Drohnen fliegen für den Naturschutz
Einst sollten Flugzeuge hier Bomben abwerfen. In den vergangenen sieben Jahren flogen Drohnen zu Forschungszwecken über den stillgelegten Truppenübungsplatz der Kyritz-Ruppiner Heide. Das Deutsche GeoForschungsZentrum Potsdam und die Heinz Sielmann Stiftung erkundeten, wie sich die ehemalige Militärfläche in ein artenreiches Ökosystem verwandelt. Über das Forschungsprojekt sprachen wir mit Michelle Prauß.
Interview
Was ist das Hauptergebnis des Projekts und wofür werden die Aufnahmen aus der Luft genutzt?
Am wichtigsten sind die Erkenntnisse, die mit dem Habitat Sampler gewonnen wurden. Dabei handelt es sich um ein KI-gestütztes Fernerkundungsverfahren, das ein standardisiertes Monitoring von Lebensraumtypen ermöglicht und zur Kartierung raumzeitlicher Dynamiken in Schutzgebieten eingesetzt werden kann. Die Software wurde vom Forschungspartner GeoForschungsZentrum (GFZ) Potsdam entwickelt, von der Heinz Sielmann Stiftung aus Anwendersicht getestet und mithilfe der dabei gemachten Erfahrungen optimiert. Der Habitat Sampler macht beispielsweise sichtbar, aus welchen Lebensraumtypen sich eine Fläche räumlich zusammensetzt, wie sich diese Zusammensetzung über die Zeit verändert und welchen ökologischen Prozessen eine Fläche unterliegt. In der Kyritz-Ruppiner Heide, einem ehemaligen Truppenübungsplatz, konnten so unter anderem die Flächenanteile verschiedener Waldtypen, die Lebenszyklusphasen von Zwergstrauchheide, die fortschreitende Einwanderung von Baumarten ins Offenland, aber auch die Erfolge verschiedener Managementmaßnahmen kartiert werden. Das Verfahren macht es möglich, jede Art von Bilddaten zu nutzen und auszuwerten. Zum Beispiel Satellitenbilder, digitale Orthofotos - also aus vielen Einzelbildern errechnete, verzerrungsfreie und maßstabsgetreue Abbildungen der Erdoberfläche - oder Drohnenbilder, die Vegetationsstrukturen und -dynamiken auf mehreren zeitlichen und räumlichen Skalen abbilden.
Welche Vorteile hat ein Naturschutzmonitoring per Fernerkundung mithilfe der KI?
Ein fernerkundungsbasiertes Monitoring hat den Vorteil, dass es auch dort durchgeführt werden kann, wo ein terrestrisches Monitoring sich schwierig gestaltet, beispielsweise weil die Flächen munitionsbelastet, schwer zugänglich oder extrem weitläufig sind. Solche schwer zugänglichen Lebensräume sind etwa ehemalige Truppenübungsplätze, Felswände oder Moore, auf denen erst durch den Einsatz von Drohnen ein Monitoring möglich wird. Zudem kann es, ergänzend zum terrestrischen Monitoring, in vielen Fällen Zeit und Kosten sparen, da größere Flächen schneller aufgenommen werden können. Das unterstützt Flächeneigentümer*innen auch dabei, ihren Berichtspflichten nachzukommen, beispielsweise über den Zustand von FFH-Lebensräumen. Satellitenbilder ermöglichen zudem, auch weit in die Vergangenheit hinein naturschutzfachlich relevante Flächen und Dynamiken nachträglich zu analysieren und auszuwerten – sofern aus dieser Zeit wolkenlose Satellitenbilder vorliegen.
Beim fernerkundungsbasierten Monitoring erhält man schnell sehr große Datenmengen. Um diese effizient auswerten zu können, ist der Einsatz von Künstlicher Intelligenz extrem hilfreich. Mit frei verfügbaren Satellitenbildern lassen sich zum Beispiel die Zusammensetzung verschiedener Lebensraumtypen auf großen Flächen oder die Erhaltungszustände verschiedener Lebensräume abbilden. Mithilfe von Drohnenaufnahmen kann man weiter heranzoomen und beispielsweise bei Heidekrautpopulationen ganz detailliert Informationen über das individuelle Blühverhalten oder die Betroffenheit von Trockenstress gewinnen.
Im Projekt konnten mehr als 2.000 Arten auf dem Gelände nachgewiesen werden. Nennen Sie mal Beispiele, bitte.
Ein Ziel des NaTec-KRH-Projekts war das Erstellen einer Gesamtartenliste für das Gebiet Kyritz-Ruppiner Heide. Zum Ende des Projektes enthielt die Liste 2.266 Arten. Charakteristisch für die nährstoffarme Landschaft der Kyritz-Ruppiner Heide ist vor allem das Vorkommen seltener Insekten- und Spinnenarten. Viele von ihnen sind auf Heidekraut spezialisiert. Dazu gehören zum Beispiel die Heidekraut-Seidenbiene und die Heide-Filzbiene, die als Kuckucksbiene die Nester der Seidenbiene parasitiert. Auch die Große Erdhummel lebt vom Heidekraut, genau wie die Raupen des Kleinen Nachtpfauenauges. Weitere typische Schmetterlingsarten sind der Argus-Bläuling und die Rostbinde. Eine charakteristische, besonders auffällige Art unter den Spinnen der Kyritz-Ruppiner Heide ist die Rote Röhrenspinne. Die Männchen dieser Art sind leuchtend rot und lassen sich im Spätsommer auf den Sandwegen mit etwas Glück gut beobachten. Ein weiteres Highlight ist die stark gefährdete Goldaugenspringspinne. Wir konnten auch Arten mit noch höherem Seltenheitswert nachweisen, wie beispielsweise die vom Aussterben bedrohte Goldwespenart Spinolia unicolor. Auch die Vogelwelt der Kyritz-Ruppiner Heide ist spannend: Der Wiedehopf ist gewissermaßen das Wappentier der Heide. Im Frühsommer hört man in der Dämmerung unter anderem den schnurrenden Gesang der Männchen des Ziegenmelkers. Die Kyritz-Ruppiner Heide ist sein wichtigstes Brutgebiet in Deutschland.
Gab es auch Beeinträchtigungen für die örtliche Fauna und Flora?
Nein. Bei den Drohnenflügen wurde stets darauf geachtet, sie so störungsarm wie möglich zu halten. Die Drohnen wurden in ausreichender Höhe geflogen, um zum Beispiel Bodenbrüter nicht zu stören. Die Flüge erfolgten in einem vorprogrammierten Raster, was geräuschärmer ist als plötzliche Richtungswechsel und die Flugzeiten erheblich reduziert. Außerdem fanden die Flüge so selten wie möglich und in Absprache mit dem Bundesforst und lokalen Naturschutzbehörden statt. Es gab im Gegenteil sogar positive Auswirkungen auf die örtliche Fauna und Flora. Denn die aus den Monitorings gewonnenen Erkenntnisse über den Zustand der Flächen führten fortlaufend zu immer weiter verbesserten Pflegemaßnahmen der Heidelandschaft.
Wie geht es nun weiter?
Die Projektsoftware Habitat Sampler wird durch den Helmholtz-Technologietransfer zur Webanwendung MiSa.C (Minimal Sampling Classifier) weiterentwickelt. Sie dient insbesondere zur Analyse von Copernicus Sentinel-2 Satellitenbildern und kann über den Technologietransfer FERN.Lab schon jetzt bezogen werden. Alle im Projekt gewonnenen Daten, vor allem die von 2017 bis 2023 monatlich aufgezeichneten hochaufgelösten Drohnenbilder, sollen Forschenden zukünftig über eine Online-Datenbank kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Folgeprojekte, die auf den Erkenntnissen von NaTec-KRH aufbauen, sind bereits in Vorbereitung. Die Heinz Sielmann Stiftung nutzt unterdessen ihre Drohnen unter anderem für die Vegetationskartierung von Dauerbeobachtungsflächen und für Wasserstandmessungen im Naturschutzgebiet Ferbitzer Bruch, das Teil der Sielmanns Naturlandschaft Döberitzer Heide bei Berlin ist. Die so gewonnenen Daten fließen wiederum in ein größeres Naturschutzprojekt zur Verbesserung des Wasserrückhalts im Ferbitzer Bruch ein.
Kann ich mir selbst ein Bild von der renaturierten Kyritz-Ruppiner Heide machen?
Besucher*innen sind zu jeder Jahreszeit herzlich willkommen. Die von der Heinz Sielmann Stiftung geschützten und gepflegten Flächen – immerhin rund 4.000 Hektar im Südteil der Kyritz-Ruppiner Heide – können auf einem 14 Kilometer langen Heideerlebnisweg zwischen Neuglienicke, Pfalzheim und Rossow durchwandert werden. Der 15 Meter hohe Heideturm auf dem Heinz-Sielmann-Hügel bietet besonders im August einen spektakulären Panoramablick über die blühende Heidelandschaft. Von der Plattform des Aussichtsturms aus bekommt man einen guten Eindruck von der Weite und Vielfalt der Landschaft – und wird beim Erklimmen der 75 Stufen des Turms über die militärische Vergangenheit des ehemaligen „Bombodroms“ informiert. Auch in der kälteren Jahreszeit, also lange nach der Heideblüte, ist die Kyritz-Ruppiner Heide einen Besuch wert. Mit etwas Geduld und Glück lassen sich Raubwürger auf ihren Sitzwarten entlang des Weges oder ein Rudel von Rothirschkühen am Waldrand beobachten. Wir bitten Besucher*innen lediglich darum, sich vorab mit unserem Heide-Knigge vertraut zu machen, um während des Besuchs der noch immer kampfmittelbelasteten Landschaft gut auf sich selbst sowie auf Wildtiere und -pflanzen achten zu können. Wer sich zunächst von zu Hause einen Eindruck von der Kyritz-Ruppiner Heide verschaffen möchte, kann dies bei einem virtuellen 360°-Rundgang tun. Der Rundgang ist interaktiv und enthält neben tollem Bildmaterial viele interessante Infos über den besonderen Lebensraum Heide.
[Interview: Marion Busch]
Die Interviewpartnerin
Michelle Prauß hat einen Masterabschluss im Fach „Sustainable Change“. Für die Heinz Sielmann Stiftung leitete sie ein Jahr lang das Forschungsprojekt NaTec-KRH in Kooperation mit dem GeoForschungsZentrum Potsdam. Seit 2024 ist sie bei der Stiftung als Referentin für Umweltbildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung tätig.
Weitere Informationen
Das Projekt „Naturschutz und Technik in der Kyritz-Ruppiner Heide“ (NaTec-KRH) war Bestandteil der Forschung für nachhaltige Entwicklung (FONA) und wurde mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.