Weltnaturkonferenz: Kunming, Klappe die erste
Eindringliche Appelle, historische Chance und vage Vereinbarungen – am Montag begann das wegen der Coronapandemie mehrfach verschobene und inzwischen in zwei Teile gesplittete 15. Treffen der Vertragsstaaten des UN-Übereinkommens über biologische Vielfalt (CBD COP15), oder kurz „Weltnaturkonferenz“ im chinesischen Kunming und digital. Am Mittwoch verabschiedeten die Minister*innen eine Erklärung.
EU soll zu Hause vorlegen, Deutschland mehr Geld geben
Laut Riffreporter forderte die Chefin des UN-Umweltprogrammes (UNEP) Inger Andersen zum Konferenzauftakt die Staaten auf, den „selbstmörderischen Krieg gegen die Natur“ zu beenden. Die Zukunft liege in unser aller Hand. Aus Deutschland hieß es: „Nie zuvor in der Geschichte der Menschheit hat unser Planet in so kurzer Zeit so viele Arten unwiederbringlich verloren. Nach Jahrzehnten der Naturzerstörung müssen wir den Trend umkehren und ein Jahrzehnt der Renaturierung einleiten“, sagte Bundesumweltministerin Svenja Schulze in ihrer Rede zur CBD COP15.
Im Vorhinein forderten deutsche Umweltverbände wie Pro Wildlife von der deutschen Bundesregierung, den Beitrag zur internationalen Biodiversitätsfinanzierung auf mindestens zwei Milliarden Euro pro Jahr zu erhöhen, um das größte menschengemachte Artensterben der Erdgeschichte aufzuhalten. Derzeit beteilige sich Deutschland jährlich mit rund 800 Millionen Euro an internationalen Arten- und Naturschutzprojekten. Dem gegenüber stünden rund 67 Milliarden Euro für umwelt- und naturschädigende Subventionen, die Deutschland jährlich zum Beispiel in der Landwirtschaft und der Fischerei für Natur schädigende Praktiken ausgebe. Nicht-nachhaltige Landnutzung und die Übernutzung natürlicher Ressourcen sowie die Produktions- und Konsummuster in den reichen Industrieländern gehörten zu den größten Verursachern des Verlustes von Arten und Lebensräumen.
Der WWF Europa forderte, die nur einmal pro Jahrzehnt bestehende Gelegenheit endlich zu nutzen, um das Artensterben zu stoppen. Der aktuelle Entwurf des globalen Biodiversitätsrahmens für die Zeit nach 2020 weise in mehreren Schlüsselbereichen Schwächen auf. Die EU wiederum müsse ein Zeichen setzen, indem sie in Europa die beiden anstehenden Gesetze gegen Entwaldung und zur Wiederherstellung der Natur entsprechend ambitioniert ausgestalte. So müsse das geplante Gesetz zur Bekämpfung der von der EU betriebenen Abholzung der Tropenwälder auch Savannen und andere natürliche Ökosysteme einbeziehen. Der Schutz von Alt- und Primärwäldern in Europa müsse gestärkt, die Finanzierung eines globalen Fördermitteltopfes (Biodiversitätsfazilität) mit EU-Geldern üppig ausgestattet werden.
Katarina Macejakova, im WWF-Europabüro zuständig für EU-Entwicklungsfinanzierung und -politik, sagte: „Die Europäische Kommission hat vor kurzem eine Verdoppelung der Ausgaben für die Entwicklungszusammenarbeit im Bereich der biologischen Vielfalt angekündigt, die sich auf sieben Milliarden Euro für die nächsten sieben Jahre belaufen soll. Dies ist zwar nur ein kleiner Beitrag zur Überbrückung der weltweiten Finanzierungslücke von 700 Milliarden US-Dollar im Bereich der biologischen Vielfalt, macht aber fast zehn Prozent des gesamten EU-Außenbudgets aus, was erheblich ist. Am Vorabend der globalen Verhandlungen über die biologische Vielfalt hat die EU damit ein sehr wichtiges politisches Signal gesetzt und wird hoffentlich andere Parteien dazu anregen, sich ebenfalls zu engagieren!“
Kunminger Erklärung zur ökologischen Zivilisation
Die Kunming-Erklärung mit dem Titel „Ökologische Zivilisation: Aufbau einer gemeinsamen Zukunft für alles Leben auf der Erde“ wurde bereits von rund 100 Staaten unterzeichnet, enthält aber wenig Verbindliches. In der Erklärung werden Schlüsselelemente angesprochen, die für einen erfolgreichen Rahmen für die Zeit nach 2020 erforderlich sind: die Einbeziehung der biologischen Vielfalt in alle Entscheidungsprozesse, die Abschaffung und Umlenkung schädlicher Subventionen, die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit, die Beteiligung indigener Völker und lokaler Gemeinschaften und die Gewährleistung eines wirksamen Mechanismus' zur Überwachung und Überprüfung der Fortschritte.
Ziel ist die Vision des „Lebens im Einklang mit der Natur“ bis 2050. Entscheidend sei, dass der Rahmen auch die Bereitstellung der notwendigen Mittel zur Umsetzung im Einklang mit dem Übereinkommen und seinen beiden Protokollen sowie geeignete Mechanismen für Überwachung, Berichterstattung und Überprüfung enthalte.
Der EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius twitterte, dass die EU das politische Bekenntnis in der Kunming-Erklärung „als einen guten Ausgangspunkt für einen ehrgeizigen und transformativen globalen post2020-Biodiversitätsrahmen“ begrüße, der beim zweiten Treffen im nächsten Jahr beschlossen werden soll. „Unsere Arbeit geht weiter!“, so der Kommissar.
Greenpeace: Chinas Führungsstil und vage Verpflichtungen
Greenpeace International reagierte skeptisch auf die Kunming-Erklärung. Diese „hätte den schleppenden UN-Verhandlungen einen wichtigen Impuls geben können“, stattdessen biete sie einen Vorgeschmack auf das, was 2022 kommen wird: in einigen Bereichen bescheidene Versuche, aber bei den meisten strittigen Fragen kaum Fortschritte. Die vagen Verpflichtungen ohne Rechenschaftspflicht seien kaum besser als die Aichi-Ziele von 2010. Nicht nur ehrgeizige Ziele wie der Schutz von mindestens 30 Prozent der Land- und Meeresgebiete bis 2030 seien wichtig, entscheidend seien Umsetzungsstrategien und die tatsächlichen Mittel zur Erreichung dieser Ziele. Dabei seien die Rechte indigener Völker und lokaler Gemeinschaften und ihre Schlüsselrolle bei der Erhaltung der Natur und der biologischen Vielfalt anzuerkennen.
Li Shuo von Greenpeace Ostasien, sagte: „Die Erklärung von Kunming gibt uns einen Hinweis auf Chinas Führungsstil. In der Erklärung wird zwar auf das 30×30-Ziel verwiesen, aber nicht gesagt, ob Peking mit an Bord ist oder nicht. Das ist ein Balanceakt, um die wachsende Dynamik hinter diesem Ziel anzuerkennen und gleichzeitig den multilateralen Prozess nicht zu beeinträchtigen. Peking sollte sich bald entscheiden, wenn es eine Vorreiterrolle übernehmen will.“
Beim noch bis 15. Oktober laufenden Treffen sind die chinesischen Gastgeber sowie in China ansässige Botschafter*innen vor Ort und die Delegationen der Staaten werden digital zugeschaltet.
Beim zweiten Teil im April und Mai 2022 sollen dann alle anreisen und einen globalen Rahmen für den Biodiversitätsschutz nach 2020 beschlossen werden – bis dahin gelten die letzten international vereinbarten Ziele. Im Januar finden weitere formelle Verhandlungen statt. [jg]
WWF-Pressemitteilung: Once-in-a-decade opportunity to reverse biodiversity loss
Pro Wildlife - Pressemitteilung: Umweltverbände zum Start der Weltnaturkonferenz: Bundesregierung muss finanziellen Beitrag zum globalen Schutz der Artenvielfalt erhöhen
BMU-Pressemitteilung: Schulze: Weltnaturkonferenz in Kunming soll Naturzerstörung und Artensterben stoppen
CBD-Pressemitteilung zur Kunming Erklärung: UN Biodiversity Conference’s High-Level Segment sees creation of Kunming Biodiversity Fund, adoption of Kunming Declaration, building political impetus for adoption of ambitious post 2020 global biodiversity framework
Kunming Erklärung “ECOLOGICAL CIVILIZATION: BUILDING A SHARED FUTURE FOR ALL LIFE ON EARTH”
Rede UNEP-Under-Secretary-General Inger Andersen: COP15 on biodiversity is our chance to get to a world we want
Berichterstattung tagesschau: Weltnaturschutzkonferenz in China: Mit vagen Zielen gegen das Artensterben
Berichterstattung Riffreporter: Weltbiodiversitätsgipfel beginnt mit Warnung vor ökologischem Selbstmord und Mehr als 100 Regierungen sagen Unterstützung für Weltnaturschutzabkommen zu
Reaktion Greenpeace: Kunming Declaration announced at UN Convention on Biological Diversity – Greenpeace response
Euro-Natur-Preis 2021 geht an Forschende des Weltbiodiversitätsrats
Für ihren Einsatz gegen Artensterben und den Verlust von Lebensräumen erhalten Dr. Eszter Kelemen (Ungarn), Dr. Yunne-Jai Shin (Frankreich) und Prof. Dr. Josef Settele (Deutschland) stellvertretend für alle Forschenden, die sich am Weltbiodiversitätsrat IPBES beteiligen, am 14. Oktober 2021 den EuroNatur-Preis. Schon lange warnt die Wissenschaft vor den Folgen des globalen Artensterbens und der Biodiversitätskrise. Weiterlesen