Vor EU-Verhandlungen zu Klimaschutzpaket „Fit for 55“:
Deutschland muss Treiber der europäischen klimagerechten Transformation sein
Berlin – Vor den entscheidenden Verhandlungen der EU-Mitgliedstaaten zum europäischen Klimapaket „Fit for 55“ am 27. und 28. Juni fordern führende deutsche Umweltorganisationen die Bundesregierung auf, für eine schnellere und solidarische Transformation weg von fossilen Energien und hin zu mehr Klimaschutz in der gesamten EU einzutreten. Klimaschutzminister Robert Habeck wird am Montag mit seinen Amtskolleg*innen über den Rahmen für Energieeffizienz und erneuerbare Energien verhandeln. Am Dienstag stehen dann der Emissionshandel, die nationalen Klimaziele im Rahmen der Klimaschutzverordnung, der neue Klimasozialfonds sowie CO2-Grenzwerte für Pkw zur Diskussion.
Kai Niebert, Präsident des Umweltdachverbands Deutscher Naturschutzring (DNR):
„Die bevorstehenden Verhandlungen über das “Fit for 55”-Paket werden darüber entscheiden, ob Europa die wirtschaftliche Transformation zu einer Klimaschutzgemeinschaft gelingen kann oder ob es weiterhin im fossilen Dornröschenschlaf verharrt. Deutschland steht hier als bevölkerungsreichstes und wirtschaftsstarkes Mitglied in einer besonderen Verantwortung. Wir erwarten deshalb von Robert Habeck ein klares und verlässliches Bekenntnis für den europäischen Klimaschutz und eine Rolle als Treiber für das Gesamtpaket - nicht als Bremser.“
Antje von Broock, Geschäftsführerin Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND):
„Jede Entscheidung, die Deutschland bei den EU-Räten trifft, hat entscheidende Auswirkungen auf internationaler Ebene. Deutschland hat mit dem G7-Vorsitz die Chance, als internationaler Vorreiter den Klimaschutz und die globale Energiewende angemessen voran zu bringen. Dafür muss die Bundesregierung aber selber ambitionierten Klimaschutz betreiben: den Fossilen ein Ende setzen, klimaschädliche Subventionen stoppen und schnell auf einen 1,5-Grad-Pfad gelangen.“
Martin Kaiser, geschäftsführender Vorstand Greenpeace Deutschland:
„Wenn Bundeskanzler Olaf Scholz die Industrie, die jahrzehntelang Klimaschutz aktiv verhindert hat, nun sogar damit belohnen will, noch im großen Stil nach 2030 kostenlos Verschmutzungsrechte zu erhalten, hat er die Dringlichkeit beim Klimaschutz noch immer nicht erkannt. Er riskiert damit, dass das gesamte „Fit for 55“-Paket scheitert. Scholz muss im Gegenteil alles dafür tun, um mehr Klimaschutz durchzusetzen, statt ihn zu verhindern. Das hat er mit seinem Antritt als selbsternannter Klimakanzler versprochen und muss nun zu seinem Wort stehen und dafür sorgen, dass industrielle Umwelt- und Klimaverschmutzer ab sofort für Verschmutzungsrechte bezahlen müssen.”
Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch
„Wir erwarten, dass sich die Bundesregierung bei den Verhandlungen für das Fit-for-55-Paket deutlich engagierter verhält. Jedes Instrument zählt. Nur so lassen sich die von der EU beschlossenen Klimaziele von mindestens 55 Prozent Emissionsreduktion bis 2030 wirklich umsetzen. Insbesondere beim Klimasozialfonds sowie bei der Klimaschutzverordnung sollte die Regierung aktiv mutigere Positionen vertreten und dabei hohe Klimaschutzambition und Solidarität mit weniger wohlhabenden Menschen und Staaten verbinden.“
Viviane Raddatz, Fachbereichsleiterin für Klima- und Energiepolitik beim WWF Deutschland
Zum Europäischen Emissionshandel: „Der Emissionshandel ist das wichtigste europäische Instrument für den Kohleausstieg und die Industrietransformation hin zu Netto-Null. Bisher hat sich die Bundesregierung mit ihrer Forderung nach einer längeren und großzügigeren kostenlosen Zuteilung eher als Verfechterin von Industrieinteressen profiliert. Damit wird die Chance verpasst, ein wirksames Preissignal an die Industrie zu senden und in den Verhandlungen einen Impuls für mehr Ambition zu setzen. Deutschland sollte im Rat und in den Trilogverhandlungen einen Kurswechsel vornehmen: schließlich braucht die Koalition eine robuste Gestaltung des Emissionshandels, um die Ziele des Klimaschutzgesetzes im Energie- und Industriesektor zu erreichen.“
Carolin Schenuit, Geschäftsführende Vorständin des FÖS
Zum Europäischen Emissionshandel für Straßenverkehr und Gebäude: „Der Emissionshandel für den Straßenverkehr und Gebäude ist ein wichtiges ergänzendes Instrument der europäischen Klimapolitik. Er muss jedoch sozialverträglich ausgestaltet werden. Dafür ist der Klimasozialfonds zentral. Hier sind Nachbesserungen nötig, um eine gezielte und effektive Hilfe für arme Haushalte sicherzustellen.”
Brick Medak, Leiter des Berliner Büros von E3G
Zur Erneuerbare-Energien-Richtlinie und Energieeffizienzrichtlinie: „Die noch ausstehende Einigung auf neue Ausbauziele von 45 Prozent erneuerbaren Energien und 13 Prozent Einsparungen bei der Energieeffizienz bis 2030 ist mehr als nur eine entschlossene Reaktion der EU auf Russlands Krieg gegen die Ukraine. Es ist auch eine historische Chance für die EU, die Kluft zwischen Ost- und Westeuropa zu schließen. Die Bundesregierung spielt als Brückenbauer eine sehr wichtige Rolle dabei, zu verhindern, dass diese Ziele unterwandert werden. Nur ein Festhalten an diesen Zielen garantiert das Erreichen der europäischen Klimaziele.”
NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger
Zum Thema Bio-Energie: „Es macht in vielerlei Hinsicht keinen Sinn unsere Wälder zu verbrennen. Deutschland muss sich deshalb bei den Verhandlungen zur europäischen Erneuerbaren-Energien-Richtlinie (RED) entschieden dafür einsetzen, dass Energie aus Waldholz nicht weiter als erneuerbar und klimaneutral definiert wird.“
Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der DUH
Zur Revision der CO2-Flottengrenzwerte für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge: „Die Bundesregierung darf sich jetzt keinesfalls den neuerlichen E-Fuel-Fantasien der FDP hingeben. Ein schnellstmögliches Ende der Neuzulassung von Verbrenner-Pkw ist essentiell, um die Emissionen im Verkehr endlich zu senken und Europa von fossilem Öl unabhängiger zu machen. Im Koalitionsvertrag steht schwarz auf weiß, dass die Koalitionspartner den Kommissionsvorschlag für ein Verbrenner-Aus in 2035 unterstützen. Das muss gelten – und ist ohnehin viel zu wenig, viel zu spät: Neue Verbrenner-Autos könnten damit in Europa noch vom Band rollen, nachdem die kritische 1,5-Grad-Grenze überschritten ist. Das ist keine adäquate Antwort auf die schon heute dramatischen Hitzewellen bereits vor Sommeranfang und einen fossil finanzierten Angriffskrieg in Europa.“
Insbesondere beim Rat der Umweltminister*innen werden zähe Verhandlungen erwartet. Gerade bei der Reform des zentralen EU-Instruments für den Klimaschutz, dem Emissionshandel, ist noch vieles offen. Wenn sich die EU-Mitgliedstaaten auf eine gemeinsame Position geeinigt haben, beginnen die Trilogverhandlungen mit dem EU-Parlament und der Europäischen Kommission.