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Vielfalt von Kulturpflanzen: massive Einschnitte drohen
EU-News | 22.11.2023
#Landwirtschaft und Gentechnik #Nachhaltigkeit

Vielfalt von Kulturpflanzen: massive Einschnitte drohen

Menschen beim Saatguttausch
© Susanne Gura
Wer berufsmäßig in kleinem Maßstab Vielfaltssaatgut verkauft, müsste künftig dieselben Vorschriften erfüllen wie die Saatgutindustrie.

Die EU-Institutionen debattieren über ein neues Gesetzespaket zu Saat- und Pflanzgutrecht. Verbände fürchten um die Erhaltung der Kulturpflanzenvielfalt und zu große Hürden für Kleinunternehmen, auf deren Einsatz bei der Bewahrung der Biodiversität aber nicht verzichtet werden kann.

Gastbeitrag von Susanne Gura

Seit Anfang Juli 2023 liegt ein Entwurf der EU-Kommission für ein neues Saat- und Pflanzgutrecht vor. Eines der Ziele, nämlich zur Erhaltung der Kulturpflanzenvielfalt beizutragen, ist begrüßenswert. Allerdings sind grundlegende Mängel im Vorschlag der EU-Kommission enthalten, so dass eine solche Rechtsreform sogar zum Gegenteil, nämlich zum Verlust der Kulturpflanzenvielfalt führen könnte.

Ausnahmen würden für die Erhaltung der Kulturpflanzenvielfalt eingeräumt, aber nur für Genbanken und für formale Netzwerke und Organisationen. Sie müssen aber zwingend auch für Einzelpersonen und Kleinstunternehmen gelten. Ohne Gärtner*innen und Landwirt*innen würde das Fundament der Vielfalt, die „On-farm“-Erhaltung, wegbrechen. Genbanken dagegen dienen vor allem als Notreserve und der Forschung.

Einzelpersonen und Kleinbetriebe müssten dieselben Auflagen erfüllen wie die Industrie

Anders als bisher dürften laut Kommissionsvorschlag künftig sogar nur an „Endnutzer“ Sorten verkauft werden, die nicht beim Bundessortenamt registriert sind. Der Biodiversität würde das aber wenig nützen, denn dem Entwurf zufolge müssen Gärtner*innen, die „berufsmäßig“ Vielfaltssorten vermehren und Saatgut verkaufen wollen, sich selbst als „Unternehmer“ (professional operator) anmelden. Gemeint ist dabei nicht die Gewerbeanmeldung, sondern eine Anmeldung bei der für Saatgutrecht zuständigen Behörde. Der Begriff „berufsmäßig“ kann auch Menschen treffen, die in kleinem Umfang Vielfaltssorten verkaufen. Die in erster Linie für Verkauf und Produktion von Saatgut für Betriebe konzipierte Unternehmeranmeldung wäre mit einer Reihe von Vorschriften verbunden.  Vielfaltserhalter*innen arbeiten meist selbständig und vermehren und verkaufen in der Regel nur kleine Mengen von jeder ihrer Sorten. Aufgrund der winzigen Partien würden die zusätzlichen Verwaltungskosten den Preis für das Saat- oder Pflanzgut der Sortenvielfalt deutlich steigern und erheblich über den Preis für Massenware hinaus erhöhen. Dies könnte viele Interessent*innen von der Saatguterzeugung und auch vom Saatgutkauf von Vielfaltssorten fernhalten.

Der Dachverband Kulturpflanzen- und Nutztiervielfalt fordert, gemeinsam mit anderen Erhalterorganisationen in der EU: Die Vielfaltserhaltung sollte aus dem Geltungsbereich des Saat- und Pflanzgutrechts herausgenommen werden, genau wie Forschung und Züchtung ausgenommen sind. Während für Erhalterorganisationen und Genbanken ein paar unzureichende Erleichterungen eingeräumt würden, träfen individuelle ErhalterInnen und Kleinbetriebe genau dieselben Vorschriften wie alle kommerziell ausgerichteten Akteure einschließlich die vier Größten des internationalen Saatgutmarktes Bayer, BASF, Corteva, ChemChina.

Dahinter steht Wettbewerbsrhetorik des europäischen Saatgutindustrieverbands Euroseeds und des europäischen Bauernverbands CopaCogeca. „Zu viele Ausnahmen“ ist ihr Hauptkritikpunkt am Kommissionsentwurf.

Portrait Susanne Gura
Die Vielfaltserhaltung sollte aus dem Geltungsbereich des Saat- und Pflanzgutrechts herausgenommen werden, genau wie Forschung und Züchtung ausgenommen sind.
Susanne Gura, Dachverband Kulturpflanzen- und Nutztiervielfalt e.V.

Gewinner der Saatgutrechtsreform wären internationale Akteure schon allein durch Rationalisierung wegen der Änderung der Rechtsform von Richtlinien in eine Verordnung, bei der nationale Spielräume abgeschafft würden.

Für den Erwerbsanbau würden weiterhin Sorten als „Erhaltungssorten“ registriert, die nicht die Kriterien Homogenität und Stabilität der DUS-Zulassung [D: Distinct - beständig; U: Uniform - homogen; S: stable - stabil] erfüllen. Sie kommen derzeit zum Teil aus der Ökozüchtung. Das ist bereits, zusammen mit den ökologisch-heterogenen Populationen in der Ökoverordnung, ein sehr guter Anfang für mehr Vielfalt im Erwerbsanbau. Bisher wurden in der EU kaum über tausend Sorten als Erhaltungs- oder Amateursorten registriert, während als DUS-Sorten mehrere zehntausend im Handel sind. Unter den Amateursorten sind sogar Neuzüchtungen erlaubt. Dieser Aspekt wurde in den Entwurf richtigerweise übernommen, denn Vielfaltserhaltung darf nicht eine Sortenrückschau in die Vergangenheit sein, sondern muss künftige Vielfaltssorten berücksichtigen. Ihre besondere Stärke ist ihre doppelte Anpassungsfähigkeit: Vielfaltssorten können sich aufgrund ihrer genetischen Bandbreite sowohl spontan wie auch langfristig, durch Nutzung von regionalem Saatgut, an regionale Standortbedingungen und klimatische Veränderungen anpassen. Die genetisch homogenen und stabilen DUS-Sorten, meist sind es Hybride, sollen dagegen per Züchtung mit neuer Gentechnik angepasst werden, hat die Saatgutindustrie angekündigt.

Traditionelle Rechte und Züchtungsmethoden würden benachteiligt

Der europäische Zusammenschluss der Ökozüchtung ECOPB konnte in der erst seit 2022 geltenden Ökoverordnung sogar Populationssorten verankern, so dass diese alte Form der Vielfalt auf die Getreidefelder zurückgekehrt ist. Im Kommissionsentwurf für das Saatgutrecht wird das Erreichte zum großen Teil wieder umgestoßen.

Besonders restriktive Regelungen sieht der EU-Kommissionsvorschlag für Landwirte und Landwirtinnen vor. Bezug von Saatgut von Vielfaltsorganisationen oder aus Genbanken wäre ihnen verboten. Sie könnten ihr selbst geerntetes Saat- und Pflanzgut nur noch tauschen, nicht aber verkaufen. Werbung wäre verboten. Das traditionelle Recht, Vermehrungsgut aus eigenem Anbau zu verkaufen, ist jedoch als Teil der bäuerlichen Rechte international vereinbart. Die Ziele der internationalen Übereinkommen ITPGRFA (bekannt als FAO-Saatgutvertrag) und UNDROP (UN Erklärung über die Rechte von Bauern) zum Schutz der landwirtschaftlichen Vielfalt würden durch den vorgelegten EU-Vorschlag verfehlt. Ein Passus, der Ausnahmen vom Saat- und Pflanzgutrecht gewährt, wenn ansonsten die im UNDROP und ITPGRFA definierten bäuerlichen Rechte verletzt würden, wäre nötig.

Noch vor den für Anfang Juni 2024 angesetzten Wahlen soll das EU-Parlament die neue Verordnung beschließen, zusammen mit der Deregulierung der Neuen Gentechnik.

Über die Autorin

Susanne Gura ist Gründungs- und Vorstandsmitglied des Dachverbands Kulturpflanzen- und Nutztiervielfalt e.V. Der Dachverband hat 25 Mitgliedsorganisationen in Deutschland, Luxemburg, Österreich und der Schweiz.

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