EU-Lieferkettengesetz gescheitert: Eine Blamage für die EU
Es war ein langes Ringen um eine eigentlich bereits beschlossene Sache – ohne positiven Ausgang. Zwar ist das EU-Lieferkettengesetz im EU-Rat vorerst gescheitert, es besteht aber noch eine geringe Chance auf eine Einigung. Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen sprechen von einer katastrophalen Niederlage und sehen Deutschland in der Verantwortung für einen Kurswechsel.
Es scheint, als habe die von der FDP und nationalen Industrieverbänden initiierte Lobbyarbeit letztlich Früchte getragen und den seit Wochen andauernden Krimi um das EU-Lieferkettengesetz zunächst beendet: Mehr als die Hälfte der 27 EU-Mitgliedstaaten blockierte am 28. Februar Fortschritte bei der Richtlinie zur Nachhaltigkeitsprüfung von Unternehmen (CSDDD) im EU-Rat. Dem unerwartet breiten Widerstand unter den Mitgliedstaaten hatten sich in den letzten Tagen vor der Abstimmung immer mehr Länder angeschlossen – darunter Österreich, Bulgarien, die Tschechische Republik, Ungarn, Litauen, Luxemburg, Malta und die Slowakei. Zuvor haben bereits Deutschland, Italien, Schweden, Estland und Finnland der Richtlinie ablehnend gegenübergestanden und nun weitere Mitgliedstaaten davon überzeugt, ihrem Beispiel zu folgen.
Besonders überraschend war jedoch die positive Kehrtwende Frankreichs in dem Fall. So hatte der Mitgliedstaat kurzfristig die Seiten gewechselt und war zur Zustimmung der Richtlinie übergegangen, nachdem der Finanzsektor von einigen der wichtigsten Sorgfaltspflichten des Gesetzes weitgehend exkludiert worden war. Allerdings hat das Land mit seinem Druck auf die belgischen Verhandlungsführer auch eine deutliche Abschwächung der Richtlinie bewirkt. So soll die Schwelle der Beschäftigtenzahl betroffener Unternehmen von 500 auf 5.000 erhöht worden sein, wodurch anstatt 15.000 nur noch etwa 1.400 Unternehmen unter die Zuständigkeit der Richtlinie fallen würden.
Wie kann es nun weitergehen?
Nach der Blockade des Gesetzes bleibt den belgischen Vertreter*innen kaum mehr Zeit, einen neuen Kompromisstext zu verfassen, der von einer qualifizierten Mehrheit unterstützt werden und dem EU-Parlament in der letzten Plenarsitzung im April vor den Europawahlen im Juni vorgelegt werden könnte. Die Chancen, dass diese Mehrheiten in den nächsten Wochen noch zustande kommen und zum EU-Lieferkettengesetz noch in dieser Legislaturperiode eine Einigung erzielt werden kann, stehen somit schlecht.
Statt dem nach der Trilogphase üblichem „Korrigendum“-Zeitraum zur Übersetzung von Gesetzen in die Landessprachen, soll diese Phase nun dazu genutzt werden, die Verhandlungen zum Gesetz zu beschleunigen und eine neue Einigung mit einigen bedeutsamen Änderungen an der Richtlinie zu erzielen. Das Zeitfenster hierfür ist aber mit Blick auf einen von einem EU-Diplomaten genannten Zieltermin Mitte März äußerst schmal. Entsprechend werten zahlreiche Politiker*innen, Umweltorganisationen und Journalist*innen das Gesetz als bereits gescheitert.
Laute Kritik vonseiten vieler NGOs: FDP wird der Sabotage beschuldigt
Deutsche und europäische Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen äußern sich mit scharfen Worten insbesondere zur Blockade der FDP und dem durch die Enthaltung Deutschlands herbeigeführten Scheitern des EU-Lieferkettengesetzes auf den letzten Metern. So spricht die Deutsche Umwelthilfe (DUH) von einer „katastrophale[n] Niederlage für den Schutz von Menschenrechten, Umwelt und Klima“. Die „Sabotagehaltung der FDP und ihre massive Einflussnahme auf andere Mitgliedsstaaten“ hätten letztlich zum „Sargnagel“ für dieses in vielerlei Hinsicht so bedeutende Projekt auf EU-Ebene geführt. Auch Bundeskanzler Scholz habe sich durch seine Passivität an dem „Verlust der Glaubwürdigkeit Deutschlands (…) auf EU-Ebene“ mitschuldig gemacht.
Olaf Bandt, Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), plädiert dafür, dass bei den „anstehenden Nachverhandlungen in den kommenden Wochen ein Kompromiss pro EU-Lieferkettengesetz gefunden werden“ müsse. „Eine massive Blamage für Europa und ein herber Rückschlag“ ist das Scheitern des CSDDD aus Sicht von Martin Kaiser, Geschäftsführendem Vorstand bei Greenpeace. Armin Paasch vom Entwicklungshilfswerk Misereor bezeichnet die Ablehnung des Gesetzes in der jetzigen Form zudem als „moralische Bankrotterklärung“. Durch die angekündigte Enthaltung sei die deutsche Bundesregierung „vom Pionier zum Bremsklotz geworden“ und hätte „in anderen Mitgliedstaaten Fliehkräfte ausgelöst“, die zum Scheitern im EU-Rat geführt hätten.
Doch es gibt auch noch hoffnungsvolle Stimmen zwischen all der Enttäuschung und Wut: aus Sicht der Initiative Lieferkettengesetz ist der „Zug für das EU-Lieferkettengesetz noch nicht [ganz] abgefahren“. [mi]
Euractiv: EU-Lieferkettengesetz fällt politischer Kehrtwende zum Opfer
Misereor PM: Rückschlag für EU-Lieferkettengesetz
Tagesschau.de: EU-Lieferkettengesetz scheitert erneut