Bald mehr Durchblick im Daten-Wald?
Im November will die EU-Kommission ihren Vorschlag für eine Verordnung zum Monitoring für Europas Wälder veröffentlichen. Finnland und Schweden fordern allerdings ein „Innehalten“ vor neuen Vorschriften. Waldschutzorganisation FERN kritisiert interessengeleitete Datenauswertung und plädiert für mehr Transparenz.
Welche Flächen sind abgeholzt, welche naturbelassen, wie sieht es mit Baumhöhe und Kronenzustand aus? Ist dieser Wald in der Lage Kohlendioxid zu speichern, und wenn ja, wie viel? All diese Fakten könnten gemessen werden. Allerdings passiert das derzeit noch nicht einheitlich, weshalb die EU-Kommission ein Waldüberwachungsgesetz vorschlagen will. Laut Zeitplan soll der Vorschlag für einen „Überwachungsrahmen für widerstandsfähige europäische Wälder“ (Forest Monitoring Framework) am 21. November veröffentlicht werden. Nicht alle freuen sich darauf, wenn auch Umweltorganisationen im September forderten, dass die EU-Kommission ihre Ankündigung wahrmacht. Eigentlich war der Gesetzesvorschlag nämlich schon im ersten Quartal 2023 vorgesehen gewesen.
In einem offenen Brief an Ursula von der Leyen haben die Ministerpräsidenten von Schweden und Finnland am 4. Oktober in Sachen „forstbezogene Angelegenheiten“ zwar einerseits ihre Kooperationsbereitschaft signalisiert, andererseits aber gefordert, „sich Zeit zu nehmen“. Die Wälder, die Forstwirtschaft und ihre Wertschöpfungsketten stünden „unter großem Druck durch die neu verhandelten EU-Gesetzgebungen zu Energie, Klima und Umwelt“. Es brauche nun eher Reflexion, eine „Konzentration auf die Umsetzung und eine Analyse der Gesamtauswirkungen, die diese Politik letztendlich auf die Wälder haben wird“, so Petteri Orpo (Finnland) und Ulf Kristersson (Schweden). Die EU-Politik solle „ein günstiges Umfeld für die Forstwirtschaft in der EU schaffen“. Hier sei „eine bessere Rechtsetzung der Schlüssel“, die klar, kohärent und berechenbar sein müsse, so Orpo und Kristersson. Bereits Ende September hatten Österreich, Slowenien, Finnland und Schweden beim ersten informellen Minister:innentreffen der For Forest Group ein gemeinsames Statement veröffentlicht, um waldpolitisch enger zusammenzurücken und allzu vielen EU-Forderungen einen Riegel vorzuschieben.
FERN kritisiert „Wirrwarr von Daten“ und Interessen
Widersprüchliche und unvollständige Datensätze oder auch ein „Wirrwarr von Daten und Gegendaten“ machen es notwendig, das Waldmonitoring und die Methoden der Datenbeschaffung EU-weit zu harmonisieren, mahnt die Waldschutzorganisation FERN. Je nach Art der Analyse und Interessenlage kommen nämlich Forstindustrie, nordische Forschungsinstitute, unabhängige Gruppen oder die Gemeinsame Forschungsstelle (JRC) anscheinend zu unterschiedlichen Ergebnissen zum Zustand der Wälder. FERN zitiert eine kürzlich erschienene Studie von Turubanova et al., die auf der Basis von Satellitendaten den Zustand der europäischen Wälder analysierte: In Skandinavien und den baltischen Ländern habe der Holzeinschlag seit 2015 dramatisch zugenommen. Dies sei sowohl für das Klima als auch die biologische Vielfalt problematisch. Die Studie bestätige außerdem Ergebnisse der JRC von vor drei Jahren, die aber von der Forstindustrie und einigen nordischen Regierungsstellen angefochten wurden, die mit eigenen Daten ein anderes Bild darstellten. Bisher hätten diese Gruppen die neueste Studie unkommentiert gelassen, so FERN. Der Datenstreit unterstreiche, dass „die Mechanismen für die Waldberichterstattung derzeit nur bruchstückhaft und wenig kohärent sind - ganz zu schweigen davon, dass konkurrierende Interessen ins Spiel kommen“. Bestehende und manchmal absichtliche Lücken in der Datenerfassung machten es unmöglich, ein vollständiges Bild zu entwickeln und Probleme entsprechend anzugehen.
FERN warnte, dass die Kohlenstoffsenken in der EU zusammenbrächen. Auch die EU-Kommission habe bei neun Mitgliedstaaten Bedenken hinsichtlich ihrer Verpflichtungen im Rahmen der Verordnung über Landnutzung, Landnutzungsänderungen und Forstwirtschaft (LULUCF) Bedenken angemeldet. Finnlands und Estlands Wälder und Landnutzungssektoren hätten sich sogar zu Netto-Emittenten von Kohlendioxid entwickelt, was im Falle Finnlands sogar die allgemeinen Klimaziele der EU27 gefährde, so FERN.
Was muss ein gutes Monitoring der Wälder enthalten?
Laut FERN würde ein gut ausgearbeitetes Waldüberwachungsgesetz mehr Transparenz sowie die Erhebung zeitnaher, genauer und vergleichbarer Daten ermöglichen. Es könnte die Datenlücken schließen, die ein wirksames Handeln verhindern, indem es regelmäßige und zeitnahe Informationen als Grundlage für die Waldbewirtschaftungskonzepte erhebt. Es könnte gleiche Wettbewerbsbedingungen schaffen und sicherstellen, dass diejenigen Förster:innen, die sich um nachhaltigere Methoden bemühen, belohnt oder zumindest nicht für ihre Bemühungen bestraft werden.
In Rückmeldungen der 2022 veröffentlichten Konsultation zum Rahmen - siehe auch Forderungspapier von ClientEarth - fordern Umweltverbände wie das Europäische Umweltbüro vom neuen Rechtsrahmen für das Waldmonitoring unter anderem:
- Harmonisierte Definitionen und Kriterien, auch für „Wälder“ und "Nachhaltigkeit";
- maximale Transparenz durch vollständig öffentliche und zugängliche Informationen im Einklang mit den Verpflichtungen zum Zugang zu Informationen gemäß dem Aarhus-Übereinkommen;
- ein einheitliches Berichtsformat, das vergleichbare Daten für alle Mitgliedstaaten gewährleistet;
- ganzheitliche Indikatoren für die Auswirkungen der Bewirtschaftungsmethoden auf die biologische Vielfalt und das Klima;
- Überwachung der Wirksamkeit politischer Maßnahmen durch die Einbeziehung von Indikatoren für zum Beispiel strengen Schutz und Naturwiederherstellung;
- Einbeziehung eines Ansatzes auf Landschaftsebene, der auch die Fragmentierung und die Integrität des Ökosystems im weiteren Sinne berücksichtigt.
Laut Europäischer Umweltagentur (EEA) bedecken Wälder fast 40 Prozent der europäischen Landfläche. Sie lieferten nicht nur Nahrung, Fasern und Lebensraum für viele Arten, sondern tragen auch zum jährlichen Nettoabbau von Treibhausgasen bei. Durch Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft (LULUCF) entziehe die EU der Atmosphäre derzeit jedes Jahr netto 249 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente (CO2e), was sieben Prozent ihrer jährlichen Treibhausgasemissionen entspreche. [jg]
FERN: Conflicting and incomplete datasets underscore the need to harmonise forest monitoring
ENDS Europe (kostenpflichtig): Finland and Sweden call for reflection on forest rules, as EU elections loom
Waldgesetz in Deutschland: Umweltverbände legen eigenen Vorschlag vor
Deutscher Naturschutzring, Deutsche Umwelthilfe, NABU und WWF haben am 11. Oktober einen eigenen Gesetzesvorschlag zum neuen Bundeswaldgesetz vorgestellt. Denn das aktuelle Bundeswaldgesetz (BWaldG) von 1975 kenne keine Klimakrise und kein Artensterben. Es schaffe nicht den notwendigen Rahmen, unsere heimischen Wälder gegen die zunehmenden Extremwetter anzupassen und gegen die steigende Holznachfrage zu wappnen. Deshalb sollte das dringend reformbedürftige Gesetz vollständig novelliert werden, so die Verbände.