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Ernährungssicherheit: Ackern auf Brachen und Extrageld für Landwirtschaft
EU-News | 24.03.2022
#Landwirtschaft und Gentechnik #Wirtschaft #Tierschutz

Ernährungssicherheit: Ackern auf Brachen und Extrageld für Landwirtschaft

Sonnenblumenfeld im Abendsonnenschein
© pixabay/bru-nO

Die EU-Kommission hat vor dem Hintergrund des Ukrainekrieges am Mittwoch neue Vorschläge gemacht, um die Ernährungssicherheit der EU zu gewährleisten und die Widerstandsfähigkeit der Ernährungssysteme weltweit zu stärken. Die eigentlich geplanten Gesetzesvorschläge zur Renaturierung (EU-News 23.03.2022) und zur Reduzierung von Pestiziden (EU-News 24.03.2022) wurden auf unbestimmte Zeit verschoben. Umweltverbände reagieren kritisch.

Was steckt drin?

Der Vorschlag der EU-Kommission umfasst eine finanzielle Unterstützung der europäischen Landwirtschaftsbetriebe von insgesamt 500 Millionen Euro, die die Mitgliedstaaten an die Betriebe verteilen sollen, die von der Krise am stärksten betroffen sind, und die vorrangig für folgende Zwecke zu verwenden sind: Kreislaufwirtschaft, Nährstoffmanagement, effiziente Ressourcennutzung sowie umwelt- und klimafreundliche Produktionsmethoden. In Ausnahmefällen soll es möglich sein, diese EU-Beihilfe bis zu 200 Prozent durch nationale Mittel zu ergänzen. Die Mitgliedstaaten sollen bis spätestens Ende Juni mitteilen, welche Maßnahmen mit welchen Auswirkungen unterstützt und nach welchen Kriterien die Beihilfen gewährt werden. Auf Deutschland fiele ein Anteil von etwas über 60 Millionen Euro.

Als befristete Notfallmaßnahme für das Antragsjahr 2022 ermöglicht eine Ausnahmeregelung die Erzeugung von Gras auf Brachflächen und von Pflanzen für Lebens- und Futtermittel, um die Produktionskapazität der EU zu erhöhen. Zudem sollen die Mitgliedstaaten ihre GAP-Strategiepläne überarbeiten, um die Betriebe bei der Verringerung des Einsatzes von Düngemitteln zu unterstützen, beispielweise durch Präzisionslandwirtschaft, ökologischen Landbau, Agrarökologie und durch Beratung und Schulung zum Nährstoffmanagement.

Global ist die Beteiligung der EU an acht Aktionsbündnissen geplant, dies soll laut EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis helfen, das Problem der weltweiten Ernährungssicherheit anzugehen, den steigenden Lebensmittelpreisen in Europa zu begegnen und die Widerstandsfähigkeit gegenüber bestimmten Agrarimporten zu stärken. Die acht Bündnisse sind:

  • „Lebensmittel sind niemals Abfall“
  • „Gesunde Ernährung aus nachhaltigen Lebensmittelsystemen für Kinder und alle Menschen“ 
  • „Schulspeisungen“
  • „Lebensmittel aus dem Wasser“
  • „Agrarökologie“
  • „Null Hunger“
  • „Bekämpfung von Ernährungskrisen im Rahmen des Nexus-Ansatzes für humanitäre Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit und Friedensförderung“
  • „Nachhaltiges Produktivitätswachstum“.

Dies sei „eine Folgemaßnahme zum Weltgipfel der Vereinten Nationen zu Ernährungssystemen, der am 23. und 24. September 2021 in New York stattfand“. Die EU wolle in diesem multilateralen Kontext weiterhin aktiv sein und die Agenda der Farm-to-Fork-Strategie (Vom Hof auf den Tisch) weltweit weiterverfolgen.

Der agrarpolitische Sprecher der grünen Fraktion im EU-Parlament Martin Häusling sagte, die Vorschläge der EU-Kommission zur Ernährungssicherheit seien „mehr Lobby-getrieben als Vernunft-getragen“ und deutete das Zurückdrehen der Ökologisierungs-Initiativen der EU-Kommission für die Ernährungssouveränität der EU als „Rückkehr zur Turboproduktion“, die „an dem Ast sägt, auf dem wir sitzen“.

Die lobbykritische Organisation Corporate Europe Observatory hatte letzte Woche einen Bericht vorgelegt, wie die Pestizid-Industrie hinter den Kulissen gegen die Farm-to-Fork-Strategie lobbyiert hat.

Reaktionen von Umweltverbänden

Nach neuen Berechnungen von Greenpeace Europa würde eine achtprozentige Verringerung der Verwendung von Getreide als Tierfutter in der EU genug Weizen einsparen, um das erwartete Defizit in der Ukraine infolge der russischen Invasion auszugleichen. Die ukrainische Weizenproduktion, auf die viele einkommensschwache Länder außerhalb der EU angewiesen sind, wird durch den Krieg voraussichtlich stark zurückgehen. Die wichtigsten Auswirkungen des Krieges auf die Landwirte innerhalb der EU seien ein begrenzter Rückgang der Futtermittelimporte und eine Unterbrechung der Lieferketten für synthetische Düngemittel, die aber – so Greenpeace – zum größten Teil für den Anbau von Futtermitteln für die industrielle Fleischproduktion verwendet werden.

Der Deutsche Tierschutzbund kritisierte die Beschlüsse der EU-Kommission, wichtige Gesetzesvorschläge zum Green Deal zu verschieben, scharf und ermunterte Bundesminister Cem Özdemir, „den bereits von ihm skizzierten Weg der Transformation der Landwirtschaft national und auf EU-Ebene fortzusetzen“. Der Präsident des Deutschen Tierschutzbundes Thomas Schröder sagte: „Es ist tragisch, dass die EU-Kommission in der derzeitigen Lage wieder zurück in die alte Agrarpolitik zu verfallen droht, obwohl wir dringend das Ernährungssystem ändern müssen, um die gewollte Ernährungssicherheit auch weiterhin gewährleisten zu können.“ Die Folgen des Krieges zeigten, dass das Prinzip der Weltmarktorientierung und des „Wachsen oder Weichen“ extrem krisenanfällig und dringend in eine nachhaltige und regionale Landwirtschaft zu überführen sei.

Die Eurogroup for Animals hatte bereits Mitte März darauf hingewiesen, dass durch die Abkehr von den industriellsten und intensivsten Formen der Tierhaltung und die Förderung einer Umstellung auf eine pflanzliche Ernährung mehr Menschen mit weniger Land und Ressourcen ernährt werden könnten. Der Aufschrei über die Farm-to-Fork-Strategie gelte dem Futter, nicht den Lebensmitteln. Die Agrarindustrie behaupte zynischerweise, dass der Krieg in der Ukraine eine Lebensmittelkrise auslösen wird, obwohl es eigentlich um Futtermittel geht. Dabei verschwende die EU  20 Prozent ihrer Lebensmittel und exportiere mehr landwirtschaftliche Erzeugnisse als sie importiert, mit einer positiven Handelsbilanz im Wert von 4 bis 6 Milliarden Euro jeden Monat, so die Organisation.

Auch der BUND-Vorsitzende Olaf Bandt äußerte Kritik. Langfristig schade die Entscheidung der EU-Kommission der Ernährungssicherheit. Europa brauche mehr Naturschutz, weniger Pestizide und mehr Schutzräume, um das Aussterben von Pflanzen und Tieren zu verhindern. Nur so könne langfristig die Ernährung der Menschheit gesichert werden. Kurz: „Ernährungssicherheit nur mit konsequenter Ökologisierung!"

Hintergrund: Marktanteile für Getreide und Sonnenblumenöl

In der EU selbst bestehe „keine unmittelbare Gefahr für die Ernährungssicherheit, da die EU ein großer Produzent und Nettoexporteur von Getreide ist“, so die EU-Kommission (Q&A). Die unmittelbaren Auswirkungen lägen vielmehr im Anstieg der Kosten in der gesamten Lebensmittelversorgungskette, in der Unterbrechung der Handelsströme von und nach der Ukraine und Russland sowie in deren Auswirkungen auf die weltweite Ernährungssicherheit. Laut EU-Kommission entfallen auf die Ukraine 10 Prozent des Weltweizenmarktes, 13 Prozent des Gerstenmarktes, 15 Prozent des Maismarktes, und sie ist der wichtigste Akteur auf dem Markt für Sonnenblumenöl (über 50 Prozent des Welthandels). Für Russland liegen diese Zahlen bei 24 Prozent bei Weizen, 14 Prozent bei Gerste und 23 Prozent bei Sonnenblumenöl. Nordafrika und der Nahe Osten importierten über 50 Prozent ihres Getreidebedarfs aus der Ukraine und Russland. Die Ukraine sei auch ein wichtiger Lieferant von (Futter-)Mais für die Europäische Union und China. [jg]

Ernährungssicherheit: Kommission verstärkt Unterstützung für weltweites Handeln zur Umgestaltung der Lebensmittelsysteme durch acht globale Bündnisse

Questions and Answers: Commission acts to safeguard global food security and support EU farmers and consumers

SPEECH: Remarks by Executive Vice-President Dombrovskis (europa.eu)

Corporate Europe Observatory: A loud lobby for a silent spring. The pesticide industry's toxic lobbying tactics against Farm to Fork

Greenpeace: Reduce EU meat factory farming to replace Ukraine’s wheat - Greenpeace European Unit

Deutscher Tierschutzbund: EU verschiebt wichtige Gesetzesvorschläge zum Green Deal

Eurogroup for Animals: The Farm to Fork Strategy was designed to make our food system more resilient, now it’s time to make it work

BUND: Ernährungssicherheit: EU Kommission knickt vor Lobbydruck ein und Kommentar: Ernährungssicherheit nur mit konsequenter Ökologisierung

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