Pro Renaturierung: elf Staaten und Mehrheit der Bevölkerung
Elf Umweltratsmitglieder fordern von ihren zögerlichen Kolleg*innen Unterstützung für das EU-Naturwiederherstellungsgesetz (Nature Restoration Law – NRL). Eine Umfrage von Umweltverbänden zeigt, dass in den Ländern, die das NRL skeptischer sehen, 75 Prozent der Bevölkerung pro Renaturierung sind. Beim nächsten Umweltrat, am 17. Juni, steht die finale Abstimmung an.
Unter anderem mit einem Verweis auf internationale Verpflichtungen haben elf Umweltministerinnen und Umweltminister ihre Amtskolleg*innen in einem offenen Brief aufgefordert, am 17. Juni beim nächsten Umweltrat für das EU-Gesetz zur Wiederherstellung der Natur zu stimmen. Zu den unterstützenden EU-Mitgliedstaaten gehören Irland, Deutschland, Frankreich, Spanien, Tschechien, Dänemark, Estland, Zypern, Luxemburg, Litauen und Slowenien.
„Europa ist der Kontinent, der sich am schnellsten erwärmt, und sieht sich beispiellosen Auswirkungen der miteinander verflochtenen Natur- und Klimakrisen gegenüber“, heißt es in dem Schreiben. „Die Wiederherstellung von Ökosystemen ist unerlässlich, um die Auswirkungen des Klimawandels abzumildern und sich an sie anzupassen und die Ernährungssicherheit in Europa zu gewährleisten“.
Vorausgegangen war etwas, das das Europäische Umweltbüro (EEB) als „Chronologie einer Blamage“ bezeichnet. Denn „politische Manöver in letzter Minute“ – beispielsweise zog Ungarn seine vorher zugesagte Unterstützung zurück – führten dazu, dass die ursprünglich für den 25. März vorgesehene Abstimmung im Umweltrat verschoben wurde (EU-News 26.03.2024). Dabei hatten sich die EU-Institutionen bereits im November im Trilog auf das NRL geeinigt (EU-News 10.11.2023) und das EU-Parlament hatte im Februar formal zugestimmt (EU-News 28.02.2024). Nun steht das Thema wieder auf der Agenda des Umweltrates und der Rat – so lässt sich aus dem Brief der einen an die anderen Minister*innen schließen – scheint weiter gespalten.
NRL-Blockierer arbeiten gegen die eigene Bevölkerung
Dass sich die zögerlichen Umweltminister*innen da mal nicht Ärger bei ihrem jeweiligen Wahlvolk einhandeln: Denn das EU-Renaturierungsgesetz wird von 75 Prozent der Befragten in den NRL-blockierenden Ländern unterstützt – das ist das Ergebnis einer Umfrage von WWF, EEB und anderen im Bündnis #Restorenature organisierten Verbänden. Im erst kürzlich umgeschwenkten Ungarn sind es sogar 83 Prozent Pro-Stimmen, in Italien 85 Prozent. Auch in den Niederlanden, Finnland, Polen und Schweden stimmte die Mehrheit der über 6.000 Befragten der Aussage zu, dass ein Abwärtstrend von Natur und Biodiversität negative Langzeitauswirkungen auf Menschen, Landwirtschaft und Ökonomie haben wird.
Für eine qualifizierte Mehrheit im Umweltrat braucht das NRL die Zustimmung von mindestens 15 der 27 EU-Staaten, die wiederum mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren. Umweltverbände in ganz Europa sowie etliche Vertreter*innen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft fordern nach Jahrhunderten der Zerstörung nun wenigstens erste kleine Schritte der Naturwiederherstellung, um eine lebenswerte Zukunft Europas zu sichern. Abgesehen davon leide auch die Glaubwürdigkeit der EU-Institutionen, wenn einmal getroffene Entscheidungen durch einzelne Blockaden wieder zurückgenommen würden. [jg]
Brief von elf Umweltminister*innen an den Rest der Mitgliedstaaten
EEB: Ministers unite to end boycott of nature restoration law
WWF et al.: Nature Restoration Law supported by 75% of citizens in countries not backing the law
Was steckt im NRL-Kompromiss?
Es geht um Feuchtgebiete, Grasland, Wälder, Flüsse und Seen, aber auch Meeresökosysteme wie Seegras, Schwamm- und Korallenbänke, die in den Anhängen I und II der Verordnung aufgelistet sind. Die EU-Länder müssen bis 2030 mindestens 30 Prozent der unter das neue Gesetz fallenden Lebensraumflächen wiederherstellen, bis 2040 60 Prozent und bis 2050 90 Prozent. Natura-2000-Gebiete sollen dabei Vorrang haben.
Die Verordnung ist integraler Bestandteil der EU-Biodiversitätsstrategie für 2030 und soll bei der Erfüllung internationaler Verpflichtungen helfen, besonders den auf der UN-Biodiversitätskonferenz (COP15) 2022 in Kunming-Montreal vereinbarten globalen Biodiversitätsrahmen. Außerdem sollen eine „erhebliche“ Zustandsverschlechterung verhindert, Bestäubervielfalt gesichert, nationale Wiederherstellungspläne erstellt und die Finanzierung gewährleistet werden.