Menü
Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzorganisationen
News | 08.02.2023
# sozial-ökologische Transformation #Politik und Gesellschaft

Neustart beim Wohnen?

Neubau - erschwinglich?
© Pixabay/Stefan Schweihofer
Neubau - erschwinglich?

400.000 neue Wohnungen wollte die Bundesregierung pro Jahr bauen, als Antwort auf horrende Mietpreise und Wohnungsmangel in deutschen Städten! Klimafreundlich, bezahlbar und barrierearm sollten die Wohnungen sein, 100.000 davon geförderte Sozialwohnungen. Bereits jetzt ist klar, diese Ziele sind weder quantitativ noch qualitativ zu halten. Was folgt daraus? Die Antwort kann nur eine sozial gerechtere und ökologischere Wohnungspolitik sein!

Die Wohnungskrise in Deutschland spitzt sich immer mehr zu. In Deutschland werden 2023 laut einer Studie des Mieterbundes mehr als 700.000 Wohnungen fehlen – besonders Sozialwohnungen und bezahlbare Mietwohnungen. Bereits 2021 wurden weniger als 300.000 Wohnungen fertiggestellt, für 2022 und 2023 sehen die Prognosen nochmal deutlich schlechter aus. Hinzu kommt, dass der Wohnungsneubau, so wie er derzeit geschieht, keine Entlastung für die extrem angespannten städtischen Wohnungsmärkte schafft. Denn ein Großteil der Neubauwohnungen ist für Mieter*innen nicht bezahlbar. Von den 2021 rund 293.000 neu gebauten Wohnungen sind weniger als ein Drittel klassische Mietwohnungen und weniger als ein Zehntel bezahlbare Sozialwohnungen.

Franz Michel
Neubau allein wird es nicht mehr richten - wie er jetzt geschieht, schafft er keine Entlastung für die extrem angespannten städtischen Wohnungsmärkte. Stattdessen muss der Bestand an öffentlichen Wohnungen deutlich erhöht werden.
Franz Michel, Deutscher Mieterbund
Leiter der Abteilung für Wohnungs- und Mietenpolitik

Die Mieten steigen trotz Corona-Pandemie und Wirtschaftskrise ungebremst weiter, die Heizkosten sind zur „zweiten Miete“ für viele Mieter*innen geworden. Der Druck auf den Mietwohnungsmarkt steigt gerade enorm, um knapp 6 Prozent sind die Angebotsmieten im 3. Quartal 2022 gestiegen, in manchen Regionen sogar um mehr als 10 Prozent. Dieser Trend wird sich auch in diesem Jahr weiter fortsetzen, denn die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum ist ungebrochen. Die individuelle Wohnkostenbelastung nimmt dadurch besorgniserregend zu, dabei waren viele Haushalte bereits vor der Krise überlastet. Die Situation verschärft sich noch, da die Kaltmieten weiter steigen, die hohen Energiepreise die Kosten für Heizung und Warmwasser mehr als verdoppeln und die steigende Inflation die Ersparnisse der Mieter*innen aufbraucht.

90 Prozent aller Wohnungen von fossiler Energiepreiskrise betroffen

Gerade in der Energiepreiskrise zeigt sich der desolate Zustand des Gebäudebestands. Rund die Hälfte der rund 43 Millionen Wohnungen werden mit Gas beheizt, gut 25 Prozent mit Heizöl. Hinzu kommt Fernwärme, die circa 14 Prozent aller Wohnungen mit Wärme versorgt und bei der Erdgas als Brennstoff ebenfalls eine zentrale Rolle spielt. Von den Preisanstiegen für Öl und Gas sind daher bis zu 90 Prozent aller Wohnungen und damit fast alle Mieter*innen betroffen. Experten rechnen mit Mehrkosten von 2 bis 3 Monatskaltmieten nur für Heizung und Warmwasser, die wahren Kostensteigerungen aus dem Jahr 2022 werden Mieter*innen erst auf mit ihrer Nebenkostenabrechnung im Laufe des Jahres 2023 spüren.

Besonders einkommensschwache Gruppen wohnen häufig in den energetisch schlechtesten Gebäuden und sind von den massiv steigenden Energiekosten stark betroffen. Sanierungen Made in Germany führen aber nicht zwangsläufig zu einer Heizkostenentlastung oder mehr Klimaschutz, denn die rein kostenbasierte Modernisierungsumlage verhindert den überfälligen Fortschritt im Gebäudesektor. Zudem werden keine ordnungsrechtlichen Anreize gesetzt, um klimagerechte energetische Sanierungen im Gebäudebestand voranzubringen.  

Unter dem neuen Bundesbauministerium wurde im April 2022 das „Bündnis bezahlbarer Wohnraum“ ins Leben gerufen. Die Vertreter*innen schlugen auf 65 Seiten 187 konkrete und weniger konkrete Maßnahmen vor, wie der Wohnungsbau endlich sozialer und nachhaltiger werden soll. Allerdings wurden zentrale Themen für das bezahlbare und klimagerechte Wohnen, wie das Mietrecht oder die energetische Ertüchtigung der Bestandsgebäude, gar nicht erst im Bündnis behandelt. Zu „politisch“ für eine Ampel-Koalition, in der die FDP alles blockiert, was gute Wohnungspolitik jetzt eigentlich braucht!

Soziale und nachhaltige Wende jetzt einleiten

Die Bundesregierung muss jetzt handeln, anstatt weiter Zeit zu verlieren. Die Folgen der verfehlten Wohnungspolitik der letzten Jahre lassen sich nicht mehr kaschieren. Die Beschleunigung des sozialen Wohnungsbaus und schärfere Reformen im Mietrecht müssen dabei absolute Priorität haben. Die im Koalitionsvertrag vereinbarte Einführung einer neuen Wohnungsgemeinnützigkeit gehört ebenso dazu wie der verstärkte Ankauf von Miet- und Belegungsbindungen. Neubau allein wird es nicht mehr richten – die Preis- und Zinsentwicklung macht diesen gerade in angespannten Wohnungsmärkten mit hohen Grundstückspreisen unbezahlbar! Stattdessen muss der Bestand an öffentlichen Wohnungen, das heißt Wohnungen im Eigentum von Bund, Ländern und Kommunen, deutlich erhöht werden, um im Mietwohnungsmarkt ein dauerhaft preisgebundenes und bezahlbares Segment zu etablieren. Vorbilder dafür gibt es genug, wir müssen es nur wollen!

Wir fordern die Bundesregierung deshalb auf, endlich ein umfassendes Maßnahmenbündel zu ergreifen. Der Bestand an Sozialwohnungen muss bis zum Jahr 2030 von aktuell 1,1 Millionen auf mindestens 2 Millionen aufgestockt werden. Dafür brauchen wir den Neubau von jährlich 100.000 Sozialwohnungen, dies geht nur mit deutlich mehr Fördermitteln als bisher. Dazu gehört auch ein Kündigungsmoratorium, das sicherstellt, dass niemand gekündigt werden darf, der wegen stark gestiegener Heizkosten seine Nebenkostenabrechnung oder hohe Preisanpassungen nicht fristgerecht bezahlen kann. Ein zeitlich befristeter Mietenstopp ist unvermeidlich, um Mieter*innen eine Atempause zu ermöglichen. Um Bewohner*innen vor explodierenden fossilen Energiekosten zu schützen, müssen endlich die Weichen für eine soziale gerechte Sanierungswelle und Wärmewende im Gebäudebestand gestellt werden. Dabei sind die energetisch schlechtesten Gebäude mit den höchsten Heizkosten in den Fokus zu rücken. Das System der Modernisierungsumlage muss zugunsten einer Teilwarmmiete aufgelöst werden, um Vermieter*innen stärker zur Ertüchtigung ihrer Gebäude zu verpflichten. Denn Wohnen ist ein Menschenrecht und kein Spekulationsgut.

Der Autor

Franz Michel leitet die Abteilung für Wohnungs- und Mietenpolitik beim Deutschen Mieterbund (DMB), dem Dachverband von 15 Landesverbänden und über 300 örtlichen Mietervereinen mit mehr als 500 Beratungsstellen. Derzeit sind rund 1,25 Millionen Haushalte Mitglied, das entspricht 3 Millionen Mieter*innen. Michel war zuvor im Verbraucherschutz zum Thema Wohnen und Energie tätig.

 

Das könnte Sie interessieren

Protest: Frau mit Megaphon
EU-News | 17.01.2025

# sozial-ökologische Transformation #EU-Umweltpolitik #Politik und Gesellschaft #Wirtschaft

Vor EVP-Gipfel in Berlin: „Schutz von Natur und Demokratie vor Profit“

Kurz vor einem Gipfel in Berlin am 17. und 18. Januar von Vorsitzenden der zur konservativen EVP-Familie gehörenden Parteien aus ganz Europa hat ein großes Bündnis aus 270 Organisationen der Zivilgesellschaft gewarnt, Schutzmaßnahmen als „regulatorische Last“ abzutun. Menschen, Natur und Demokratie ...