Renaturierung auf unbestimmte Zeit verschoben ...
EU-Kommission verschiebt geplante Veröffentlichung des EU-Wiederherstellungsgesetzes, um Debatten für Ernährungssicherheit Raum oder dem Druck der Agrarlobby nachzugeben – je nach Auslegung. Forstlobby will Waldökosysteme möglichst gar nicht in dem verschobenen Renaturierungsgesetz sehen - und erntet „fassungslosen” Protest von Umweltorganisationen. LIFE wird 30.
EU-Wiederherstellungsgesetz kommt erst mal nicht
Derzeit überschattet der Ukrainekrieg auch die geplante EU-Rechtsetzung im Naturschutz. So hat die EU-Kommission die schon einmal verschobene (EU-News 15.12.2021) und für heute, 23. März, geplante Veröffentlichung des EU-Wiederherstellungsgesetzes erneut verschoben. Vor dem Hintergrund geopolitischen Situation hatte die Agrarlobby hinter den Kulissen mächtig Druck gemacht. Widerspruch kommt von einem breiten Bündnis aus Nichtregierungsorganisationen, das eine Instrumentalisierung des Krieges ablehnt. Neben WWF, ClientEarth, EEB und BirdLife hat auch der Deutsche Naturschutzring den offenen Brief unterzeichnet. Bis wann das Gesetz – ebenso wie der ebenfalls für Mittwoch geplante Verordnungsentwurf für die nachhaltige Verwendung von Pestiziden – verschoben werden soll, ist derzeit unklar. Das #RestoreNature-Bündnis hat seine Internetseite wieder aktiviert, Interessierte können gegen eine monatelange Verschiebung des Gesetzes bei der EU-Kommission protestieren. „Es besteht kein Zweifel daran, dass dieses Gesetz in einem äußerst schwierigen Kontext fertig gestellt wird. Angesichts des anhaltenden verheerenden Krieges in der Ukraine muss die Priorität darin bestehen, den Konflikt zu beenden und die Sicherheit und das Wohlergehen aller Betroffenen zu gewährleisten. Aber die ‚Ernährungssicherheit‘ als Vorwand zu benutzen, um Fortschritte bei den Maßnahmen für Klima und Natur zu verhindern, ist kontraproduktiv und wird schlimme Folgen haben“, heißt es auf der Kampagnenseite.
BUND, Greenpeace, NABU und WWF Deutschland sowie der Umweltdachverband Deutscher Naturschutzring (DNR) kritisierten die Verschiebung in einem gemeinsamen Pressestatement: „Ernährungssicherung, Klimaschutz und Biodiversität müssen zusammengedacht und nicht unverantwortlich gegeneinander ausgespielt werden“. Ernährungssicherheit setze resiliente Agrarsysteme voraus. Der dramatische Verlust der Biodiversität und die existenzbedrohende Klimakrise begrenzten die Handlungsmöglichkeiten immer mehr und setzten die Zukunftsfähigkeit der Agrarsysteme aufs Spiel, so die Organisationen. Sie forderten die Bundesregierung auf, sich in Brüssel für eine konsequentere Umsetzung des europäischen Green Deals einzusetzen. Die Verschiebung wichtiger Gesetzesinitiativen oder der Abbau von ökologisch wirksamen Instrumenten innerhalb der Gemeinsamen Agrarpolitik verschärften das Risiko künftiger Ernährungskrisen.
Der BUND-Vorsitzende Olaf Bandt reagierte auf die Verschiebung der Gesetzgebung zur Renaturierung von Ökosystemen und dem Pestizidgesetz ebenfalls mit harscher Kritik und warf der EU-Kommission vor, sich dem Druck der Agrarlobby zu beugen und den europäischen Green Deal „auf Eis zu legen“. Es sei ein „schlechter Tag“ für Naturschutz und Artenvielfalt. Ein Rückschritt bei der Umsetzung des Green Deals liefere keine Lösung für die momentanen Probleme auf dem Weltmarkt für Nahrungsmittel. Stattdessen müssten kurzfristig in der EU und in Deutschland die Prioritäten für diese Saatperiode geändert werden: Kein Verheizen von Nahrungsmitteln als „Bio“-Kraftstoffe und weniger Futtermittel und stattdessen mehr Nahrungsmittel für die Menschen weltweit.
Forstlobbyaktivitäten bringen Zivilgesellschaft auf die Palme
In einem weiteren Brief vom Dienstag schildern Umwelt- und Waldschutzorganisationen wie der WWF Europa, BirdLife, das Europäische Umweltbüro (EEB) oder FERN sowie Sozialverbände der nordischen Länder, dass sie „fassungslos“ seien über kürzlich von Forstlobbyisten in Finnland, Schweden und Estland erhobene Forderungen, ihren Sektor von den Anforderungen zur Wiederherstellung der Natur auszunehmen. „Dies würde die Klimaziele und die Verpflichtungen in der EU-Biodiversitätsstrategie untergraben“, schrieben die Organisationen. Regierungen und die Zivilgesellschaft weltweit würden versuchen, die Biodiversitäts- und Klimakrise zu lösen, doch die Forstindustrie scheine nur das Anliegen zu haben, sich den Zugang zu großen Mengen billiger Biomasse auf Kosten von Wäldern, Gemeinden, Natur und Klima zu erhalten.
Sie bezogen sich laut dem Umweltinformationsdienst ENDS Europe auf ein Schreiben der nordischen Forstindustrien vom 3. März an EU-Vizekommissionspräsident Frans Timmermans, in dem es heißt, dass Waldökosysteme und entsprechende Indikatoren nicht in die Verordnung aufgenommen werden sollten und Ziele nur auf den Veränderungsprozess selbst, nicht aber auch ein Erreichen eines Zustands auszurichten seien, wenn es nach der Forstindustrie geht.
Internationaler Tag des Waldes: „Stopp Fake Renewables“
Am 21. März anlässlich des Weltwaldtages hat BirdLife dazu aufgefordert, sich einer Petition gegen die großflächige Abholzung der Wälder für „Bioenergie“ anzuschließen und dieser fälschlicherweise als erneuerbar bezeichneten Energieerzeugungsform eine Absage zu erteilen. In Europa werden laut BirdLife 60 Prozent der Bioenergie durch die Verbrennung von Holz, also letztlich durch das Verbrennen von Wäldern erzeugt. Obwohl die Wissenschaft eindringlich davor warne, dass diese Art von Energie aufgrund der hohen Treibhausgasemissionen die Klimakrise sogar noch beschleunige, zählten die EU-Regierungen sie weiterhin als „erneuerbare Energie“ und subventioniere sie mit 16 Milliarden Euro jährlich, kritisierte die Organisation. Mit negativen Folgen: In den baltischen Staaten würden sogar Natura-2000-Schutzgebiete abgeholzt, um Holzpellets zu gewinnen, die in den Rest Europas exportiert werden. Im Vereinigten Königreich verbrenne allein das Kraftwerk Drax mehr Holz als die gesamte Holzernte des Landes betrage, wobei ein Großteil des Holzes aus dem Süden der USA importiert werde. Dort wiederum würden Sumpfwälder in einem weltweiten Hotspot der Biodiversität zerstört, um die europäische Nachfrage nach „Bioenergie“ zu befriedigen. BirdLife fordert auf, sich der „Stop Fake Renewables“-Bewegung anschließen.
Die Waldschutzorganisation FERN hat in der letzten Woche außerdem einen offenen Brief an die britische Regierung veröffentlicht, damit diese dafür sorgt, dass neue Gesetze zur Bekämpfung der Entwaldung alle Rohstoffe abdecken. Das Vereinigte Königreich ist nach dem Brexit kein Teil der EU mehr und erlässt diesbezüglich eigene Gesetze. In der EU wird derzeit über ein Anti-Entwaldungsgesetz gestritten (EU-News 11.03.2022). [jg]
ENDS (kostenpflichtig): EU executive urged not to delay Nature Restoration Law
Offener Brief (EEB, BirdLife, WWF, ClientEarth et al.): „We are extremely alarmed by the European Commission’s intention to once again postpone ist proposal for legally binding nature restoration targets, which was foreseen for 23 March“
FERN: Open Letter: Include Ambitious Restoration Targets In The EU Nature Restoration Law
BUND: Ernährungssicherheit: EU Kommission knickt vor Lobbydruck ein
BirdLife: Why do our governments continue to burn down our forests?
30 Jahre LIFE – Aktionstage, Projekte einreichen und mehr
Die Europäische Exekutivagentur für Klima, Infrastruktur und Umwelt (CINEA) wird außerdem vom 18. bis 20. Mai verschiedene virtuelle Veranstaltung anbieten, um potenzielle Bewerbungen um eine LIFE-Finanzierung #EULife22 Call zu unterstützen. Weiterlesen