Klima & Energie kompakt vom 10.09.2020
Klimaschützer*innen wittern die Gefahr, dass Kohle und Gas aus dem Fonds für einen gerechten Übergang finanziert werden könnten. Abgeordnete finden, dass, wenn die Reform des Energie-Charta-Vertrags scheitert, die EU-Staaten aus diesem austreten sollen. Außerdem gibt es erstmals eine Klimaklage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Und Frans Timmermans scheint kein Freund von der Idee, den Straßenverkehr in den europäischen Emissionshandel zu integrieren.
Strukturwandel mit Kohle und Gas?
Elf der 18 EU-Länder, die noch immer Kohle zur Stromerzeugung nutzen, können keinen Ausstiegsplan bis 2030 vorweisen, der im Einklang mit den Zielen des Pariser Klimaabkommens steht. Trotzdem sollen sie das meiste Geld aus dem Fonds für einen gerechten Übergang (Just Transition Mechanism, JTF) erhalten. So geht es aus einem am Mittwoch veröffentlichten Bericht vom Climate Action Network (CAN) Europe und der auf Klimaschutz spezialisierten Denkfabrik Ember hervor. Die Analyse der 18 finalen Nationalen Energie- und Klimapläne (NECPs) offenbarte, dass Bulgarien, Deutschland, Kroatien, Polen, Rumänien, Slowenien und Tschechien auch nach 2030 an Kohlekraftwerken festhalten. In Deutschland soll erst 2038 mit der Kohleverstromung Schluss sein. In anderen Ländern wie Griechenland oder Italien soll der Kohleausstieg zwar vor 2030 erfolgen, jedoch wollen sie gleichzeitig stärker auf fossiles Gas setzen.
Beide Organisationen warnen im Bericht davor, dass der JTF seine Lenkungswirkung einbüße, in dem er fortlaufend fossile Projekte finanziert, anstatt den Strukturwandel weg von einer CO2-intensiven Energieerzeugung zu befördern.
Das Erscheinungsdatum des Berichts scheint nicht zufällig gewählt: In der kommenden Woche stimmt das Plenum des EU-Parlaments voraussichtlich über den JTF-Bericht des Regionalausschusses (REGI) ab. Die Ausschussmitglieder wollen fossiles Gas als Übergangstechnologie in den Fonds aufnehmen, was einen Aufschrei von Klimaschützer*innen nach sich zog (EU-Umweltnews vom 09.07.2020). Am Dienstag appellierten deshalb 25 Umwelt- und Klimaschutzorganisationen an den EU-Parlamentspräsidenten Sassoli, an dessen Vizepräsident*innen sowie an die Fraktionsvorsitzenden im EU-Parlament, den Vorstoß des REGI im Plenum rückgängig zu machen.
CAN Europe/Ember: Just Transition or Just Talk?
Energie-Charta-Vertrag: Reform oder Austritt
In einem offenen Brief richten sich 146 Abgeordnete verschiedener Fraktionen von EU- und nationalen Parlamenten an die EU-Vertreter*innen, die Ende des Jahres erneut über eine grundlegende Reform des Energie-Charta-Vertrags (ECT) verhandeln werden. So berichteten es die Umweltschutzorganisation Friends of the Earth Europe (FoEE) sowie die Online-Nachrichtenplattform EurActiv am Dienstag.
Nach Ansicht der Parlamentarier*innen stellt der ECT eine erhebliche Gefahr für die Klimaschutzambitionen der EU dar, da mithilfe des darin enthaltenen Investor-Staat-Streitbeilegungsverfahrens (Investor-State-Dispute-Settlement, ISDS) Konzerne aus dem Fossile-Energien-Bereich juristisch gegen staatliche Klimaschutzmaßnahmen vorgehen können. Weiter heißt es, dass der Vertrag weder mit dem Green Deal, der neuen Wachstumsstrategie der EU-Kommission, noch mit dem EU-Ziel der Treibhausgasneutralität 2050 vereinbar sei.
Wenn in der für Ende des Jahres geplanten dritten Verhandlungsrunde keine Fortschritte für eine Reform erzielt werden, sollten sich die EU-Mitgliedstaaten vorbehalten, gemeinsam aus dem Vertrag auszutreten, fordern die unterzeichnenden Abgeordneten.
FoEE illustrierte das höchst problematische ISDS mit einem gerade erst bekannt gewordenen Rechtsstreit: Der britische Frackinggas-Konzern Ascent Resources will anscheinend millionenschwere Entschädigungszahlungen vom EU-Land Slowenien erwirken, weil es Maßnahmen zum Grundwasserschutz erlassen hat – Fracking wäre somit nicht mehr möglich. Es soll um Entschädigungszahlungen in Höhe von 50 Millionen Euro gehen.
FoEE: UK fracking company sues Slovenia over environmental protection
EurActiv: ‘Obsolete’ Energy Charter Treaty must be reformed or ditched, lawmakers say
Neue beispiellose Klimaklage
In der vergangenen Woche wurde bekannt, dass sechs junge Menschen aus Portugal Klage gegen 33 Staaten vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen unzureichender Klimaschutzmaßnahmen erhoben haben.
Den Kläger*innen gehe es um die zunehmende Bedrohung, die der Klimawandel für ihr Leben und ihre physische und mentale Gesundheit darstellt, heißt es in einer Pressemitteilung. Hitzewellen mit Rekordtemperaturen von 44 Grad Celsius, extreme Dürreperioden und verheerende Waldbrände in den vergangenen Jahren hätten die jungen Menschen dazu veranlasst, vor Gericht zu ziehen.
Der Fall wird durch das Global Legal Action Network (GLAN) unterstützt. Wenn die Klage Erfolg hätte, würden die betroffenen Länder nicht nur rechtlich dazu verpflichtet, ihre CO2-Emissionen im eigenen Land drastisch zu reduzieren. Auch würden sie – und transnationale Konzerne, die ihren Hauptsitz in einem dieser Länder haben – für negative Auswirkungen ihres CO2-Ausstoßes weltweit verantwortlich gemacht.
Timmermans sieht Straßenverkehr nicht im Emissionshandel
Der für den Green Deal und Klimaschutz zuständige Vizepräsident der EU-Kommission Frans Timmermans äußerte sich auf einer Veranstaltung des Umweltverbands Transport & Environment offenbar skeptisch über die Idee, den europäischen Emissionshandel auf den Straßenverkehr auszuweiten. So zitiert EurActiv Timmermans in einem Online-Artikel. Er persönlich favorisiere die Option, die CO2-Flottengrenzwerte für Automobilhersteller weiter zu verschärfen. [aw]
EurActiv: EU carbon market not the right policy for cars, says Timmermans