Rohstoffe, Neuseeland, Proteste gegen CETA und Mercosur

Die Industrie- und Handelskammer warnt vor Engpässen bei seltenen Erden und anderen Rohstoffen. Die EU und Neuseeland haben ein neues Handelsabkommen beschlossen. Nichtregierungsorganisationen protestieren gegen Mercosur- und CETA-Abkommen.
Geopolitik: Wirtschaft will krisenfeste Lieferketten
Kobalt, Bor, Silizium, Graphit, Magnesium, Lithium, Niob, Seltene Erden und Titan – für diese neun Mineralien müssten nach Ansicht der Industrie- und Handelskammer (IHK) möglichst rasch krisensichere Lieferketten etabliert werden. Das zeige eine von der IHK beauftragte Studie des ifo-Instituts. Bei vielen Schlüsseltechnologien wie Batterietechnik, Robotik und erneuerbaren Energien sei Deutschland von importierten Rohstoffen abhängig, oftmals von einzelnen Lieferländern wie China. Vor diesem Hintergrund sieht Lisandra Flach, Leiterin des ifo-Zentrums für Außenwirtschaft, „dringenden Handlungsbedarf für krisensichere Lieferketten“ bei den genannten neun Mineralien. Hier seien weitere Bezugsquellen nötig. Störungen in den Lieferkettens seien laut Studie bei den kritischen Rohstoffen besonders problematisch, da alternative Quellen nur langfristig erschlossen werden könnten. Dies sei eine Lektion der jüngsten Versorgungs-Notlagen im Zuge der Corona-Pandemie und geopolitischer Krisen wie dem Ukraine-Krieg. Unternehmen, Bundesregierung und EU-Kommission müssten sich um mehr Vielfalt und Belastbarkeit kümmern, so Manfred Gößl, Hauptgeschäftsführer der IHK für München und Oberbayern. Viele dieser Rohstoffe kämen in autokratischen Ländern vor, was große geschäftliche und rechtliche Risiken berge. Das industrielle Recycling von Rohstoffen müsse eine größere Rolle spielen, um „bereits vorhandene Ressourcen besser zu nutzen“. Insgesamt wurdn 23 Rohstoffe untersucht, bei allen bestünde Bedarf nach Krisenfestigkeit.
Der Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Volker Treier, sieht Potenzial in einer besseren EU-weiten Abstimmung sowohl bei Strategien für eine bessere Rohstoffverteilung innerhalb der EU als auch in der gemeinsamen Handelspolitik nach außen. Viele EU-Mitglieder verfügten über Potenziale bei kritischen Rohstoffen. „Hier muss die Erschließung und Verarbeitung von Rohstoffen innerhalb der EU verstärkt ausgebaut werden“, so Treier. Zusätzlich müsse die EU rasch mit Handels- und Investitionsabkommen helfen, weltweit neue und nachhaltige Rohstoffquellen zu erschließen. Mit Mercosur (also dem „Gemeinsamen Markt Südamerikas“), Indonesien und Indien müssten rasch Abkommen abgeschlossen werden.
Die EU-Kommission ist derzeit sehr umtriebig, was neue Handelsabkommen und Partnerschaften mit Drittländern angeht.
Neues Handelsabkommen mit Neuseeland
Die EU und Neuseeland haben letzte Woche Verhandlungen über ein Handelsabkommen abgeschlossen, das Unternehmen und Verbraucher*innen „beträchtliche wirtschaftliche Chancen“ eröffnen soll. Im Abkommen seien Nachhaltigkeitsverpflichtungen enthalten, einschließlich der Einhaltung des Übereinkommens von Paris und der grundlegenden Arbeitnehmerrechte. Diese Verpflichtungen könnten durch Handelssanktionen als letztes Mittel durchgesetzt werden.
Die EU-Kommission schätzt, dass das Handelsvolumen zwischen EU und Neuseeland um bis zu 30 Prozent wachsen könnte. Die jährlichen EU-Ausfuhren könnten sich auf bis zu 4,5 Milliarden Euro erhöhen und für EU-Unternehmen im ersten Jahr einen Abbau von Zollgebühren in Höhe von 140 Millionen Euro bringen. Die EU-Kommission sieht für EU-Landwirte voraus, dass diese „deutlich bessere Möglichkeiten haben, ihre Erzeugnisse in Neuseeland zu verkaufen“. Zölle auf wichtige EU-Ausfuhren wie Schweinefleisch, Wein und Schaumwein, Schokolade, Zuckerwaren und Kekse würden ab dem ersten Tag abgeschafft. Milcherzeugnisse, Rind- und Schaffleisch, Ethanol und Zuckermais dagegen gehörten zu den „sensiblen landwirtschaftlichen Erzeugnissen“ und würden geschützt.
Das Handelsabkommen zwischen der EU und Neuseeland sei das erste Handelsabkommen, das den neuen Ansatz der EU zu Handel und nachhaltiger Entwicklung integriert, der in der erst letzte Woche angenommenen Mitteilung zu Handelspartnerschaften und grünem Wirtschaftswachstum angekündigt wurde (EU-News 23.06.2022). Greenpeace hatte die Mitteilung kritisiert, weil die EU-Kommission „keine überzeugenden Maßnahmen vorgeschlagen“ habe, um die möglichen negativen Auswirkungen von Handelsabkommen auf die Umwelt und die Menschen anzugehen. Sie habe „willkürlich“ entschieden, einige Nachhaltigkeitsstandards sanktionsfähig zu machen, während andere zahnlos blieben. Dies zeige, dass es der Kommission an Ehrgeiz fehlt, das, was sie auf dem Papier zu wollen vorgibt, in der Praxis umzusetzen, so die Greenpeace-Handelsexpertin Lis Cunha.
Mercosur: „Nur nichts überstürzen“
Die Eurogroup for Animals hat die EU-Mitgliedstaaten am Dienstag aufgefordert, die Ratifizierung des EU-Mercosur-Handelsabkommens nicht zu überstürzen. Mit dem Beginn der tschechischen Präsidentschaft Anfang Juli habe die Ratifizierung der abgeschlossenen Handelsabkommen eine höhere Priorität erhalten.
Die Tierschutzorganisation ist gegen den Abschluss des EU-Mercosur-Abkommens, sofern es nicht wesentlich verbessert wird. Die EU sollte vielmehr die Aushandlung eines alternativen Abkommens in Betracht ziehen, das auf den Grundsätzen der Zusammenarbeit und des nachhaltigen Handels beruht. Nach zahlreichen Protesten hatte das Europäische Parlament im Oktober 2020 eine Entschließung angenommen, in der es erklärte, dass es das Abkommen zwischen der EU und dem Mercosur „in seiner jetzigen Form“ nicht ratifizieren werde. Um den Stillstand bei der Ratifizierung des Abkommens zu überwinden, verhandelt die Europäische Kommission daher mit den Mercosur-Ländern über ein zusätzliches Rechtsinstrument, das dem Freihandelsabkommen beigefügt werden soll und darauf abzielt, die Bedenken nicht nur des Europäischen Parlaments, sondern auch einiger Mitgliedstaaten und von mehr als 450 zivilgesellschaftlichen Organisationen innerhalb der Stop EU-Mercosur-Koalition zu berücksichtigen. Eurogroup for Animals ist der Ansicht, dass das EU-Mercosur-Abkommen in seiner jetzigen Form ein schlechtes Geschäft für Tiere, Menschen und den Planeten ist. Das Abkommen würde das Modell der intensiven Landwirtschaft verstärken und das Risiko der Abholzung von Wäldern und der Verletzung von Menschenrechten aufgrund der Nachfrage der EU nach Rohstoffen wie Soja und Rindfleisch erhöhen. Das Abkommen würde auch Investitionen in diesen Sektoren lukrativer machen.
Protest in Berlin gegen CETA: „Ratifizierung stoppen - Keine Sonderklagerechte für Konzerne“
Mit einer Banner-Aktion hat ein breites gesellschaftliches Bündnis auf die erste Lesung des CETA-Ratifizierungsgesetzes der Ampelkoalition im Bundestag am heutigen Donnerstag aufmerksam gemacht. CETA – das Umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen EU-Kanada – wird nach der Ratifizierung auf der EU-Ebene bereits seit September 2017 in großen Teilen vorläufig angewendet. Ausgenommen davon sind der Investitionsschutz und die Schiedsgerichte. Diese Teile treten erst in Kraft, wenn die nationalen Parlamente über die Ratifizierung abgestimmt haben. In zwölf Mitgliedstaaten der Europäischen Union, darunter die Bundesrepublik Deutschland, ist die Ratifikation noch nicht abgeschlossen.
Ludwig Essig, Handelsexperte Umweltinstitut München, Koordination Netzwerk gerechter Welthandel kritisierte: „Alle handelsrelevanten Bereiche des Abkommens sind seit fünf Jahren aktiv. Die Ratifizierung wäre damit ein klares Bekenntnis zu den privaten Schiedsgerichten. Gerade in Zeiten von Energie- und Klimakrise müssen Regierungen handlungsfähig bleiben. Paralleljustizen mit Sonderklagerechten für Großinvestoren stehen dem Klimaschutz, dem Verbraucherschutz und der Demokratie im Weg.” [jg]
DIHK: Rohstoffsicherheit: Dringender Handlungsbedarf bei neun Mineralien
EU-Kommission: Handelsabkommen zwischen der EU und Neuseeland: nachhaltiges Wirtschaftswachstum erschließen
Greenpeace: EU Commission sustainability review leaves existing trade deals virtually untouched
Attac et al.: CETA: Ratifizierung stoppen - Keine Sonderklagerechte für Konzerne