EU-Strommarktreform: Deutschland befürchtet Wettbewerbsverzerrung
Noch immer keine Einigung bei der Strommarktreform: Am 19. Juni konnte sich der EU-Energierat nur auf eine gemeinsame Position bei der Verordnung über die Integrität und Transparenz des Energiegroßhandelsmarkts (REMIT) verständigen. Debattiert wird weiterhin über die Kapazitätszahlungen an bestehende Kohlekraftwerke sowie über die staatliche Unterstützung für die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken mittels Differenzverträge.
Am 14. März 2023 legte die EU-Kommission ihren Vorschlag für eine Reform des europäischen Strommarktes vor. Durch die Neugestaltung sollen Strompreise, insbesondere für Verbraucher*innen, gesenkt und der Ausbau der Erneuerbaren gefördert werden. Konkret ist die Überarbeitung der Elektrizitätsverordnung, der Elektrizitätsrichtlinie und der Verordnung über die Integrität und Transparenz des Energiegroßhandelsmarkts (REMIT) vorgesehen. Ziel ist ein funktionierender Energiebinnenmarkt, der stabile, erschwingliche und wettbewerbsfähige Energiepreise garantiert und „Preissignale für Investitionen in umweltfreundliche Energie aussendet“.
Genau diese Signale aber könnten die sogenannten Contracts for Difference (CfD) verhindern, so die Sorge einiger Mitgliedstaaten, falls Frankreich dieses Instrument für seine bestehenden Atomkraftwerke nutzen darf. Stark verkürzt gesagt, kann ein Staat mit diesen Differenzverträgen Strompreise ausgleichen: Energieerzeuger erhalten einen staatlich garantierten Mindestpreis, gleichzeitig schöpft der Staat über einem Höchstpreis Gewinne ab. Das bedeutet stabile Einnahmen für Stromerzeuger und Schutz von Industrie und Haushalten vor Preisschwankungen. Da Frankreichs Kernkraftwerke jedoch hinsichtlich der Investitionskosten weitgehend abgeschrieben sind und seit dem 8. Juni 2023 wieder in staatlicher Hand, wäre dies „wie ein Scheck über 120 Milliarden Euro“, so Luxemburgs Energieminister Claude Turmes.
Ursprünglich für den Ausbau der Erneuerbaren Energien gedacht, hätten die so genutzten CfD den gegenteiligen Effekt: Sie würden den Anreiz, in Erneuerbare zu investieren, abschwächen. Doch nicht nur das – Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck befürchtet Wettbewerbsverzerrungen: „Wir sind mit Differenzverträgen im Allgemeinen natürlich einverstanden, aber bei der bestehenden Stromerzeugung sind wir der Meinung, dass dies zu Marktverzerrungen führen könnte, da große Teile der Märkte unflexibel werden könnten.“
Da der Einsatz der Differenzverträge für bereits bestehende Anlagen vor allem Mitgliedstaaten mit großen Stromerzeugungskapazitäten einen Vorteil verschafft, wird als Kompromisslinie, um im Rat doch noch zu einer Einigung zu kommen, die Verhältnismäßigkeit der Investition diskutiert. Damit ist gemeint, dass der Garantiepreis nur für einen Anteil der Stromerzeugung eines bestehenden Kraftwerks gelten soll.
In Ausnahmefällen auch Förderung für Kohleverstromung
In der Diskussion stehen außerdem die Subventionen für Kohlemeiler in Polen über Kapazitätsmechanismen. Kapazitätsmechanismen sind staatliche Vergütungen für das Vorhalten von gesicherter elektrischer Leistung. Die Ausnahmeregelung für Polen brachte am 16. Juni überraschend die schwedische EU-Ratspräsidentschaft ins Spiel. Hintergrund sei, dass die Ukraine um weitere Stromlieferungen aus der EU gebeten habe. Das Nachbarland Polen könnte einspringen, auch wenn die Kohlemeiler wegen zu hoher Kohlendioxid-Emissionen eigentlich vor der Abschaltung stehen. Der Vorschlag der Ratspräsidentschaft sieht vor, dass Polen sein Förderprogramm für Kohlekraftwerke, das 2025 auslaufen sollte, bis 2028 verlängern kann. Mit Blick auf die europäischen Klimaziele kündigten jedoch bereits mehrere Energieminister ein Veto an.
Weil bisher keine Einigung im Rat erzielt wurde, liegt die Verhandlung über die Strommarktreform nun beim Ausschuss der Ständigen Vertreter (COREPER). Der Abschluss des Reformvorhabens wird bis Jahresende erwartet. [ym]
Quellen:
Pressemitteilung EU-Kommission
Euractiv: Atomkraftfront stellt sich quer
Euractiv: Strommarktreform spaltet Europa