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Schwammlandschaften wiederbeleben und erhalten
News | 04.09.2024
#Biodiversität und Naturschutz #Landwirtschaft und Gentechnik #Wasser und Meere

Schwammlandschaften wiederbeleben und erhalten

Bach im Leipziger Auwald
© Mathias Scholz
Ein Bach im Leipziger Auwald hat Platz, um über die Ufer zu treten

Seit Jahrhunderten nutzen wir Flusslandschaften als Wasserstraßen, zur Energiegewinnung, Landwirtschaft oder Siedlungsentwicklung. Überall auf der Welt wurden deshalb Flussläufe begradigt, reguliert und eingedeicht. Allein in Deutschland können zwei Drittel der Überschwemmungsgebiete entlang der 79 großen Flüsse ihre ursprüngliche Aufgabe, überschüssiges Wasser zu speichern, nicht mehr erfüllen. Wichtige Auen wurden durch Deiche vom Überflutungsgeschehen abgeschnitten und können so bei Hochwasser kein überschüssiges Wasser mehr aufnehmen. 

Doch gerade die stark anthropogen veränderten Flusslandschaften sind anfälliger gegenüber extremen Überschwemmungen oder Dürreereignissen. Diese durch die Klimakrise zunehmenden Wetterextreme zeigen immer häufiger, dass die natürliche Schwammfunktion der Landschaft verloren gegangen ist. Um den mit der Klimakrise einhergehenden sozio-ökonomischen Problemen entgegenzutreten, gibt es verschiedene Lösungsansätze. Naturbasierte Lösungen können hier effektiv zur Krisenbewältigung beitragen und sind gleichzeitig nicht weniger effektiv als technische Lösungen.

Carina Darmstadt
Funktionierende Auen oder Moorflächen können Wasser vorübergehend aufnehmen und im Boden speichern, um es verzögert in Bäche oder Flüsse wieder abzugeben.
Carina Darmstadt, DUH
Projektmanagerin im EU-Verbundprojekt Spongeboost

Der Erhalt und die Wiederherstellung von Feuchtgebieten und insbesondere Flusslandschaften als Schwammlandschaften zählen zu solchen naturbasierten Lösungen. Dieser Ansatz nutzt die natürliche Schwammfunktion von Feuchtgebieten. So können funktionierende Auen oder Moorflächen Wasser vorübergehend aufnehmen und im Boden speichern, um es verzögert in Bäche oder Flüsse wieder abzugeben. Renaturierte Bach- und Flussauen helfen somit, den Basisabfluss in trockenen Monaten aufrechtzuerhalten. In Zeiten von starken Niederschlägen können die Spitzen des Wasserabflusses reduziert werden. Während der Moorschutz in den vergangenen Jahren zunehmend auch in der breiten Bevölkerung wahrgenommen wird, bleibt der Schutz der Auen häufig unbeachtet. Völlig zu Unrecht, denn die Auenflächen in Deutschland haben nicht nur großes Potenzial für die Verbesserung des Landschaftswasserhaushalts, sondern auch für den Arten- und Klimaschutz. 

Naturnahe Flusslandschaften bieten also gute Möglichkeiten, gleichzeitig etwas für die Artenvielfalt, das Klima und den Hochwasserschutz zu tun. Deshalb gehören sie zu den Ökosystemen, die in Deutschland verstärkt geschützt und wiederhergestellt werden sollen. So sieht es auch das „Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz“ des Bundesumweltministeriums (BMUV) aus dem Jahr 2023 vor [siehe Artikel 04.09.2024]. Denn so wertvolle Leistungen Deutschlands Auen auch bringen könnten, derzeit sind sie weit entfernt davon, dieses Potenzial auch auszuschöpfen.

Mathias Scholz
Durch die Rückverlegung, den Rückbau und die Schlitzung von Deichen konnten rund 7.100 Hektar Auenfläche wieder zeitweise überflutet werden.
Mathias Scholz, UFZ
Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Naturschutzforschung zu Auen und Schwammlandschaften

Das Ausmaß dieses Problems zeigt der Auenzustandsbericht für Deutschland, den das Bundesumweltministerium und das Bundesamt für Naturschutz 2021 herausgegeben haben. Die noch übrigen Auen, werden oft intensiv genutzt und sind in keinem naturnahen Zustand mehr. Im Bericht wird daher die Notwendigkeit betont, die natürlichen Leistungen mit naturbasierten Lösungen zurückzugewinnen. Immerhin hat es zwischen 1983 und 2020 entlang der untersuchten Flüsse etwa 220 größere Renaturierungsprojekte gegeben: Durch die Rückverlegung, den Rückbau und die Schlitzung von Deichen konnten rund 7.100 Hektar Auenfläche wieder zeitweise überflutet werden. Angesichts von etlichen Zehntausend Hektar, die theoretisch für solche Maßnahmen infrage kämen, ist da aber noch deutlich Luft nach oben. Es gilt, den Flüssen bundesweit mehr Raum zu geben und weitere Auen naturnah umzugestalten.

Für landwirtschaftlich genutzte Auenflächen gilt es, Alternativen zu schaffen

Die EU verfolgt mit der Biodiversitätsstrategie das ambitionierte Ziel, bis zum Jahr 2030 insgesamt 25.000 Kilometer Flüsse in Europa durch die Entfernung von Dämmen und Anbindung von Auen wiederherzustellen. Die gerade verabschiedete EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur unterstützt die Umsetzung dieses Ziels. Für die großen Flusslandschaften hieße das, die Fläche der noch aktiven Auen zu vergrößern. Dies ist mit der Wiederanbindung von Altauen beispielsweise durch Deichrückverlegungen oder Deichschlitzungen oder der Entfesselung von Ufern notwendig. Potenziell könnte dies bei knapp 20 Prozent der Altauen entlang der großen Flüsse umgesetzt werden (1.890 Quadratkilometer). Allerdings zeigt die aktuelle Flächennutzung der Auen in Deutschland, dass ein Großteil dieser fruchtbaren Standorte intensiv landwirtschaftlich genutzt wird. Das muss bei der Wiederherstellung von Auengebieten mitgedacht werden. Zudem sind alternative Angebote für die Nutzung zu entwickeln wie beispielsweise extensive Beweidung.

In immer mehr europäischen Flusslandschaften und Mooren werden mit naturnahen Ansätzen die natürlichen Schwammfunktionen wiederhergestellt. Viele dieser Projekte sind zu einer Blaupause für andere geworden. Im Verbundprojekt SpongeBoost beispielsweise arbeiten Renaturierungsexpert*innen aus Deutschland, Estland, Tschechien, Spanien und Portugal zusammen, um Wissen über bewährte Verfahren auszutauschen.

Die Autor*innen

Dr. Mathias Scholz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) und arbeitet seit mehreren Jahrzenten zu naturschutzfachlichen Fragestellungen in Auen und Schwammlandschaften.

Carina Darmstadt ist Projektmanagerin bei der Deutschen Umwelthilfe (DUH) und arbeitet zu Schwammlandschaften im EU-Verbundprojekt Spongeboost.

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