Freie Flüsse: Weg mit überflüssigen Barrieren
Ohne bauliche Barrieren ginge es den Flüssen in Europa sehr viel besser. Und der Rückbau besonders vielversprechender, aber unnützer Bauwerke könnte 50.000 Flusskilometer "befreien". Das zeigt der WWF in einer neuen Studie. Die Universität Wien dagegen - zitiert die Stiftung Euronatur - zeigt, dass schon ein einzelnes Bauwerk in einem Gewässerökosystem wie der albanischen Vjosa großen Schaden anrichten kann. Und das Brandenburger Umweltministerium antwortet auf eine Anfrage, dass kaum eines der dortigen Gewässer die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie bis 2027 erreichen dürfte.
WWF: Stichproben zeigen gewaltiges Renaturierungspotenzial
Von den rund eine Million vorhandenen Flussbauwerken (EU-News 30.06.2020) hat der WWF eine Stichprobe von 30.000 Dämmen, Sohlschwellen und Wehren an und in Europas großen und mittelgroßen Flüssen untersucht. Fazit: In der EU hat die Barrierebeseitigung ein massives Potenzial zur Wiederherstellung frei fließender Flüsse. Der Rückbau würde erhebliche gewässerökologischen Verbesserungen bedeuten.
So gibt es laut WWF 732 Stauanlagen mit einem hohen Wiederanbindungspotenzial, was eine Wiederanbindung von etwa 11.500 Kilometer großer und mittlerer Flüsse ermöglichen würde. Weiteren 6.628 Anlagen wurde ein "gutes Wiederanbindungspotenzial" bescheinigt, was insgesamt fast 50.000 Flusskilometer ergibt, die ein hohes und gutes Potenzial haben, wieder frei fließend gemacht zu werden - allein in der untersuchten Stichprobe, die nur rund 3 Prozent der vorhandenen Bauwerke umfasste.
Die europäischen Flüsse sind die am stärksten fragmentierten der Welt. Barrieren in Flüssen - wie beispielsweise Staudämme für Wasserkraft - seien einer der Hauptgründe dafür, dass Flüsse den guten ökologischen Zustand gemäß der EU-Wasserrahmenrichtlinie nicht erreichen, und seien mitverantwortlich für den 93-prozentigen Rückgang der europäischen Süßwasser-Wanderfischpopulationen in den letzten Jahrzehnten, mahnte die Umweltorganisation. Die potenziell 50.000 freien Flusskilometer stellten bereits das Doppelte des von der EU-Kommission in ihrem Entwurf der EU-Biodiversitätsstrategie anvisierten Zieles von 25.000 wieder durchlässig gemachten Flusskilometern dar.
Euronatur/Uni Wien: Ein Bauwerk reicht zur Zerstörung
Bereits ein einzelner Staudamm kann schädliche Auswirkungen auf das gesamte Flusssystem haben. Das ist das Ergebnis einer vor kurzem erschienenen Studie der Universität für Bodenkultur Wien, die den hohen Wert des Vjosa-Flusssystems in Albanien als eines der wenigen verbliebenen Referenzgebiete für dynamische Auengebiete in Europa herausstellt. Dort kommen laut Studie, über die die Stiftung Euronatur berichtet, über 1.100 Tier- und Pflanzenarten vor, von denen viele durch nationale und internationale Gesetze und Konventionen als geschützt und gefährdet gelten. Gegen den Bau des geplanten Kalivaç-Staudamm sprechen laut Studie drei wichtige Argumente. Der Bau des Staudamms würde einen schwerwiegenden Verlust der Artenvielfalt sowie ein lokales Aussterben verursachen, da 881 Kilometer der insgesamt 1.109 Flusskilometer abgeschnitten werden. Zudem würde der Staudammbau in direkter Verletzung zu unterzeichneten Gesetzen, Richtlinien und Konventionen stehen. Ferner drohten hohe wirtschaftliche Kosten aufgrund von Sedimentationsproblemen und empfindliche Einbußen im Tourismussektor, fasst Euronatur zusammen.
Wasserrahmenrichtlinie: Brandenburgs Gewässer schaffen Ziele nicht, FDP stellt kleine Anfrage, dritter Bewirtschaftungszyklus in Vorbereitung
Den "guten Zustand" wird wohl kaum eines der Oberflächengewässer in Brandenburg bis 2027 erreichen, berichtet der Journalist Manfred Rey via dpa-Europaticker über die Antwort des Umweltministeriums in Potsdam auf eine Anfrage des Landtagsabgeordneten Thomas Domres (MdL, Die Linke). Nur zwei der 193 Seen mit Berichtspflicht seien in einem "sehr guten", 33 in einem "guten" Zustand. Einen guten Zustand würden auch nur 86 von 1.375 Flüssen erreichen, zitiert Rey. Alle Gewässer hätten zu hohe Quecksilberwerte, hinzu kämen Nitrat und Phosphor (chemischer Zustand).
Die Bundestagsfraktion der FDP hat Anfang April im Bundestag eine kleine Anfrage zum Thema "Auswirkungen der Wasserrahmenrichtlinie auf Erhalt und Ausbau der Wasserstraßeninfrastruktur" gestellt. Darin heißt es: "Die Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt (GDWS) rechnete mit einer Umsetzung der WRRL im Jahr 2050. Die Bundesregierung geht im Gegensatz dazu in ihrem Gesetzentwurf über den wasserwirtschaftlichen Ausbau an Bundeswasserstraßen zur Erreichung der Bewirtschaftungsziele der Wasserrahmenrichtlinie davon aus, dass die WRRL bis 2027 fristgerecht umgesetzt werden kann. Diese Ansicht ist nach Auffassung der Fragesteller leider nicht nachvollziehbar." Die Bundesregierung soll mitteilen, anhand welcher Kriterien bestimmt wird, ob ein wasserwirtschaftlicher Ausbau zur Erreichung der WRRL-Ziele erforderlich ist. Eine Antwort steht noch aus.
Derzeit laufen die Vorbereitungen für den dritten Bewirtschaftungszyklus (2022-2027) der zehn Flussgebietseinheiten, die im Rahmen der europäischen Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) in Deutschland ausgewiesen wurden, damit bis spätestens 2027 alle vorhandenen Flüsse, Seen, Grundwasser und Küstengewässer einen qualitativ "guten Zustand" erreichen. Ursprünglich sollte dieses Ziel schon bis 2015 erfüllt sein. Umweltverbände mobilisieren seit Jahren dafür, dass die Gewässer so gut geschützt und gemanagt werden, dass die ökologische und chemische Wasserqualität nicht mehr zu beanstanden ist (Suche: WRRL auf dnr.de). Erst im Juni 2020 hatte die EU-Kommission angekündigt, die WRRL als Gesetz nicht anzutasten, nur weil die Mitgliedstaaten es schwer finden, sie umzusetzen (EU-News 23.06.2020). Auch eine Überprüfung (Fitness-Check) hatte ergeben, dass nicht das Gesetzeswerk das Problem ist (EU-News 12.12.2019). [jg]
Pressemitteilung Euronatur: Euronatur: Schon ein Damm kann den Fluss zerstören
dpa-Europaticker: EU-Gewässerschutzziele für 2027 werden weitgehend verfehlt
dpa-Europaticker: Brandenburg verfehlt EU-Gewässerschutzziele weitgehend
Kleine Anfrage/FDP/Drucksache 19/28210
Umweltbundesamt: Seite zur Wasserrahmenrichtlinie und UBA-Seite www.gewaesser-bewertung.de
Erklärvideo zur WWF-Studie
Der WWF hat einen Kurzfilm zur Studie auf der Videoplattform Youtube veröffentlicht. Weiter zu YouTube
WEBINAR 29.04.2021
Wasserkraft und Fluss-Schutz: Werkzeugkoffer für legale Fragen
Um dem rasanten Ausbau der Wasserkraft Platz zu machen, werden vorgeschriebene rechtliche Verfahren und Bestimmungen zur Umweltverträglichkeitsprüfung oft umgangen oder nicht richtig umgesetzt. Internationale Gesetze und EU-Umweltvorschriften sind daher zu wertvollen Werkzeugen geworden, um den Bau neuer Wasserkraftprojekte zu verhindern. In einem Webinar am Donnerstag, den 29. April (14.00-16:00 Uhr), wird ein "Legal Toolkit" zum Schutz von Flüssen vorgestellt. Balkanrivers, Wetlands International Europe, EuroNatur, ClientEarth und andere laden ein, Erfahrungen und Fragen zu rechtlichen Schritten gegen Wasserkraftprojekte zu teilen und zu diskutieren. Weiterlesen