. Sowohl einige EU-Mitgliedstaaten, das Beratungsgremium der EU-Kommission „Plattform für nachhaltige Finanzen“ als auch Umweltverbände äußerten scharfe Kritik.
Die Taxonomie zielt darauf ab, Finanzströme in Richtung Nachhaltigkeit zu leiten. Der neu vorgelegte Rechtsakt sieht vor, dass Gaskraftwerke als nachhaltig eingestuft werden, wenn diese klimaschädlichere Kraftwerke ersetzen. Atomkraftwerke sollen bis 2045 als nachhaltig gelten, sofern die Frage der Endlagerung bis 2050 geklärt ist. Die Kommission verspricht sich von der Aufnahme der beiden Energieträger die Dekarbonisierung von Industrie und Wirtschaft wie auch die Einhaltung der europäischen Klimaziele.
Die Einstufung von Atomkraft und fossilem Gas als förderungswürdige Übergangstechnologien ist umstritten. Die Entscheidung der Kommission sorgt unter Umweltverbänden für Kritik. Die Klassifizierung als nachhaltig widerspreche wissenschaftlichen Erkenntnissen und führe somit zu Glaubwürdigkeitsverlusten der EU, so die Organisation Germanwatch. Darüber hinaus gefährde die Aufnahme der beiden Energiequellen die Einhaltung der europäischen Klimaziele, da weder Gas- noch Atomkraft klimaneutral seien. Martin Kaiser, Vorstandschef von Greenpeace Deutschland, fordert Bundeskanzler Olaf Scholz dazu auf „gemeinsam mit Österreich und Luxemburg durch Einreichung einer Klage das Greenwashing der Kommission [zu] verhindern”. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) bewertet das Nachhaltigkeitslabel für Atomkraft und Gas als „klimapolitische Bankrotterklärung“. Darüber hinaus äußert die DUH rechtliche Bedenken und fordert den Ministerrat und das EU-Parlament dazu auf, dass Greenwashing der EU-Kommission zu stoppen.
Klimaschutzminister Robert Habeck und Bundesumweltministerin Steffi Lemke lehnen den Beschluss der EU-Kommission ab. Im Gegensatz zu den Umweltverbänden sprechen sich Habeck und Lemke jedoch lediglich gegen die Aufnahme von Atomkraft aus. Dass die Aufnahme von Atomenergie und fossilem Gas in die Taxonomie verhindert wird, gilt zwar als unwahrscheinlich. Der delegierte Rechtsakt könnte aber noch gestoppt werden, wenn entweder eine Mehrheit im EU-Parlament oder 20 Mitgliedstaaten gegen die Aufnahme in die Taxonomie stimmen. Im Europäischen Parlament wird zunehmend fraktionsübergreifender Unmut über das Vorgehen der Kommission laut. [lw]
EU-Kommission: EU-Taxonomie: ergänzender delegierter Klima-Rechtsakt
Germanwatch: EU-Taxonomie droht viel Glaubwürdigkeit zu verlieren
Greenpeace: Falsches Grün
Deutsche Umwelthilfe: „Klimapolitische Bankrotterklärung“: EU-Kommission legt endgültigen Taxonomie-Text vor und ignoriert Kritik an Greenwashing von Atomkraft und Gas
Pressemitteilung: Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz: BMWK - Habeck und Lemke lehnen Taxonomie-Rechtsakt der EU-Kommission ab
Euraktiv: Deutsche Industrie geht in Kampf um EU-Taxonomie als Sieger hervor