Pestizid-Gesetz verschoben
Die geopolitische Lage und Druck von verschiedenen Seiten haben dazu geführt, dass der eigentlich für Mittwoch geplante Gesetzesvorschlag zur nachhaltigen Verwendung von Pestiziden auf unbestimmte Zeit verschoben wurde. Von Umwelt- und Gesundheitsorganisationen kommt Kritik.
Die EU-Kommission hat statt des erwarteten Vorschlags zur Revision der Richtlinie über die nachhaltige Verwendung von Pestiziden (SUD) und des Renaturierungsgesetzes (EU-News 23.03.2022) am Mittwoch Politikmaßnahmen zur Ernährungssicherheit veröffentlicht (EU-News 24.03.2022). Kritische Reaktionen auf die Verschiebung der Pestizidregelungen von Umweltorganisationen folgten. Der neue Gesetzesvorschlag sollte der rechtlichen Umsetzung der Farm-to-Fork-Strategie dienen, die unter anderem eine Reduzierung der Pestizideinsätze vorsieht. Dagegen wiederum regt sich Widerstand, vor allem aus der Pestizid- und Agrarindustrie. Die durch den Krieg angespannte Situation auf dem Düngemittel- und Getreidemarkt heizt die Situation zusätzlich an. Auch im Agrarrat sind sich die Delegationen alles andere als einig. So hatte Polen am Montag ein gemeinsames Schreiben zu den Bedenken gegen den Entwurf eines Rechtsakts zur nachhaltigen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln im Namen von Bulgarien, Estland, Ungarn, Litauen, Lettland, Malta, Österreich, Rumänien, Slowenien und der Slowakei vorgelegt (EU-News 22.03.2022).
„Falsche Antwort auf politische Situation“
Ein breites Bündnis von Organisationen hat am Mittwoch die „dringend benötigte Überarbeitung der Richtlinie über die nachhaltige Verwendung von Pestiziden (SUD)“ angemahnt und die Verschiebung des für 23. März geplanten neuen Pestizid-Gesetzesvorschlags durch die EU-Kommission kritisiert. Unter anderem Corporate Europe, Slow Food Europe, das Europäische Umweltbüro (EEB) und Friends of the Earth Europe forderten die EU-Kommission auf, innerhalb kürzester Zeit einen neuen Veröffentlichungstermin vorzulegen. Die Veröffentlichung sollte bis spätestens Ende Mai erfolgen, so die Organisationen.
Die geltenden EU-Rechtsvorschriften müssten aus Sicht des Bündnisses „drastisch verschärft werden“, damit die Mitgliedstaaten sie endlich einhalten und ihre Abhängigkeit von der Verwendung synthetischer Pestizide verringern. Darüber hinaus würden rechtlich verbindliche Ziele für den Einsatz von und die Risikoeinschränkung bei synthetischen Pestiziden sowie solide Indikatoren zur Messung der Fortschritte benötigt. Die Politik der EU müsse sich dabei auf die verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse stützen, die einen eindeutigen Zusammenhang zwischen dem Einsatz von Pestiziden und schweren Schäden für die Umwelt, die biologische Vielfalt und die menschliche Gesundheit belegen. Eine Verzögerung der Überarbeitung der SUD sei die falsche politische Antwort auf die aktuelle politische Situation. Der Krieg in der Ukraine zeige, wie dringend notwendig es sei, die Nahrungsmittelproduktion unabhängiger von fossilen Brennstoffen, Pestiziden und Düngemitteln zu machen, worauf auch mehr als 400 Wissenschaftler*innen hingewiesen hätten.
NGO-Brief: „Lobbygruppen instrumentalisieren den Krieg“
Am Montag hatten Organisationen der Zivilgesellschaft wie das EEB noch in einem offenen Brief an Kommissionspräsidentin von der Leyen, Vizepräsident Timmermans und die Kommissare Wojciechowski, Kyriakides und Sinkevičius appelliert, die geplante Veröffentlichung der neuen Pestizidvorschriften nicht zu verschieben. Sie warnten vor den Lobbytaktiken der Pestizidindustrie und deren „fehlerhaften politischen Argumenten“. Es sei zynisch, dass der Konflikt in der Ukraine von Interessengruppen instrumentalisiert werde, um wichtige Verpflichtungen in den Bereichen Umwelt und Gesundheit vom Tisch zu bekommen. Die EU brauche strenge rechtsverbindliche Ziele für die Verringerung des Einsatzes synthetischer Pestizide und die EU-Institutionen müssten im öffentlichen Interesse und nicht im Interesse des Privatsektors handeln. 1,2 Millionen EU-Bürger*innen hätten die EBI „Rettet Bienen und Bauern“ unterzeichnet, die die Abschaffung chemischer Pestizide bis 2035 zum Ziel hat. Die geschätzten Kosten chemischer Pestizide seien außerdem viel höher als ihr Nutzen. So seien die gesellschaftlichen Kosten in Europa im Jahr 2017 auf 2,3 Milliarden Euro geschätzt worden, während der Gewinn der Industrie im selben Jahr bei etwa 0,9 Milliarden Euro lag, heißt es in dem Schreiben.
Umweltausschuss will Orientierung am europäischen Green Deal
Auch aus dem EU-Parlament hatte es bereits letzte Woche Rückmeldungen gegeben (Tweet mit Brief), dass die EU-Kommission ihre kurz-, mittel- und langfristigen Pläne zur Ernährungssicherheit auf der Basis der Ziele der Farm-to-Fork- und der EU-Biodiversitätsstrategie anlegen müsse. Der Brief werde vom Umweltausschussvorsitzenden Pascal Canfin und „von einer Mehrheit der ENVI-Koordinatoren“ unterstützt. Das Europäische Umweltbüro hat derweil ein etwa vierminütiges YouTube-Erklärvideo (engl.) über Pestizide und ihre gesundheitlichen und sozialen Folgen veröffentlicht. [jg]
Corporate Europe et al.: Delay new pesticides law risks derailing Farm to Fork
Offener Brief EEB et al.: Joint open letter: Publication of the revision of the legislation on the sustainable use of pesticides, on 23 March 2022.
EEB-Video über die Kosten, die Pestizideinsätze verursachen