Verschleppung bei Pestizidreduktion
Die EU-Mitgliedstaaten fordern eine weitere Folgenabschätzung der geplanten Pestizid-Verordnung. Die Kommission soll ergänzende Daten innerhalb von sechs Monaten vorlegen. Umweltverbände sehen darin ein taktisches Manöver zur Verzögerung.
Während sich die globale Staatengemeinschaft in Montreal auf den Schutz der Biodiversität und die Reduktion schädlicher Pestizide einigte (EU-News 20.12.2022), treten die Mitgliedstaaten der Europäischen Union bei der geplanten Minderung des Pestizideinsatzes innerhalb der EU auf die Bremse. Auf der Sitzung des Rates der Energieminister*innen vom Montag (EU-News 20.12.2022) forderten die EU-Staaten eine weitere Folgenabschätzung von der EU-Kommission zum Vorschlag der Verordnung über die nachhaltige Verwendung von Pestiziden (Sustainable Use Regulation, SUR). Die Aufforderung wurde ohne weitere Aussprache verabschiedet, da sie auf einer Einbringung aus der Sitzung des Agrarrates vom 12. Dezember beruhte.
Sechs Monate später
Die Kommission ist nun aufgefordert, innerhalb von sechs Monaten ergänzende Daten zu den möglichen Auswirkungen der Verordnung auf den Agrarsektor, insbesondere hinsichtlich Ernährungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit des Sektors, bereitzustellen. Begründet wird der Bedarf nach einer weiteren Folgenabschätzung damit, dass die bisherige Analyse vor Ausbruch des russischen Angriffskriegs erfolgte. Die bereits durchgeführte Folgenabschätzung vernachlässige die Wirkungen des Krieges, da sie sich auf Daten stütze, die vor dem Ausbruch des Krieges erhoben und analysiert wurden. So sollen nun zusätzliche quantitative Analysen zu einer Reihe von Indikatoren durchgeführt werden, um die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion und mögliche Abhängigkeiten zu untersuchen.
Sensible Gebiete
Darüber hinaus soll die Kommission ihren Vorschlag auch mit Blick auf mögliche Einschränkungen der Ausbringung von Pestiziden in „sensiblen Gebieten“ überprüfen. Über die Reichweite dieser sensiblen Gebiete und den Umfang möglicher Verbote wird seit Bekanntwerden des Kommissionsvorschlags intensiv diskutiert. Anfang Dezember unterstützte auch EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski die weitere Folgenabschätzung und auch die für Lebensmittelsicherheit zuständige Kommissarin Stella Kyriakides bewegte sich zunehmend auf die Kritiker*innen eines ambitionierten Vorschlags zu. Zuletzt gab die Kommission dem Druck für eine Abschwächung des Vorschlags bereits nach: Sie stellte in einem sogenannten „non-paper“ eine deutliche Verringerung der Ambitionen der Verordnung in Aussicht.
Am Parlament vorbei
Diese Änderungsangebote wurden seitens EU-Parlamentarier*innen und Umweltverbänden bereits klar verurteilt: Sie kritisieren sowohl das Handeln der Kommission am Parlament vorbei, als auch die nunmehr schwachen Regelungen, wie sie im „non-paper“ skizziert wurden. DNR-Geschäftsführer Florian Schöne sieht, entgegen des ursprünglichen Vorschlags, in der nun möglichen Erlaubnis des Einsatzes von Pestiziden in Schutzgebieten „ein fatales Signal zu Lasten von Biodiversität und naturverträglicher Landwirtschaft“. Und laut Martin Häusling, agrarpolitscher Sprecher der Grünen im Europaparlament werde „eine inoffizielle parallele Verhandlungsebene eröffnet“ und damit am EU-Parlament vorbei agiert.
Kritik aus der Wissenschaft
Aus Sorge um zu schwache Vorsätze zur Pestizidreduktion und eine Verschleppung der SUR äußerten sich am 16. Dezember auch zahlreiche Wissenschaftler*innen in einem öffentlichen Brief. Darin wiesen über 600 Unterzeichner*innen auf die Dringlichkeit der verbindlichen Reduktion des Pestizideinsatzes hin, um den massiven Rückgang der Artenvielfalt einzudämmen. Sie appellierten dafür die Ziele der europäischen Farm-to-Fork- und Biodiversitätsstrategie umzusetzen und nicht weiter zu verzögern. Auch der Wissenszuwachs durch ergänzende Folgenabschätzungen sei höchst fraglich, da die langfristigen Herausforderungen für das EU-Lebensmittelsystem und der Zustand der biologischen Vielfalt sich seit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine nicht geändert hätten.
Taktisches Manöver
Entsprechend enttäuscht dürften demnach auch die Wissenschaftler*innen von der Entscheidung des Rates vom Montag sein. Johann Rathke, Koordinator für Agrarpolitik und Landnutzungspolitik des WWF, sieht die Forderung nach einer ergänzenden Folgeabschätzung als vorgeschoben. Er sagte im Anschluss an die Entscheidung: „Hier entsteht einmal mehr der Eindruck, dass die Folgenabschätzung allein aus taktischen Gründen gefordert wird, um unliebsame gesetzliche Festlegungen zur Reduzierung von Pestiziden zu verhindern.“
Deutschland, Spanien und Frankreich dagegen
Deutschland, Frankreich und Spanien unterstützten die zusätzlichen Folgenabschätzung nicht. Die EU-Kommission ist zudem nicht verpflichtet, die Aufforderung der Mitgliedstaaten zu erfüllen. Die kommenden Diskussionen um die SUR finden unter schwedischer Ratspräsidentschaft statt. Es wird sich zeigen, wie ambitioniert der neue Vorsitz das Thema angeht: Ob die über eine Million Stimmen der EU-Bürger*innen, der Initiative "Bienen und Bauern retten!", gehört werden und wie die EU ihre selbstgesteckten Ziele zur Pestizidreduktion umsetzen will. [bp]
Pressemitteilung zur Ratsaufforderung für eine Folgenabschätzung und Text der Aufforderung
Pressemitteilung Martin Häusling
NABU Überblick: Pestizide: Sustainable Use Regulation (SUR) unter Beschuss