Kollektiver Austritt der EU aus Energiecharta-Vertrag?
Am 7. Juli hat die EU-Kommission den kollektiven Austritt der EU, EURATOM und ihrer Mitgliedstaaten aus dem umstrittenen Energiecharta-Vertrag (ECT) vorgeschlagen, nachdem absehbar war, dass eine Modernisierung des Vertrages nicht zustande kommen würde. Frankreich, Deutschland, die Niederlande und Spanien hatten vergangenen November ein Abkommen zur Modernisierung des ECT blockiert. Umweltverbände begrüßten den Schritt.
Nach Rechtsgutachten und diversen Protesten hatte auch das EU-Parlament im November 2022 die Kommission mittels einer Resolution aufgefordert, aus dem ECT auszusteigen. Italien war bereits 2016 aus dem Vertrag ausgestiegen, 2022 kündigten auch Spanien, Luxemburg, die Niederlande, Polen, Frankreich, Slowenien und Deutschland den Austritt an. Inzwischen haben sich mit Dänemark und Irland weitere Staaten der Austrittskoalition angeschlossen. Mit dem nun vorgelegten Beschlussentwurf will die EU-Kommission den ungeordneten Austritt von weiteren EU-Staaten verhindern. Derzeit haben 54 Länder, die Europäische Gemeinschaft und EURATOM den Vertrag unterzeichnet oder sind ihm beigetreten.
Der Vertrag, der seit seiner Unterzeichnung im Dezember 1994 weitestgehend unverändert besteht, sei „nicht mehr vereinbar mit den ehrgeizigeren EU-Klimazielen des europäischen Grünen Deals und des Pariser Klimaabkommens“, begründet die Kommission ihren Vorschlag. Mit der Beschlussvorlage zieht die Kommission gleichzeitig ihren früheren Vorschlag zur Ratifizierung des modernisierten Vertrags zurück.
Ludwig Essig vom Umweltinstitut München begrüßte den Schritt der EU-Kommission: „Ein Austritt aus dem ECT ist nicht nur gut für das Klima, sondern auch für den Haushalt der europäischen Mitgliedstaaten. Sie können die sogenannte Zombieklausel – eine Klausel, die es internationalen Investoren auch nach Austritt weitere 20 Jahre ermöglicht, Staaten zu verklagen – untereinander neutralisieren und so den Steuerzahler:innen weitere Milliardenschäden ersparen.“
Rechtsstreitigkeiten der Mitgliedstaaten verhindern
Die Aussage Essers bezieht sich auf die Investor-Staat-Streitbeilegungsverfahren (ISDS) in Handelsabkommen. Sie ermöglichen Unternehmen, Staaten vor Schiedsgerichten zu verklagen, sofern ihre Gewinne beeinträchtigt werden. Insbesondere Energiekonzerne haben den ECT in den vergangenen Jahren für milliardenschwere Klagen gegen Staaten genutzt, die aus fossilen Energien aussteigen oder höhere Umweltschutzstandards einführen wollten. Umwelt- und Klimaschutzorganisationen hatten in der Vergangenheit deshalb immer wieder darauf gedrängt, den Energiecharta-Vertrag zu kündigen.
Die Kommission hatte zunächst ein sogenanntes „Inter-se“-Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten in Betracht gezogen, um die sogenannte „Sunset-Klausel“, die den Schutz bestehender Energieinvestitionen nach dem Ausstieg um 20 Jahre verlängern würde, zu umgehen. Das „Inter-se“-Abkommen ist zwar nicht Teil des nun vorliegenden Vorschlags für den Austritt. Die EU-Kommission ließ aber verlauten, dass sie in jedem Fall verhindern möchte, dass es zu Rechtstreitigkeiten aufgrund der Sunset-Klausel zwischen den Mitgliedstaaten kommt.
Der Vorschlag der Kommission geht nun zum Beschluss an den Rat der EU; für die Annahme ist eine qualifizierte Mehrheit erforderlich. Beim derzeit laufenden informellen Treffen der EU-Energieminister*innen (11. und 12. Juli in Valladolid) soll eine erste Diskussion stattfinden. [ym]
EU-Kommission zur ECT-Beschlussvorlage
Pressemitteilung Umweltinstitut München e.V.
Artikel ENDS Europe (kostenpflichtig): Commission stands ground with push for joint EU exit