Ein grünes Netz für Natur- und Klimaschutz
Angesichts zunehmender Flächenkonkurrenz ist eine rechtliche Beschleunigung und Erhöhung der Wirksamkeit von ökologischen Vorrangflächen dringend erforderlich. Für den Aufbau einer zukunftsfähigen Infrastruktur ist ein grünes Netz zu schaffen, dem bei Planung und rechtlichen Rahmenbedingungen Vorrang zu gewähren ist.
Der Weg Deutschlands in die Klimaneutralität wird das Landschafts- und Siedlungsbild weiter verändern. Bis 2030 müssen allein für die erneuerbaren Energien jährlich über 20 Gigawatt (GW) Photovoltaik und 10 GW Windkraft an Land installiert werden. Nahezu alle Wirtschaftszweige, vor allem die Industrie sowie die Energie- und Verkehrsinfrastruktur, müssen grundlegend umgebaut werden. Damit verbunden sind vielfach zusätzliche Eingriffe in die Natur sowie eine Verschärfung der Flächenkonkurrenz. Dabei braucht die Natur mehr Fläche, auf der sie ihre lebenswichtigen Leistungen erbringen kann – das ist die entscheidende Botschaft, die sich aus den letzten Berichten von Weltklima- und Weltbiodiversitätsrat sowie der EU-Biodiversitätsstrategie für 2030 und zuletzt dem Weltnaturabkommen von Montreal ergibt.
Flächen mehrfach zu nutzen, sorgt für biologische Vielfalt
Bisherige Versuche, die planetare ökologische Krise aus Erderhitzung und Biodiversitätsverlust zu lösen, verfolgten selten einen ganzheitlichen Ansatz. Um den Aufbau eines Netzwerks von Naturflächen und die Entwicklung von klimaneutraler Infrastruktur gleichermaßen zu beschleunigen, bedarf es einer intelligenten Planung und einer schnellen Umsetzung.
Hierzu ist eine verstärkte Mehrfachnutzung von Flächen anzustreben: Eine Fläche zur Erzeugung von Wind- oder Solarenergie sollte möglichst biodiversitätsfreundlich ausgestaltet werden. Maßnahmen wie Gehölzstreifen oder weite Anbaureihen im Ackerbau können auch in ausgeräumten Agrarlandschaften zu mehr Vielfalt beitragen, ohne die Flächenkonkurrenz zusätzlich zu befördern. Zugleich ist es notwendig, unvermeidbare Eingriffe künftig nicht nur auszugleichen, sondern den Zustand der Natur auf zusätzlichen Flächen qualitativ und dauerhaft zu verbessern.
Ziel muss sein, der Schaffung und Sanierung von grauer Infrastruktur künftig ein grünes Netz aus Vorrangflächen zur Seite zu stellen, die ökologisch bestmöglich entwickelt werden. Der Aufbau, die Aufwertung und Erhaltung der grünen Infrastruktur würde somit (neben dem naturverträglichen Umbau der Landnutzungspolitik) zum zentralen Bestandteil der deutschen Naturschutzpolitik. Das Planungs-, Förder-, und Ordnungsrecht sollte den Aufbau der grünen Infrastruktur künftig als prioritäres Leitbild berücksichtigen.
Ökologische Schutzgebiete sichern und neue Grünflächen in der Agrarlandschaft schaffen
Kernbereich der grünen Infrastruktur ist ein ökologisches Netz, in dem ein Vorrang des Naturschutzes im Sinne eines überragenden öffentlichen Interesses gelten muss. Von einer pauschalen Privilegierung bestimmter Nutzungen wie Land- oder Forstwirtschaft oder dem Ausbau der Windenergie ist auf diesen Flächen abzusehen. Das grüne Netz beinhaltet neben aktuellen Schutzgebieten auch die Fläche für den länderübergreifenden und lokalen Biotopverbund. Grüne Infrastruktur besteht aber auch außerhalb von Schutzgebieten. Im Siedlungsbereich erfüllen beispielsweise Parks, Grünflächen, Stadtwälder oder Gewässer wichtige Funktionen, die gezielt aufgewertet werden können. In der Agrarlandschaft müssen mindestens zehn Prozent Landschaftselemente und nichtproduktive Flächen gesichert oder wiederhergestellt werden. Um das Ziel der Wiederherstellung von 30 Prozent der Land- und Meeresökosysteme verbindlich zu machen, ist ein Verbesserungsgebot rechtlich zu verankern.
Zur rechtlichen Beschleunigung und Erhöhung der Wirksamkeit von Vorrangflächen des Naturschutzes sind insbesondere folgende Maßnahmen notwendig:
- In Schutzgebieten sind beschleunigte Verfahren zur Umsetzung von Naturschutzmaßnahmen zu ermöglichen (zum Beispiel durch beschleunigte Verfahren nach Wasserhaushaltsgesetz oder Vorratsaufbauziele).
- Auf den Flächen dürfen keine oder nur geringfügige Eingriffe und Beeinträchtigungen erfolgen, ein Verbesserungsgebot sorgt dabei für einen effektiven Beitrag zur dauerhaften Sicherung der Naturschutzziele.
- In bestehenden wie neuen Gebieten sollten die Handlungsspielräume zur Duldungspflicht gemäß Bundesnaturschutzgesetz stärker genutzt werden. Dies gilt auch für die Nutzung des Vorkaufsrechts.
- Eine den Schutzzielen dienende Nutzung muss unterstützt werden, für das Naturflächennetz sind attraktive Finanzierungs- und Unterstützungsangebote von Bund und Ländern zu priorisieren, die ausreichende Anreize für Landnutzer*innen beinhalten. Zudem sollte der Weg geebnet werden, eine dem Naturschutz dienliche Nutzung in Schutzgebieten bürokratisch zu entlasten, sodass sie direkt dem dauerhaften Erhalt der Biotope, Arten und ihrer Vernetzung zugutekommt.
- Um den naturschutzfachlichen Wert und die Wirkung von Ausgleichsmaßnahmen zu optimieren, sollten Kompensationsmaßnahmen in das Schutzgebietsnetz und den Biotopverbund gebündelt und eine Maßnahmenlenkung in zusammenhängende Flächen priorisiert werden.
- Das Raumordnungsgesetz ist um die Belange des Naturschutzes und der Biodiversitätswiederherstellung sowie um den regionalplanerisch verankerten Schutz der Vorrangflächen zu ergänzen.
Die Aufwertung bestehender Schutzgebiete und die Sicherung zusätzlicher Flächen durch rechtliche Anpassungen sind zentral, um die übergeordneten Ziele des Weltnaturabkommens und der Pariser Klimaziele zu erreichen. Sinnvoll wäre die Einrichtung einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die entsprechende Empfehlungen für eine einheitliche Umsetzung der Vorgaben erarbeitet.
Der Autor
Florian Schöne studierte Physische Geographie mit den Schwerpunkten Bodenkunde und Geobotanik. Seit 2016 ist er Geschäftsführer des Deutschen Naturschutzrings (DNR).