Europäischer Rat: Spitzenposten und strategische Agenda
Die Staats- und Regierungschefs der EU haben sich am 27. Juni auf Ernennungen und Nominierungen für die Spitzenpositionen der EU geeinigt und die strategische Agenda für 2024-2029 angenommen. Umweltverbände hatten im Vorfeld gefordert, die EU auf einen sozialen und grünen Kurs zu bringen.
Der Europäische Rat (EUCO) hat die amtierende EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für eine zweite Amtszeit nominiert. Das EU-Parlament muss sie aber ebenfalls noch bestätigen, voraussichtlich Mitte Juli bei der konstituierenden Sitzung der am 9. Juni gewählten EU-Abgeordneten. Außerdem vergab der Rat zwei weitere Spitzenposten: künftiger Präsident des Europäischen Rates soll der frühere portugiesische Regierungschef António Costa werden, Hohe Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik die estnische Regierungschefin Kaja Kallas.
Der EUCO hat außerdem einen Plan für die wichtigsten Eckpfeiler der nächsten fünf Jahre, die Strategische Agenda 2024-2029, beschlossen. Der im Frühjahr durchgesickerte Entwurf (EU-News 19.04.2024) hatte aus zivilgesellschaftlicher Sicht erhebliche Mängel aufgewiesen, was die Zivilgesellschaft in ganz Europa auf den Plan rief. Sie beklagte eine „dramatische Schwerpunktverlagerung“, da kaum Maßnahmen, um Klimapolitik, Natur- und Umweltschutz sowie die Gesundheit der Bevölkerung, dafür aber Wettbewerbsfähigkeit und eine zunehmende Militarisierung, enthalten waren. Unter dem Dach des Europäischen Umweltbüros (EEB) haben zahlreiche Verbände einen „Europäischen Pakt für die Zukunft“ gefordert. 35 Umwelt-, Sozial- und Verbraucherschutzorganisationen sowie Gewerkschaften und Unternehmen in Deutschland hatten Bundeskanzler Olaf Scholz aufgefordert, sich beim EUCO für einen „European Green and Social Deal“ einzusetzen.
Was steht in der strategischen Agenda?
Nun steht die strategische Agenda und beschreibt auf acht Seiten die Ziele der EU-Mitgliedstaaten in der kommenden Legislatur. Die Agenda gilt auch als Blaupause für das Arbeitsprogramm der künftigen Kommission. Gegliedert ist die Agenda unter den Überschriften „ein starkes und sicheres Europa“ und „ein wohlhabendes und wettbewerbsfähiges Europa“. Zwar geht die strategische Agenda bereits in der Einleitung unter anderem auf die Bedrohungen durch den Klimawandel, den Verlust der biologischen Vielfalt und Verschmutzung ein – der europäische Green Deal findet allerdings keine Erwähnung.
Stattdessen soll der Weg zur Klimaneutralität bis 2050 „pragmatisch“, der Übergang „gerecht und fair“, gleichzeitig aber „wettbewerbsfähig“ sein. Das „Potenzial des grünen und digitalen Wandels“ soll genutzt werden, um Märkte, Industrien und hochwertige Arbeitsplätze der Zukunft zu schaffen. Ein „stabiler und berechenbarer Rahmen“ soll die Ausweitung der Produktionskapazitäten in Europa für Netto-Null-Technologien und Produkte begünstigen. Investitionen in eine ausreichende grenzüberschreitende Infrastruktur für Energie, Wasser, Verkehr und Kommunikation sind geplant, Energiesouveränität angestrebt. Zur Beschleunigung der Energiewende soll eine „echte Energieunion“ aufgebaut werden, die die Versorgung mit reichlich, erschwinglicher und sauberer Energie sicherstellt. Dies erfordere eine ehrgeizige Elektrifizierung unter Einsatz aller netzunabhängigen und kohlenstoffarmen Lösungen sowie Investitionen in Netze, Speicherung und Verbundnetze. Die Wirtschaft soll stärker kreislauforientiert und ressourceneffizient agieren, hierzu gelte es, die Entwicklung sauberer Technologien sowie eine saubere und intelligente Mobilität mit angemessener Netzinfrastruktur voranzutreiben und die Vorteile der Bioökonomie in vollem Umfang zu nutzen.
Die Europäische Union werde zur Sicherung der Ernährungssicherheit einen „wettbewerbsfähigen, nachhaltigen und widerstandsfähigen Landwirtschaftssektor“ fördern. „Wir werden weiterhin die Natur schützen und die Verschlechterung der Ökosysteme umkehren, einschließlich der Ozeane. Wir werden die Widerstandsfähigkeit der Gewässer in der gesamten Union stärken“, heißt es auf Seite 7 im Unterkapitel „Den grünen und digitalen Wandel erfolgreich gestalten“.
Reaktionen im Tenor „nicht ganz so schlimm wie befürchtet, aber…“
Das WWF Europabüro sieht in der Nominierung von Ursula von der Leyen für eine zweite Amtszeit ein Signal dafür, dass die EU-Staats- und Regierungschefs die zunehmenden Schäden durch den Klimawandel, den Verlust der biologischen Vielfalt sowie die Bedrohung durch Umweltverschmutzung anerkennen. Die strategische Agenda betone die Bedeutung der Fortsetzung des grünen Übergangs. Allerdings würden die EU-Staats- und Regierungschefs versuchen, den Verwaltungs- und Regelungsaufwand zu verringern und bei den Umweltstandards zurückzurudern, kritisierte die Organisation.
EU-Expertin Elena Hofmann vom Deutschen Naturschutzring (DNR) sagte in einer ersten Reaktion: „Es ist ein gutes Zeichen, dass die Strategische Agenda klar die ökologische Dreifachkrise aus Klimawandel, Biodiversitätsschwund und Umweltverschmutzung benennt – das gibt Hoffnung, dass die EU diese Herausforderungen entschieden angeht. Die Agenda macht deutlich: Der Weg zur Klimaneutralität soll entschlossen vorangetrieben werden. Umso irritierender ist, dass der Green Deal trotz eines last-minute Vorstoßes von Deutschland und Frankreich überhaupt nicht in der Agenda genannt wird. Ursula von der Leyen muss nun sicherstellen, dass die zentralen Vorgaben aus der Agenda sich in einer Weiterentwicklung des Green Deals widerspiegeln.“
Germanwatch wiederum forderte außerdem einen „stärkeren Fokus auf sozialverträgliche Umsetzung und ländliche Räume“.
Außerdem verabschiedete der EUCO weitere Schlussfolgerungen zur Ukraine, zum Nahen Osten, zu Sicherheit und Verteidigung, Wettbewerbsfähigkeit, Migration, zum Schwarzen Meer, zu Moldawien, Georgien, hybriden Bedrohungen, zur Bekämpfung von Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sowie einen Fahrplan für interne Reformen. [jg]
EUCO – Ergebnisse 27.06.2024 sowie Strategische Agenda 2024-2029 und weitere Schlussfolgerungen