„Wenn man ein Moor entwässert, kommt Luft an den Torf, er oxidiert und es wird CO₂ freigesetzt“
Insgesamt 5.300 Hektar degradierter Moore hat der NABU gemeinsam mit Partnern aus Polen, Litauen, Lettland und Estland fünf Jahre lang restauriert – das entspricht einer Fläche von mehr 7.400 Fußballfeldern. Ein Segen für den Klimaschutz, denn Moore speichern 550 Gigatonnen Kohlenstoff – etwa doppelt so viel wie alle Wälder weltweit zusammen. Zudem sind sie wichtig für den Hoch- und Grundwasserschutz und bieten zahlreichen seltenen Pflanzen und Tieren einen Lebensraum. Das Projekt LIFE Peat Restore zeigt aber auch, wo sich die EU und Deutschland weiter anstrengen müssen. Wie es mit der praktischen Umsetzung der Renaturierung aussieht, erklärt Tom Kirschey vom NABU im Interview.
In Deutschland gelten weit über 95 Prozent der Moore als degradiert und entwässert – das Resultat einer Jahrhunderte währenden Urbarmachung, vor allem für den Ackerbau oder für Weideland. Wie lässt sich ein trockenes Moor wieder befeuchten, zum Beispiel im Biesenthaler Becken in Brandenburg?
Die Hauptmaßnahme einer Restauration ist die Wiederherstellung des ursprünglichen oder diesem möglichst nahekommenden hydrologischen Regimes, also der Rückbau des künstlichen Entwässerungssystems. Je nach örtlichen Gegebenheiten können Entwässerungsgräben komplett verschlossen werden, am besten mit dem Aushub, der bei ihrer Anlage entstanden ist, oder punktuell durch Staue oder aber zumindest Sohlanhebungen (die Sohle bezeichnet das Höhenniveau bzw. Stockwerk in einem Bergwerk; Anm. der Red.). Den „Rest“ macht in der Regel dann die Natur von alleine. Natürlich müssen solche Maßnahmen rechtssicher, mit Akzeptanz der Interessenvertreter*innen und im Rahmen von wasserrechtlichen Verfahren durchgeführt werden. Man kann also nicht einfach mit dem Bagger los. Das ist auch der Teil, der in jedem Moorrestaurationsprojekt am schwierigsten ist. Es muss sauber geplant und ein Genehmigungsprozess durchlaufen werden. Die Öffentlichkeit und gegebenenfalls Landnutzer*innen sind zu informieren und einzubeziehen. Im Biesenthaler Becken hatten wir eine glückliche Kombination aus einer sehr übersichtlichen Eigentümerstruktur – die Flächen gehören der NABU Stiftung Nationales Naturerbe –, einem professionellen Planer und einem sehr engagierten Wasser- und Bodenverband, der die Maßnahmen auch umsetzte. Gemessen an dem dafür erforderlichen Aufwand war aber der Effekt begrenzt. Wir haben nur wenige hundert Meter Gräben verschlossen beziehungsweise die Sohle angehoben. In Brandenburg sind von 33.000 Kilometern Fließgewässer etwa 27.000 künstliche Entwässerungsgräben – die müssen fast alle verschwinden, wenn die EU klimaneutral werden will.
Welche Rolle spielt Torf und was passiert, wenn er sich zersetzt?
Torf ist unter dauerhaft nassen Bedingungen das, was permanent im Moor angereichert wird. Die pflanzliche Produktion ist höher als die Zersetzung der Pflanzenbiomasse, weil die Mikroorganismen dafür Sauerstoff benötigen, den sie unter Wasser aber nicht haben. So akkumuliert das Moor die großen Kohlenstoffvorräte. Wenn man ein Moor jedoch entwässert, kommt Luft an den Torf, er oxidiert und es wird CO2 freigesetzt. Deshalb ist die EU - neben zum Beispiel Indonesien - ein globaler Hotspot von Treibhausgasemissionen aus degradierten Mooren.
Was ist neben der Zufuhr von Wasser wichtig für ein intaktes Moor? Wie sieht die idealtypische Vegetation dort aus?
Zunächst mal geht es nicht um die Zufuhr von Wasser, das macht der Regen. Es geht darum, das Wasser in der Landschaft zurückzuhalten und nicht mehr künstlich abzuleiten. Man kann das mit einer blutenden Wunde vergleichen, die geschlossen werden muss. Der Nebeneffekt: Das Wasser, das dann dort als Niederschlag fällt, kann nur ins Grundwasser oder wieder verdunsten und dabei die Landschaft kühlen, aber eben nicht mehr abfließen. Das minimiert das Ausmaß von Hochwässern immens, besonders nach Starkregenereignissen. Die Vegetation eines Moors ist von Arten geprägt, die eine hohe Toleranz gegenüber Feuchtigkeit aufweisen. Mit ganz wenigen Ausnahmen, wie zum Beispiel der Schwarzerle, haben das Bäume nicht und sind deshalb, zumindest in den Mooren gemäßigter Breiten keine Torfbildner, und Moore in der Regel baumfrei. Je nach Verfügbarkeit von Nährstoffen und Mineralien gibt es hochspezialisierte Pflanzen, wie die Torfsegge auf Niedermoorstandorten oder natürlich Torfmoose.
Wie schnell lässt sich trockenes Terrain wieder in Feuchtgebiet verwandeln?
Wenn der Graben oder die Dränage verschlossen ist, sieht man den Effekt meist unmittelbar nach dem nächsten Niederschlag. Es gab zwei Sonderfälle im LIFE Peat Restore-Projekt, bei denen etwas nachgeholfen werden musste, um die torfbildende Vegetation wiederherzustellen. Im polnischen Słowiński-Nationalpark gibt es alte Torfstiche, wo der Wind immer die gelösten organischen Kohlenstoffverbindungen aufgewirbelt hat und das Wasser schwarzbraun war und sich so auch 40 Jahre nach Ende des Torfabbaus keine Pflanze etablieren konnte. Mit schwimmenden Flößen, besetzt mit Torfmoosen, haben unsere Partner Windschatten erzeugt und dadurch die Regeneration der torfbildenden Vegetation ermöglicht. Eine andere Fläche in Litauen war ebenfalls abgetorft worden. Hier haben unsere Partner Torfmooshäcksel verteilt und so die Regeneration der moortypischen Vegetation beschleunigt. Je nachdem, wie lange ein Moor entwässert war, dauert es ein paar Jahre, bis die Emissionen ganz reduziert sind, und noch länger, bis aus einer Quelle von Treibhausgasen wieder eine Netto-Kohlenstoffsenke wird.
Um welche Gesamtfläche geht es bei der Wiedervernässung von Mooren in Deutschland?
Die vom Greifswald Moor Centrum erstellte Karte organischer Böden in Deutschland enthält 1,8 Millionen Hektar Moore und Anmoore, also Flächen von geringer Torfmächtigkeit. Das heißt, dass dort die Torfschicht weniger als 30 Zentimeter dick ist oder der Torfanteil im Boden geringer als 30 Prozent. Das ist auch die Messlatte. Wenn Deutschland gemäß den EU-Zielen bis 2045 klimaneutral werden will, müssen wir an diese gesamte Fläche ran.
Erlangen intakte, ehemals trockengelegte Moore ihre vollständige Senkenleistung zurück?
Wir haben die Treibhausgasbilanzen aller zehn im Projekt restaurierten Flächen direkt und indirekt über die Vegetation nach dem GEST-Verfahren (Greenhouse Gas Emission Site Types: indirektes Verfahren zur Quantifizierung von Treibhausgasemissionen; Anm. der Red.) gemessen. Im Projektzeitraum konnten wir nur die Ersteffekte nach Durchführung der Maßnahmen registrieren, weshalb ich noch nicht aus Erfahrung dieses Projektes sprechen kann. Generell dauert es mehrere Jahrzehnte nach der Wiederherstellung eines natürlichen Gebietswasserhaushaltes, bis sich die torfbildende Vegetation wieder komplett regeneriert hat und die Bakteriengemeinschaften im Torf wieder denen dauerhaft wassergesättigter Standorte entspricht und bis die Senkenwirkung wiederhergestellt ist.
Zurück zur Zeit, als die Trockenlegung begann: Es gab die Furcht, in dem feuchten Gelände zu versinken, und bei manchen Menschen löst das Moor ein gruseliges Gefühl aus. Man denke nur an die schaurige Ballade „Der Knabe im Moor“ von Annette von Droste-Hülshoff. Wie begegnet man Ängsten oder Widerständen gegen die Renaturierung von Mooren?
Ich glaube, das ist ein Mythos, dass Menschen heutzutage in Mitteleuropa immer noch Ängste vor Mooren haben. Widerstände gegen Moorrenaturierung kommen in der Regel von Landnutzern, die andere Interessen verfolgen. Am besten überwindet man solche Widerstände durch das Aufzeigen von Möglichkeiten einer moorschonenden Bewirtschaftung, also Paludikultur [landwirtschaftliche Nutzung von wiedervernässten Moorböden; [Vgl. Artikel Succow]. Dafür muss die Gesellschaft Instrumente und Ressourcen zur Verfügung stellen. Zum Beispiel wäre eine Bindung der Direktzahlungen der Gemeinsamen Agrarpolitik an eine moorverträgliche Bewirtschaftung ein wichtiger Schlüssel. Ich würde mir wünschen, dass Landnutzerverbände hier eine progressivere Rolle einnehmen und an Lösungen mehr mitarbeiten. Die Gesellschaft hat ein Interesse an konsequentem Klimaschutz und muss folglich Landwirtinnen und Landwirte dafür fördern, dass sie Moore klimafreundlicher bewirtschaften.
Der Interviewpartner
Der Biologe Tom Kirschey ist Teamleiter Internationaler Moorschutz und Südostasien bei der NABU Bundesgeschäftsstelle