EuGH-Generalanwältin zu Neonicotinoiden
"Das Neonicotinoid-Urteil des EuG ist ein Meilenstein für den Insektenschutz in der industriellen Landwirtschaft", freuen sich die beteiligten Anwälte von zwei Imkerbünden und der Aurelia Stiftung. Über dieses Teilverbot bienenschädlicher Wirkstoffe gab es einen Rechtsstreit, denn der Chemie- und Pharmakonzern Bayer hatte gegen das EuG-Urteil geklagt. Die Generalanwältin des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) Juliane Kokott hat sich damit befasst und in der vergangenen Woche Schlussanträge veröffentlicht. Grobes Fazit: Die EU-Kommission hat fast alles richtig gemacht, ebenso das Europäische Gericht (EuG) in Luxemburg bei seiner Entscheidung in erster Instanz. Ein endgültiges Urteil des EuGH steht noch aus, allerdings folgt es (meist) den in den Schlussanträgen enthaltenen Empfehlungen.
Worum geht es?
Die EU-Kommission hatte 2013 Verordnungen erlassen, in denen die Genehmigung für mehrere Pestizidwirkstoffe erheblich eingeschränkt wurden. Immer mehr Studien hatten gezeigt, dass Neonicotinoide äußerst schädlich für Bienen und andere Bestäuberinsekten sind. 2018 hatte das Europäische Gericht (EuG) die Teilverbote für die Neonicotinoide Clothianidin und Imidacloprid (beide von Bayer) und Thiamethoxam (vom Agrochemiekonzern Syngenta) bestätigt. Syngenta akzeptierte das Urteil, Bayer legte Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) ein. Den Deutschen Berufs- und Erwerbsimkerbund (DBIB) und den Österreichischen Erwerbsimkerbund (ÖEIB) - unterstützt von der Aurelia Stiftung - vertrat die Berliner Kanzlei Gaßner, Groth, Siederer und Coll. "[GGSC]" als Streithelfer.
Das EuG hatte der EU-Kommission 2018 bestätigt, dass die Einschränkung der Genehmigung gerechtfertigt waren, weil "ernsthafte Zweifel an ihrer Unschädlichkeit bestehen" ([GGSC]) und ausreichend wissenschaftliche Hinweise vorhanden waren. Diese Auffassung bestätigte die Generalanwältin, allerdings gehe aus ihrer Sicht das Komplettverbot für die nicht gewerbliche Verwendung zu weit. Es habe zwar Fehler bei der Kontrolle der Risikoprüfung gegeben - allerdings nicht derart, dass diese das Teilverbot der EU-Kommission in Frage stellten (abgesehen von dem nicht gewerblichen Teil). In den nächsten Monaten soll ein endgültiges Urteil erfolgen. Dann erst stellt sich heraus, ob der EuGH den Empfehlungen seiner Generalanwältin folgt oder nicht.
Thomas Radetzki, Imkermeister und Vorstand der Aurelia Stiftung, unterstrich, dass bisher kein vergleichbarer Fall bekannt sei, in dem die Kommission die Vermarktung genehmigter Produkte von so großer wirtschaftlicher Bedeutung aus Gründen des Umweltschutzes derart weitgehend eingeschränkt hat. 7.000 Seiten umfasste der gesamte "Prozessstoff". Das kommende Urteil des EuGHs werde auch für die Beurteilung des erweiterten Freilandverbotes der EU-Kommission für diese Neonicotinoide aus dem Jahre 2018 eine maßgebliche Rolle spielen, so die Aurelia Stiftung.
Noch viel zu tun im Bestäuberschutz
Der Europäische Rechnungshof hatte im Juli erklärt, dass die bisherigen Politikmaßnahmen nicht ausreichend waren, um Bestäuberinsekten zu schützen (EU-News 09.07.2020). Im Januar hatte die EU-Kommission erklärt, die Genehmigung für einen bienenschädlichen Pestizidwirkstoff nicht zu verlängern (EU-News 14.01.2020). [jg]
Schlussanträge EuGH vom 17.09.2020