Arbeitsprogramm der EU-Kommission für 2023
Am Dienstag hat die EU-Kommission ihr Arbeitsprogramm fürs kommende Jahr vorgestellt. Der von der europäischen Bürgerschaft (Konferenz für Europa) angeregte Komplex Gesundheitspolitik ist zwar Teil, allerdings mit Verschiebung eines der wichtigsten Gesetzesvorhaben aus Umwelt- und Gesundheitssicht: die Überarbeitung der europäischen Chemikalienverordnung REACH (siehe EU-News). Das Europäische Umweltbüro (EEB) kritisierte, dass die EU-Kommission „dem Druck der Chemie- und Agrarindustrie nachgegeben” habe. Ansonsten: Einiges zum Green Deal, zur Stärkung der Demokratie und zum Ausbau der europäischen Macht in der Welt und im Weltraum.
Das Programm für 2023 enthält laut EU-Kommission 43 neue politische Initiativen zu allen sechs übergreifenden Zielen der politischen Leitlinien von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Es baut auf ihrer Rede zur Lage der Union von 2022 und auf ihrer Absichtserklärung auf und greift die im Rahmen der Konferenz für Europa vorgebrachten Initiativen auf. Eine „neue Generation von Bürgerforen“ soll künftig die Politik mitgestalten.
Was steckt drin?
Sechs übergreifende Ziele sollen durchgesetzt werden:
- Europäischen Green Deal umsetzen: hierzu zählen Vorschlage zur Reform des Strommarkts, Gründung einer Europäischen Wasserstoffbank, Maßnahmen zur Abfallreduktion und deren Umweltauswirkungen mit Schwerpunkt auf Lebensmittel- und Textilabfälle, Überarbeitung der EU-Tierschutzvorschriften.
- Digitalisierung: hierzu zählen unter anderem EU-Maßnahmen zur Sicherstellung eines angemessenen und diversifizierten Zugangs zu kritischen Rohstoffen sowie ein gemeinsamer europäischer Mobilitätsdatenraum und ein Rechtsrahmen für ein Hochgeschwindigkeitsverkehrssystem („Hyperloop“).
- Wirtschaftspolitik „im Dienst der Menschen“ unter anderem mit Überprüfung der wirtschaftspolitischen Steuerung – für diesen Themenkomplex behält sich die EU-Kommission vor, nach dem Winter weitere Vorschläge zu machen, besonders im Hinblick auf Wettbewerbsfähigkeit.
- „Ein stärkeres Europa in der Welt“: Frieden und Stabilität verteidigen, eine Weltraumstrategie der EU für Sicherheit und Verteidigung sowie eine neue EU-Strategie für maritime Sicherheit vorstellen, Sanktionsinstrumentarium aktualisieren, Beziehungen nach Lateinamerika und die Karibik ausbauen sowie die Osterweiterung (Moldau, Georgien, Ukraine).
- Förderung unserer europäischen Lebensweise: hierunter fallen Bildungspolitik, eine Akademie für Cybersicherheitskompetenzen, Digitalisierung bei Reisen und die Europäische Gesundheitsunion (geistige Gesundheit, rauchfreie Umgebungen, durch Impfung vermeidbare Krebsarten)
- Demokratie: Paket für die Verteidigung der Demokratie, Rechtsschutz gegen Diskriminierung und bessere Rechtsetzung und Verschlankung („weiterhin Möglichkeiten für Vereinfachungen und für eine Verringerung des Verwaltungsaufwands ermitteln sowie die Nachhaltigkeit fördern“).
Zusammen mit Rat und Parlament soll es nun Gespräche geben, um eine Prioritätenliste zu erstellen.
Arbeitsprogramm untergräbt Ziele des Green Deal und der Nullverschmutzung
Das Europäische Umweltbüro (EEB) sparte nicht mit Kritik am Arbeitsprogramm. Die Verschiebung der REACH-Überarbeitung auf das letzte Quartal 2023 bedeute erfahrungsgemäß das Aus für diesen wichtigen Prozess, da bereits 2024 Neuwahlen und eine Neubesetzung der Kommission anstehen. Der Status von Quecksilber- und die Kosmetikverordnung, die Überarbeitung der EU-Vorschriften zur Verbesserung des Zugangs zu und der Verfügbarkeit von Daten über die Sicherheit von Chemikalien sowie die Überprüfung der Richtlinie über die Beschränkung der Verwendung bestimmter gefährlicher Stoffe in Elektro- und Elektronikgeräten (RoHS) bleibe „unklar”. Auch über den EU-Aktionsplan für ein integriertes Nährstoffmanagement (Positionspapier EEB), mit dem die Nährstoffverschmutzung und Ineffizienzen im Nährstoffkreislauf bekämpft werden sollen, fehlen Angaben im Programm. Der in der EU-Forststrategie angekündigte Gesetzesvorschlag zur Intensivierung der Überwachung, der Berichterstattung und der Datenerhebung zu Wälder scheint „vergessen” worden zu sein. Enttäuschend sei außerdem, dass die Initiative „Nachhaltiger Verbrauch von Gütern - Förderung von Reparatur und Wiederverwendung” im Arbeitsprogramm 2023 nicht erwähnt wird, nachdem der Vorschlag vom Ausschuss für Regulierungskontrolle abgelehnt wurde.
Recht auf Reparatur kommt spät, Saatgutverordnung und Pestizidverbot in Drittstaaten gar nicht?
Die EU-Abgeordnete Anna Cavvazini von den Grünen und Vorsitzende des Binnenmarktausschusses kritisierte via Twitter, dass das Recht auf Reparatur ebenfalls so weit verschoben wird, dass eine Verabschiedung in dieser Legislatur fraglich ist. Ursprünglich war ein Vorschlag für November 2022 angekündigt worden. Im Bereich Kreislaufwirtschaft fehlten auch die Prüfung eines EU-weiten Pfandsystems für Handys und klare Zielvorgaben für nachhaltige öffentliche Beschaffung. In der Handelspolitik werde „das eklatante Problem der Exporte von bei uns verbotenen Pestiziden in den Globalen Süden nicht angegangen“. Parteikollege Martin Häusling reagierte ebenfalls enttäuscht: „Völlig unerwähnt bleibt die Saatgutverordnung, die ursprünglich bereits im 4. Quartal 2022 vorgelegt werden sollte.“ [jg]
EU-Kommission:
- Pressemitteilung: Bewältigung der dringendsten Herausforderungen bei gleichzeitiger Beibehaltung des Kurses auf lange Sicht
- Website zum Arbeitsprogramm der Kommission für 2023
- Factsheet zum Arbeitsprogramm der Kommission für 2023 – das Arbeitsprogramm der Kommission erklärt
- Factsheet zum Arbeitsprogramm der Kommission für 2023 – Anhang I: neue politische Ziele
- Arbeitsprogramm der Kommission für 2023: Eine entschlossen und geeint vorgehende Union
EEB: Commission’s 2023 Work Programme caves under chemical and farm industry pressures