Wasserkraft: Protest auf allen Ebenen

Ein internationales Bündnis hat sich vehement gegen die Förderung von Wasserkraft über den UN-Klimafinanzmechanismus ausgesprochen. Wissenschaftler*innen haben Deutschland aufgefordert, einen Förderstopp für ineffiziente kleine Wasserkraftanlagen zu verhängen. Und die Europäische Umweltagentur weist auf zunehmende Wasserknappheit hin.
Bündnis aus Organisationen, Indigenen und der Wissenschaft: Klimafinanzierungsmechanismen nur ohne Wasserkraft
UN-Menschenrechtsexpert*innen haben am Dienstag während der UN-Klimakonferenz in Glasgow (COP26) auf die anhaltenden negativen Auswirkungen von Staudämmen auf die Menschenrechte hingewiesen. Zivilgesellschaftliche und indigene Gruppen forderten, dass die UN-Klimafinanzierungsmechanismen die Wasserkraft ausschließen. Die von 340 Organisationen aus 78 Ländern getragene Erklärung warnt vor falschen finanziellen Anreizen, deren negative Folgen vor allem indigene Gruppen träfen. „Wasserkraft ist denkbar schlecht geeignet, um den Klimawandel zu bekämpfen“, sagte der Ökologe Philip Fearnside vom brasilianischen Nationalen Institut für Forschung in Amazonien. Staudämme seien praktisch nie „zusätzlich“, sondern würden unabhängig von Subventionen aus Kohlenstoffgutschriften gebaut. Zudem seien Staudämme zunehmend anfällig für klimawandelbedingte Dürren und Überschwemmungen, und darüber hinaus „erhebliche Methanemittenten“.
Auch Fernanda Purrán vom Mapuche-Pehuenche-Stamm und Direktorin von Ríos to Rivers Chile protestierte: „Dämme haben unser Land, unsere Wälder, unsere Flüsse und unsere Kultur zerstört. Der Ort, an dem unsere Familien zusammenkamen, lebten und begraben wurden, wurde überflutet. Ich träume von Kindern, die ohne Unterdrückung leben, die frei fließende Flüsse und alles, was die Mapu (Erde) und unsere Vorfahren uns zum Leben gegeben haben, genießen können“, sagte sie.
Trotz der weithin dokumentierten negativen Auswirkungen, die Staudämme auf Gemeinden in aller Welt haben, haben Industriekonzerne sowie die Internationale Energieagentur und die International Hydropower Association in Glasgow mit ihren Forderungen nach einem Ausbau der Wasserkraft auf sich aufmerksam gemacht, beklagte das Bündnis. Der Naturwissenschaftler Eugene Simonov von Rivers without Boundaries (Flüsse ohne Grenzen) stellte deren Behauptungen in Frage: „Die Forderung einiger Industriegruppen, die Wasserkraft weltweit um 60 Prozent auszubauen, würde wahrscheinlich bedeuten, dass alle verbleibenden frei fließenden Flüsse aufgestaut werden müssten, was ein enormer Schlag für die weltweite Süßwasser-Biodiversität wäre.“ Das Aktionsnetzwerk „UnDam U.N.“, zu der auch die in Deutschland ansässige Organisation GegenStrömung gehört, hat eine Petition gestartet, um eine Förderung von zerstörerischer Wasserkraft zu verhindern.
Wissenschaftliches Memorandum „Energiewende nicht auf Kosten der aquatischen Biodiversität“
Die Bundespolitik sollte die Förderung von ineffizienten Kleinwasserkraftwerken aus EEG- oder Steuermitteln beenden. Das zumindest forderten 65 Fachwissenschaftler*innen aus 30 wissenschaftlichen Institutionen in einer gemeinsamen Stellungnahme. Sollte die Politik darüber hinaus größere Wasserkraftwerke weiterhin fördern wollen, raten die Expert*innen dazu, dies von der ökologischen Durchgängigkeit der Anlagen und der konsequenten Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben wie zum Beispiel dem Wasserhaushaltsgesetz abhängig zu machen.
Im wissenschaftlichen Memorandum „Energiewende nicht auf Kosten der aquatischen Biodiversität“ betonten die Wissenschaftler*innen, dass die Wasserkraftnutzung „unstrittig einen wesentlichen Grund dafür darstelle, weshalb Deutschland verbindliche Umweltziele im europäischen Biodiversitäts- und Gewässerschutz verfehlt“. Dies betreffe beispielsweise die der Wasserrahmenrichtlinie und Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie. Sie empfehlen daher sieben umweltpolitische Initiativen, um die Wasserkraftnutzung mit den gesetzlichen Zielen des Gewässer- und Biodiversitätsschutzes zu harmonisieren und so Zielkonflikte zwischen Klima- und Biodiversitätsschutz zu entschärfen.
Die Forschungsergebnisse zeigen, dass alle rund 8.300 Wasserkraftwerke in Deutschland im Jahr 2020 nur 3,3 Prozent zur gesamten deutschen und nur 8 Prozent zur regenerativen Stromproduktion beigetragen haben. Zudem könne auch bei großen Wasserkraftwerken weder verhindert noch kompensiert werden, dass auch weit flussaufwärts und flussabwärts des Staudamms ökologisch wertvoller Flusslebensraum verloren gehe. Der künstliche Aufstau führe zur Erwärmung, Algenentwicklung sowie Schlammbildung und halte gröberes Flusssediment zurück. Dieses Sediment fehle dann flussabwärts, das fördere auch die Tiefenerosion langer Bach- und Flussabschnitte. Außerdem emittierten aufgestaute Gewässer infolge der Verschlammung erhebliche Mengen des besonders klimaschädlichen Gases Methan. [jg]
International Rivers: UN human rights experts highlight continued human rights impacts of dams as civil society, Indigenous leaders call for UN climate financing mechanisms to exclude hydropower und Erklärung: Rivers for Climate
Energiewende: Wissenschaftler empfehlen Förderstopp für ineffiziente kleine Wasserkraftanlagen plus zugehöriges wissenschaftliches Memorandum
Wasserknappheit als Stressfaktor
Die Europäische Umweltagentur (EEA) hat die schwindende Verfügbarkeit von Wasser untersucht. Die EEA plädiert angesichts der Lage dafür, von Krisen- auf Risikomanagement umzuschwenken. Der Klimawandel verschärfe das Problem zunehmend. https://www.eea.europa.eu/publications/water-resources-across-europe-confronting

Broschüren von GegenStrömung
Wer sich schlau lesen mag über Energie durch Wasserkraft, den Klimawandel und die Wirkungen von Staudämmen, wird vielleicht hier fündig:
- Keine einfache Lösung – Wasserkraft, der Klimawandel und die Ziele für Nachhaltige Entwicklung (vierseitiges Factsheet, Download: https://bit.ly/359VBAS)
- Wasserkraft und Klimawandel – Eine problematische Beziehung (Broschüre, 32 Seiten, Download: https://bit.ly/36qVzF3)
- Riskante Energie – Staudammsicherheit in Zeiten des Klimawandels (Broschüre, 28 Seiten, Download: https://bit.ly/2qGBNWP)
- Bergbau und Wasserkraft – Wie eine vermeintlich regenerative Energie mit dem Extraktivismus zusammenhängt (Broschüre, 28 Seiten, Download: https://bit.ly/354lamW)
- Ausschlachtung für den Weltmarkt – Wie Amazoniens Staudämme mit deutschen Schnitzeln zusammenhängen (Broschüre, 36 Seiten, Download: https://bit.ly/2LVqj9B)
- Das Geschäft mit der Wasserkraft – Schlaglichter auf europäische Konzerne (Broschüre, 92 Seiten, Download: https://bit.ly/35cjuYP)

Ökologischer Gewässerzustand
Der DNR-Newsletter vom Juli widmet sich dem Thema Wasser
Panta rhei – alles fließt: Der Aphorismus aus dem Griechischen bedeutet, dass die Welt nicht stillsteht, sondern ständig in Bewegung ist und sich dabei permanent verändert. Der antike Philosoph Heraklit vergleicht dabei die Realität mit einem Fluss, der sinnbildlich für Werden und Vergehen steht. Auch die Interviewpartner*innen dieses Newsletters sind fasziniert von fließenden Gewässern, die einem „steten Wandel unterliegen“ und deren Wassertropfen viele Länder durchqueren. Im Schwerpunkt der Juliausgabe geht es um Flüsse, Seen, Auen und deren ökologischen Zustand. Unsere Autor*innen werfen einen kritischen Blick auf die Wasserrahmenrichtlinie der EU, auf den geplanten Ausbau der Oder, den Schutz des Bodensees und beantworten Fragen zur aquatischen Biodiversität. Weiterlesen