Die wetterfeste Stadt
2024 ist das bisher wärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Die Erderhitzung beeinträchtigt zunehmend das Leben in den Städten. In einem Best-Case-Szenario am Beispiel Berlin erzählt der Zukunftsforscher Stephan Rammler, wie sich Städte gegen Hitze und Wassermangel wappnen können.
Interview
In Ihrem Buch zeichnen Sie die mutmachende Vision einer Metropole, die den Umbau zu einer grünen, kühlen Oase schafft. Auslöser sind ein (fiktiver) extrem heißer Sommer 2025 und die (reale) Initiative Baumentscheid, der gerade die erste Hürde mit mehr als genügend Unterschriften genommen hat. Das Land Berlin spart aber den Umweltetat klein und einen Bundeshaushalt für das kommende Jahr gibt es noch gar nicht. Wie soll die wetterfeste Stadt bezahlt werden?
Wenn wir über urbane Klimaanpassung reden, ist das bedingt durch die Tatsache, dass wir bestimmte Phänomene der Erderwärmung nicht mehr verändern können. Es wird auch in Berlin sehr viel heißer werden. Aber wenn wir es schaffen, die klimaresiliente Stadt aufzubauen, dann ist die Lebensqualität hier einigermaßen angenehm. In der Bundesrepublik wird sich in den nächsten Jahrzehnten vieles massiv verändern. Wenn wir nichts tun, werden wir eine schlechte Lebensqualität haben. Eine Anpassung an den Klimawandel im Sinne der Daseinsvorsorge, die ja staatliche Aufgabe ist, ist für eine Stadt wie Berlin wie für ganz Deutschland existenziell notwendig.
Zu den Kosten: Es ist nicht meine wichtigste Aufgabe, wenn ich Visionen formuliere, gleich die Finanzierung mitzudenken. Dann habe ich eine Schere im Kopf. Aber als Ökonom weiß ich natürlich, dass all diese Dinge bezahlt werden müssen und dass es einen Zielkonflikt gibt zwischen den Kosten der Reduzierung des Treibhausgasausstoßes, um den globalen Anstieg der Temperaturen zu begrenzen, und der Gefahrenabwehr durch Klimaanpassung. Ich erwarte, dass mit den Hitzespitzen der nächsten Jahre die Anpassung massiv eingefordert wird. Die Zivilgesellschaft wird starken Druck aufbauen, sodass die Politik umdenken muss.
Der Berliner Baumentscheid ist ein aktuelles Beispiel dafür. Die Finanzierungsfrage muss von der Politik an anderer Stelle gelöst werden. Die Mitinitiatoren des Baumentscheids haben durchgerechnet, dass dessen Umsetzung von 2026 bis 2040 etwa 7,5 Milliarden Euro kosten würde, das wurde von Haushältern als durchaus finanzierbar angesehen. Und wenn eine Stadt sowieso Geld ausgeben muss, um moderne Infrastrukturen und Wohnraum zu schaffen, dann kann sie das doch gleich im Sinne der Anpassung an die Erderwärmung tun. Es braucht nur die Klugheit und die Bereitschaft, das von Anfang an mitzudenken, und die kostet gar nichts.
Generell gibt es derzeit eine Rolle rückwärts beim Klimaschutz und der Klimaanpassung. Welche sportliche Aktivität empfehlen Sie, damit dieser Trend wieder umgekehrt wird?
Ich kann Ihnen keine Hoffnung machen. Es gehört zur Realität, sie so wahrzunehmen, wie sie ist. Wir erleben gerade ein globales Rollback in jeder Hinsicht, ob es um die Frauenrechte, die Kinderrechte geht, um Minderheiten oder die Migrationspolitik, um die Frage ökonomischer Gerechtigkeit, Autoritarismus, Nationalismus. Es ist nicht nur die Abwendung von sozial-ökologischen Fragen, sondern es ist ein Rollback in die siebziger, achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Und: Wir verbrauchen im Moment so viel fossile Energie wie noch nie in der Geschichte der Menschheit. Umso wichtiger ist es, auch auf Klimaanpassung zu setzen.
Werden die bislang gegebenen Versprechen zur Minimierung eingehalten, landen wir bei 2,6 Grad Celsius am Ende des Jahrhunderts, wenn nicht bei 3,1 Grad. Das ist ein Zustand, den es, solange Menschen auf der Erde existieren, noch nicht gab. Wir betreten damit zivilisatorisches Neuland. Gegen eine solche Entwicklung kann ich mit sportlichen Aktivitäten kaum angehen, abgesehen davon, dass Ausdauersport in fast allen Lebenslagen die Stimmung enorm hebt und hilft, die moralische Vertikalspannung gegenüber Defätismus und Pessimismus zu halten.
Die gescheiterte Ampelregierung war als Fortschrittskoalition angetreten, auch um Deutschland auf den Pfad der Klimaneutralität zu bringen. Wie lässt sich das Vertrauen der Bürger*innen zurückgewinnen, damit sie bei der notwendigen Anpassung an die Folgen des Klimawandels mitgehen?
Indem die Politiker*innen endlich anfangen, offen zu kommunizieren, was der Umbau bedeutet. Im öffentlichen Diskurs unterlässt es die Politik, deutlich zu machen, dass da etwas Enormes auf uns zukommt, was wir nicht mehr vermeiden können. Ich gehe davon aus, dass man die Bevölkerung nicht davon überzeugen muss, Geld für Klimaanpassung auszugeben. Denn es geht dabei um Risikovorsorge. Auf der nationalen Ebene haben wir dazu aber keinen Diskurs, auf der kommunalen Ebene gibt es den teilweise, aber eben kein Geld. Ich glaube, dass wir anfangen müssen, andere Geschichten zu erzählen.
Welche denn, zum Beispiel?
Wie die Dinge besser werden und gelingen können, trotz aller Schwierigkeiten. Und zwar nicht nur trocken erzählen, welche Instrumente die Politik jetzt umsetzen muss, denn nicht die Frage der Instrumente ist das Entscheidende, sondern welche machtpolitischen Spielräume die Politik überhaupt hat, diese umzusetzen. Früher waren diese größer, im Augenblick sind sie minimal. Die Überforderung der Menschen durch die erdsystemische Polykrise der Gegenwart trägt dazu bei. Auch das, was in den USA passiert, und der russische Angriffskrieg auf die Ukraine. In solchen Situationen hilft es nur, mit aller Macht eine Gegenerzählung zu versuchen. Eine Erzählung dessen zu wagen, was durchaus noch möglich ist unter den Bedingungen dieser Krisenphänomene, was gelingen könnte, wenn wir alle an einem Strang ziehen. Das wäre die „sportliche Betätigung“, nach der Sie fragten. Solche Geschichten des Gelingens können dazu beitragen, die Spielräume für Politik enorm zu erweitern.
Wer soll wem die anderen Erzählungen präsentieren?
Es sind die Journalisten, die erzählerische Kompetenz haben, experimentierfreudige Wissenschaftler*innen, Schriftsteller*innen, Künstler*innen. Im Grunde ist es aber jeder, der anfängt, im Alltag etwas ganz Anderes zu machen und darüber zu sprechen. Ich nenne das Klimafuturologie. Sie ist die Übersetzung der abstrakten Daten und Fakten der wissenschaftlichen Studien, die wir so viele Jahre schon kennen, beispielsweise in die praktische und greifbare Beschreibung dessen, was aus der Erderwärmung jetzt folgt und was zu tun wäre, was wir im besten Fall gewinnen könnten. Wenn diese Übersetzungsleistung gemacht worden ist, können Menschen besser verstehen, welche Bedrohungen entstehen, was auf sie zukommt, als wenn schlicht neue Statistiken präsentiert werden.
Wir sind gerade dabei, den positiven Zukunftshorizont zu verlieren. Da hilft auch Technofix-Optimismus nicht weiter. Der wird die Probleme nur teilweise lösen können. Also müssen wir die Geschichte erzählen, wie aus der Mischung aus Technologie, Verhaltensanpassung, aber auch deutlichem Verzicht an mancher Stelle eine Zivilisation gelingt, in der wir noch einigermaßen gut leben können. Das macht mir Hoffnung.
Zurück zu Ihrer positiven Utopie: Wie stellen Sie sich eine klimaresiliente, wetterfeste Stadt vor? Beschreiben Sie mal das Klimabauhaus, wie Sie es nennen.
Es beginnt mit einer amerikanischen Journalistin, die im Jahr 2050 über Berlin als Hotspot der Klimaanpassung berichtet. Die Journalistin beschreibt, wie grün die Stadt ist mit der Metapher: Die Stadt sieht nicht aus wie eine Stadt, die einen Park hat, sondern wie ein Park, der eine Stadt hat. Die Straßen sind eng gesäumt mit Bäumen, es gibt Tiny Forests (kleine verdichtete Stadtwälder, die Red.) in toten Nischen, die vorher versiegelt waren. Die Versiegelung ist aufgebrochen worden, damit das Wasser versickern und das Grundwasser sich erneuern kann, weil es in Berlin einen großen Anteil an der Trinkwasserversorgung hat. Wenn es regnet, wird das Brauchwasser in Zisternen gesammelt. Es wird genutzt für die Wasserversorgung des urbanen Grüns, zum Beispiel durch Tröpfchenbewässerung in vertikalen Gärten von Hochhäusern.
Der Beton kommt raus aus der Stadt, es wird mit organischen Materialen wie Holz gebaut. Damit nehmen wir für längere Zeit CO2 aus der Atmosphäre heraus. Es gibt viele weiße Dächer, weil die weiße Farbe einen guten Teil, nämlich 98 Prozent der Einstrahlung wieder zurück reflektiert. Hier können wir ganz viel lernen von den Kulturen des Globalen Südens. In der (im Buch) sogenannten Caputher Erklärung plädieren Experten für ein europäisches Bauhaus, das auf einer Bauwende mit natürlichen, organischen Materialien basiert. Neben Holz sind das beispielsweise Steine aus Hanfkalk. Berlin braucht Wohnraum, auch weil es in den kommenden Jahren mehr Migration geben wird. Nicht nur aus der Ukraine, sondern auch aus Südeuropa, weil dort Menschen wegen der Hitze und Wasserknappheit ihre Jobs verlieren. Diese Menschen versuchen dann, Arbeit im Norden zu finden.
Man kann auch Hightech-Maßnahmen anwenden, etwa eine Fernkühlanlage, wie es sie in Paris gibt. Aber letztlich hilft nichts besser gegen urbane Hitze als das urbane Grün. Urbanes Grün erweitern, Oberflächen entsiegeln für die Regeneration des Trinkwassers, Brauchwasser sammeln, und die organische Bauwende sind der Kern des Klimabauhauses in Berlin. Ich nenne das so in Anlehnung an das Bauhaus der 1920er-Jahre, das als Wiege der Baukultur der industriellen Moderne gilt, die wir heute überwinden müssen. Die jetzt in Planung befindliche Internationale Bauausstellung (IBA) 2034 in Berlin und Brandenburg setzt genau auf diese Themen, beispielsweise eine Kreislaufökonomie beim Bauen. Auch deshalb habe ich große Hoffnung, dass die städtische Erneuerung Berlins im Lichte der Erderwärmung vorangebracht wird.
Bald ist Weihnachten: Was wünschen Sie sich für die Stadt der Zukunft?
Mein größter Wunsch ist, dass wir als Gesellschaft wieder mehr zusammenfinden. Man löst Probleme nur dann, wenn man sich gegenseitig zuhört, aussprechen lässt, sich nicht kleinmacht. In den USA erleben wir gerade das Gegenteil, mit misogynen Männern, die die Welt verbrennen. Männliche Dominanz und gesellschaftliches Auseinanderdriften sowie Zuspitzungen im Diskurs ergeben eine extrem toxische Mischung. Wir müssen als Zivilgesellschaft andere Formen der Kooperation finden, auch wenn wir politisch anderer Meinung sind. Wir müssen auf Augenhöhe miteinander umgehen und uns ernst nehmen. So richten wir uns in der Krise ein oder so gehen wir miteinander unter.
[Interview: Marion Busch]
Der Interviewpartner
Der Zukunftsforscher Prof. Dr. Stephan Rammler arbeitet als freier Wissenschaftler und Autor in Berlin. Zuvor war er Professor für Transformationsdesign und wissenschaftlicher Direktor am Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT). Sein aktueller Forschungsschwerpunkt liegt in der Klimafuturologie und Klima -Resilienzforschung.
Das Buch