Eine verpasste Chance und wie wir die Agrarwende doch noch retten können
Ende September hat das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) den deutschen Strategieplan für die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) bei der EU-Kommission eingereicht. In den nationalen Strategieplänen stellen die EU-Länder dar, welche Maßnahmen sie umsetzen wollen und wie sie die Agrargelder verteilen. Die neuen Regeln der EU-Agrarreform sollen im Januar 2023 in Kraft treten. Umweltverbänden fehlt darin allerdings eine echte Verbesserung.
Vor genau fünf Jahren präsentierte der damalige EU-Agrarkommissar Phil Hogan seine Vision für die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) nach 2020. Ein ergebnisorientiertes System solle es sein, das die Ziele für eine bessere Agrarpolitik effizienter umsetzen soll. Die EU-Mitgliedstaaten können seitdem, nach jahrelangen Beschwerden über Detailvorgaben, mehr selbst entscheiden. Dafür sollen sie ihre eigenen nationalen GAP-Strategiepläne verfassen dürfen.
Schon damals war die Kritik der Umweltverbände groß. Denn es war klar, dass die kommende GAP-Periode entscheidend für die Transformation unseres Agrarsystems hin zu einem ökologisch nachhaltigen System sein wird. Doch der Vorschlag der Kommission war hierfür ungeeignet: So fehlte etwa eine Abkehr vom umweltschädlichen System der flächengebundenen Direktzahlungen. Heute, fünf Jahre später, nach einem Wechsel von EU-Kommission, EU-Parlament, Bundesregierung und einer Verlängerung der aktuellen Förderperiode um zwei Jahre, stehen wir kurz vor Beginn der neuen GAP. Aber obwohl die EU-Kommission in der Zwischenzeit den European Green Deal mit durchaus ambitionierten Zielen vorgelegt hat, ist die künftige Agrarpolitik weit davon entfernt, den notwendigen Fortschritt einzuleiten.
Die sogenannte Grüne Architektur soll für höhere Umweltstandards sorgen. Eine Kombination aus Grundanforderungen zum Erhalt der Fördergelder (erweiterte Konditionalität), dem neuen Instrument der Eco-Schemes (Öko-Regelungen) in der ersten Säule, sowie die altbewährten Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen (AUKM) in der zweiten Säule soll die gravierende Situation in der Agrarlandschaft verbessern.
Vereinzelt bringt die geplante Agrarreform durchaus Verbesserungen gegenüber dem Status quo, aber die Verhandlungen auf EU-Ebene haben den Kommissionsentwurf noch weiter abgeschwächt. Auch bei der Umsetzung in Deutschland wäre mehr drin gewesen. Denn die größere Flexibilität für die Mitgliedstaaten hätte auch die Möglichkeit geboten, die gegebenen Spielräume zu Gunsten von mehr Natur- und Klimaschutz in der Landwirtschaft zu nutzen. Aber der deutsche GAP-Strategieplan bleibt hier bislang hinter den Erfordernissen zurück.
Dabei liegen die Herausforderungen auf der Hand: Artensterben, Klimakrise und der Angriffskrieg auf die Ukraine, der eine internationale Energie- und Ernährungskrise ausgelöst hat, müssen mit der Gemeinsamen Agrarpolitik angegangen werden. Immerhin macht der Agrarhaushalt noch immer einen Großteil des gesamten EU-Budgets aus: Etwa ein Drittel davon fließt in die Landwirtschaft. Auch die Ziele, die es zu erreichen gilt, stehen an vielen Stellen schon fest: Reduktion des Pestizideinsatzes um 50 Prozent bis 2030, Ausbau des Ökolandbaus auf 30 Prozent bis 2030, Bereitstellung von 10 Prozent Rückzugsflächen für die Artenvielfalt, Reduzierung der Nährstoffverluste um mindestens 50 Prozent, Reduzierung des Düngemitteleinsatzes um 20 Prozent, um nur einige Beispiele zu nennen.
Schritt nach vorn oder Rolle rückwärts?
Die neue Bundesregierung, allen voran das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) unter Führung von Cem Özdemir ist in Sachen EU-Agrarpolitik nicht mit den leichtesten Voraussetzungen gestartet. Vor der Bundestagswahl hatte das damalige BMEL bereits mit der Ausarbeitung des Strategieplans begonnen und auch schon Gesetze zur Umsetzung der GAP verabschiedet – übrigens noch bevor die Rechtsgrundlage auf EU-Ebene stand. Den ersten Strategieplanentwurf reichte das neue Ministerium ein – die Chance zuvor nachzubessern, wurde nicht genutzt. Die Kritik aus Brüssel folgte prompt: In ihrem Observation Letter vom Mai 2022 zeigte die EU-Kommission Mängel beim Umweltschutz und der Umsetzung der Biodiversitäts- und Farm-to-Fork-Strategie auf. Verbesserungen seien erforderlich, um Treibhausgasemissionen zu senken, den Pestizideinsatz zu reduzieren, den Schutz von Mooren zu beschleunigen und den Zustand der biologischen Vielfalt zu korrigieren.
Selbst eine der wenigen positiven Anforderungen in der GAP wurde in diesem Jahr noch weiter abgeschwächt. Ab 2023 war ein verpflichtender Mindestanteil nicht produktiver Flächen von vier Prozent für Betriebe vorgesehen. Diese Flächen, die aus Brachen und Landschaftselementen bestehen, sind essenziell für den Schutz und die Wiederherstellung der Artenvielfalt. Es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass wir mindestens zehn Prozent dieser Flächen brauchen, um die Biodiversität in der Agrikultur zu verbessern. Eine Ergänzung der verpflichtenden vier Prozent ist über eine der Öko-Regelungen vorgesehen. Aufgrund der Diskussion um Ernährungssicherheit, die in diesem Jahr stark die Debatte dominierte, wurden Forderungen laut, diese wichtige Regelung für das erste Jahr der neuen Förderperiode auszusetzen. Die EU-Kommission räumte den Mitgliedstaaten dann genau diese Möglichkeit ein, allerdings auf freiwilliger Basis. Letztendlich hat Özdemir diese Aussetzung beschlossen. Die wahren Potenziale, um mehr Nahrungsmittel anzubauen, liegen jedoch woanders: So werden etwa 60 Prozent der Agrarfläche in Deutschland für die Produktion von Futtermitteln verwendet. Der längst überfällige Abbau der Tierbestände, der allein aus Klimaschutzgründen unumgänglich ist, würde hier weitaus produktivere Flächen für die Nahrungsmittelerzeugung freimachen.
Wo stehen wir heute?
Vor zwei Monaten reichte das BMEL die finale Version des nationalen Strategieplans für Deutschland ein – eine Genehmigung durch die EU-Kommission wird in Kürze erwartet. Sobald dann Ende November die GAP-Verordnungen endgültig beschlossen sind, ist die Agrarreform rechtssicher. Die neuen Regelungen für die landwirtschaftlichen Betriebe treten am 1. Januar 2023 in Kraft.
Doch mit Beginn der neuen Förderperiode ist die Arbeit nicht getan. Denn ab nächstem Jahr können die Mitgliedstaaten ihre Strategiepläne jährlich anpassen. Hier muss Deutschland konsequent nachbessern, um die Agrarpolitik Schritt für Schritt in die richtige Richtung zu entwickeln. Zudem hat das BMEL angekündigt, schon im kommenden Jahr ein Konzept für die GAP ab 2028 vorzulegen. Es ist wichtig, dass das Ministerium schon Pflöcke einschlägt, bevor die EU-Kommission ihren nächsten Reformvorschlag präsentiert. Hier wird entscheidend sein, dass die Bundesregierung ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag einhält und den pauschalen Direktzahlungen endlich ein Ende setzt, sodass die gesamten EU-Agrargelder zielgerichtet und effizient dort eingesetzt werden, wo sie gebraucht werden, nämlich um die öffentlichen Leistungen der Landwirt*innen im Natur- und Klimaschutz zu honorieren.
Die Autorin
Lavinia Roveran ist Koordinatorin für Naturschutz und Agrarpolitik beim DNR. Ihre Schwerpunkte sind Landwirtschaft & Tierschutz, Naturschutz, Gewässerschutz.
Der Autor
Björn Pasemann ist Projektreferent für Naturschutz und Agrarpolitik beim Deutschen Naturschutzring. Sein besonderes Engagement gilt dem Moorschutz.