Eine Frage der Haltung
Im nächsten Jahr soll eine gesetzlich verpflichtende Haltungskennzeichnung eingeführt werden. PROVIEH fordert seit Jahren solch eine Kennzeichnung, um die Haltungsbedingungen von sogenannten Nutztieren transparent zu machen. Die Pläne der Bundesregierung reichen aber nicht aus für einen tatsächlichen Umbau der Tierhaltung, kritisiert die Tierschutzorganisation.
Auf lange Sicht soll das Kennzeichen verpflichtend beim Verkauf von tierischen Produkten in Supermärkten und Metzgereien, Kantinen und Imbissen sowie Hotels und Restaurants eingesetzt werden. So können sich Kundinnen und Kunden darüber informieren, wie die Tiere gehalten werden und auf dieser Grundlage eine Entscheidung treffen. Ein Grund zur Freude? Leider Fehlanzeige! Denn anstatt eine Orientierungsgrundlage zu schaffen, werden Menschen durch das geplante Haltungskennzeichen verunsichert und zum Teil sogar getäuscht.
Etikettierung in fünf Stufen
Der Gesetzentwurf des Bundeslandwirtschaftsministeriums unterscheidet fünf Haltungsformen: vom gesetzlichen Mindeststandard „Stall“ über eine minimal verbesserte geschlossene Stallhaltung „Stall+Platz“, einen Stall mit Außenklimareizen „Frischluftstall“ bis zu den Haltungsformen „Auslauf/Weide“ und „Bio“. Der aktuelle Gesetzentwurf ist der erste Schritt zur Einführung der Kennzeichnung und bezieht sich nur auf die Haltung während der Mast und auf erste Absatzwege von Schweinefleisch im Einzelhandel, in Metzgereien und im Online-Versand. Später soll das Kennzeichen für den kompletten Lebenszyklus und alle Absatzwege von Schweinefleisch erweitert werden. Schrittweise soll es dann für Milchkühe, Mastrinder und Geflügel eingeführt werden. Die verpflichtende Kennzeichnung ist daher noch nicht der große Wurf, weil nur ein sehr kleiner Teil von Schweinefleisch einbezogen wird und mit Blick auf alle tierischen Produkte nur ein marginaler Teil verpflichtend gekennzeichnet werden soll. Der Gesetzentwurf ist jedoch von großer Relevanz, weil jetzt die Haltungsformen und Kriterien festgelegt werden, die in den nächsten Schritten auf andere Tierarten und Absatzwege übertragen werden. Nachdem es im April in der Ampelregierung eine Einigung gab, soll das Gesetz vor der Sommerpause vom Bundestag beschlossen werden. Geplant ist, die Haltungskennzeichnung 2024 in die Praxis umzusetzen.
PROVIEH kritisiert, dass die Haltungsformen Verbesserungen suggerieren, die die Tierschutzorganisation als tierschutzwidrig ablehnt und zu verbieten versucht. So lehnt PROVIEH „Stall+Platz“ komplett ab. Diese Haltungsform suggeriert als Stufe über dem Mindeststandard eine deutlich verbesserte Haltung und deutlich mehr Bewegungsfreiheit, obwohl tatsächlich nur 12,5 Prozent mehr Platz gefordert sind. Das entspricht etwa anderthalb DIN-A4 Blättern mehr Raum für ein ausgewachsenes Schwein.
Die Haltungsform „Frischluftstall“ sollte zunächst als Offenfrontstall gestaltet sein und damit Ställe mit geöffneten Stallseiten umfassen, die jedem Tier den Blick nach draußen, frische Luft und Außenklimareize ermöglicht. Tatsächlich ist in dieser Stufe jedoch nur ein Einfluss des Außenklimas im Stall gefordert und kein Zugang zu offenen Stallseiten für jedes Tier. Zudem ist auch in dieser Stufe die Haltung auf Vollspalten zulässig: Die Belastung durch Schadgase sowie fehlende Funktionsbereiche und weiche Liegeflächen gehen bei Schweinen mit großen Leiden einher.
Die ersten drei Haltungsformen „Stall“, „Stall+Platz“ und „Frischluftstall“ lehnt PROVIEH daher als tierschutzwidrig ab. Verbraucher*innen werden die Stufen zwei und drei jedoch als deutliche Haltungsverbesserung interpretieren. Aus Sicht des Tier- und Verbraucherschutzes ist das fatal. Auch die zwei Premium-Haltungsformen müssen stark kritisiert werden.
Die Stufe „Auslauf/ Weide“ vermischt die völlig unterschiedlichen und ungleichwertigen Haltungsformen der Stallhaltung mit kleinem betoniertem Auslauf und die Freilandhaltung. Zudem täuscht die Haltungsform mit der Bezeichnung und Inkludierung der Weide über die tatsächlich überwiegende Stallhaltung mit Betonauslauf hinweg. Für den Wandel hin zu artgemäßen Haltungsbedingungen braucht es unbedingt eine eigene Stufe für die Freilandhaltung. Denn nur die Haltung von Tieren im Freien auf Naturboden lässt alle artgemäßen Verhaltensweisen zu: Rinder, die weiden, Hühner, die scharren und Schweine, die im Erdreich wühlen.
Eine eigene Stufe „Bio“ für die ökologische Tierhaltung ist aus Sicht von PROVIEH fachlich nicht begründbar. Jeder konventionelle Stall, der den ökologischen Haltungskriterien genügt, ist eine gleichwertige Haltungsform. Durch die höchste Stufe „Bio“ wird eine konventionelle Haltung jedoch als minderwertig dargestellt.
Verbraucherfreundliche Orientierung und Freilandhaltung gefordert
Die aktuell geplante staatliche Haltungskennzeichnung zementiert den tierschutzwidrigen Status quo und fällt als Transparenz- und Orientierungsgrundlage in Bezug auf Tierhaltungssysteme durch. Anders als bei der Eier-Kennzeichnung ist eine eindeutige Identifikation tierquälerischer Haltungsbedingungen von Schweinen auf Grundlage der Haltungskennzeichnung nicht möglich. Auf dieser uneindeutigen Grundlage ist es deutlich unwahrscheinlicher, dass Produkte aus diesen Haltungsformen ähnlich wie bei der Käfighaltung von Verbraucher*innen nicht gekauft oder erst gar nicht ins Sortiment aufgenommen werden. Hiermit geht ein großer Hebel für den Umbau von Tierhaltung durch die Ausgestaltung der Kennzeichnung verloren.
Zudem warnt PROVIEH vor einem Fehlstart im Umbau der Tierhaltung. Denn die Haltungsformen im Kennzeichen sollen die Grundlage sein für zahlreiche andere Maßnahmen, wie zum Beispiel finanzielle Förderprogramme oder privilegierte Baugenehmigungen im Sinne der Transformation. Die Haltungsformen und zugrundeliegenden Kriterien sind dafür aber völlig unbrauchbar. PROVIEH appelliert daher eindringlich an den Bundestag, sich für zentrale Änderungen am Gesetzentwurf einzusetzen.
Im eigenen Konzept zur gesetzlich verpflichtenden Haltungskennzeichnung fordert PROVIEH daher unter anderem eine glaubwürdige Orientierungshilfe für bessere Tierhaltung, Anreize für den Umstieg auf tierfreundlichere Haltungsformen und eine eigene Stufe für die Freilandhaltung.
Die Autorin
Anne Hamester leitet stellvertretend den Beriech Facharbeit und Politik von PROVIEH. Sie kommt von einem landwirtschaftlichen Betrieb in Norddeutschland und ist studierte Agrarwissenschaftlerin.